WESTERWELLE-Interview für die "Frankfurter Rundschau"
Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Frankfurter Rundschau" (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten PITT VON BEBENBURG und THOMAS MARON:
Frage: Herr Westerwelle, wird es eine Erhöhung der Mehrwertsteuer mit der FDP geben?
Westerwelle: Wir brauchen keine Mehrwertsteuererhöhung, und was man nicht braucht, soll man auch nicht machen. Jede Steuererhöhung würgt die Konjunktur ab. Wir wollen eine Politik der Steuersenkung und haben vorgerechnet, wie es geht.
Frage: Machen Sie den Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung zur Bedingung für eine Koalition?
Westerwelle: Die Staatsfinanzen sind schlecht, weil unsere Steuern zu hoch sind und unser Steuersystem zu kompliziert. Die Staatsfinanzen in Deutschland wären viel besser, hätten wir ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem, denn das schafft Arbeitsplätze und damit wieder mehr Steuereinnahmen. Deswegen haben wir ein Steuerkonzept vorgelegt mit Entlastungen von 17 bis 19 Milliarden Euro. Und wir haben vorgerechnet, wie mit Maßnahmen von Subventionsabbau bis Bürokratieabbau 33 bis 36 Milliarden Euro erwirtschaftet werden können.
Frage: Heißt das nun, daß Sie eine Mehrwertsteuererhöhung mit der FDP ausschließen?
Westerwelle: Ich kann nicht ausschließen, daß ich gleich tot umfalle, aber ich nehme es mir nicht vor. Eine Mehrwertsteuererhöhung ist im Konzept der FDP nicht vorgesehen.
Frage: Subventionsabbau, wie die FDP ihn vorschlägt, setzt die Schere massiv bei der Bundesagentur für Arbeit an. Wollen Sie die aktive Arbeitsmarktpolitik abschaffen?
Westerwelle: Nein. Allein durch eine Neustrukturierung der Bundesagentur für Arbeit können Effizienzgewinne von drei Milliarden erwirtschaftet werden. Das Wichtigste ist, daß man den Mut hat, an die etablierten Strukturen heranzugehen. Wir müssen einen großen Wurf wagen. Meine Partei und ich persönlich stehen nur für einen großen Wurf zur Verfügung. Wir werden uns nicht in Haftung nehmen lassen für eine Politik von Trippelschritten, und zwar deshalb, weil die auf jeden Fall vor der Geschichte scheitern wird.
Frage: Derzeit werden 1,4 Millionen Menschen mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gefördert. Das wären 1,4 Millionen Menschen, die unter Ihrer Politik in die Arbeitslosen-Statistik fallen würden, wenn Sie diese Maßnahmen abrasieren wollen.
Westerwelle: Wir rasieren keine arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, sondern wir setzen die Mittel effizienter ein. Wenn bei der Bundesagentur für Arbeit von etwa 90000 Mitarbeitern nur noch ungefähr zehn Prozent überhaupt für die Vermittlung von Arbeitsplätzen zuständig sind, läuft etwas falsch.
Frage: Wo müßte die Arbeitslosigkeit nach vier Jahren Schwarz-Gelb stehen, damit Sie sagen könnten: Das bleibt keine Episode.
Westerwelle: Ich werde keine Zahl nennen und halte es auch nicht für richtig, mit einzelnen Zahlen Erwartungen in die Welt zu setzen. Es könnte übrigens auch sein, daß die Zahlen dann viel zu pessimistisch waren. Die Behauptung, wir müßten uns an die Massenarbeitslosigkeit gewöhnen, das sei quasi das Ergebnis der Moderne und der Globalisierung, halte ich für falsch. Wir haben 25 Staaten in der Europäischen Union, und 24 stehen beim Wirtschaftswachstum besser da als Deutschland. Mit einer neuen Politik ist ein neues Wirtschaftswunder in Deutschland möglich.
Frage: Was würde aus der Republik, wenn es auch einer schwarz-gelben Regierung nicht gelingt, die Arbeitslosigkeit abzubauen?
Westerwelle: Wenn eine schwarz-gelbe Regierung so scheitern würde, wie die rot-grüne Regierung jetzt gescheitert ist, würde das zu einer erheblichen Instabilität, vielleicht sogar Verwerfung der Parteienlandschaft führen. Damit will ich keine Gefahr beschwören, daß Nationalsozialisten wieder groß werden könnten. Aber ich sehe eine erhebliche Gefahr durch Populisten gleich welcher Couleur, die unser stabiles politisches System instabil machen könnten. Deswegen ist die nächste Regierung zum Erfolg verdammt und nicht nur verpflichtet. Sie muß den großen Wurf wagen. Hätte sie dazu den Mut nicht, dann würde sie eine ganz schwere Schuld auf sich laden. Eine schwarz-gelbe Koalition wird den Mut haben, die Soziale Marktwirtschaft vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Frage: Rot und Grün gehen jetzt mit der Forderung nach einer höheren Besteuerung der Reichen in den Wahlkampf...
Westerwelle: Man hätte die Uhr danach stellen können. Das ist ja der klassische Reflex der Altlinken, mit Neiddiskussionen auf Stimmenfang zu gehen. Wir wollen keine Neidgesellschaft, und wir brauchen keine Neidsteuer. Was wir brauchen, ist eine Anerkennungskultur, ausdrücklich auch bei Spitzenleistungen.
Frage: Bei Ihnen ist eine emotionale Ablehnung der 68er Generation immer wieder spürbar.
Westerwelle: Das ist ein großer Irrtum. Ich habe überhaupt nichts gegen 68er. Ich danke den 68ern zum Beispiel dafür, daß ich nach der mittleren Reife von der Realschule weiter aufs Gymnasium gehen konnte. Ich habe nur etwas gegen 68er, die heute noch so reden und denken, als wäre 1968. Das ist alles.