20.11.2005

WESTERWELLE-Interview für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" das folgende Interview. Die Fragen stellten DR. WULF SCHMIESE und DR. MARKUS WEHNER:

Frage: Warum werden Sie in den kommenden Wochen gegen Ihre alten Freunde und Freundinnen stimmen, Frau KÜNAST, Herr WESTERWELLE?

KÜNAST: Es wird bei der Wahl der Kanzlerin am Dienstag nicht über Freundschaften, sondern über Inhalte abgestimmt. Deshalb wird die Regierung MERKEL meine Stimme nicht bekommen. Ihr Koalitionsvertrag enthält zu viel Kuhhandel und zu wenig Zukunft.

WESTERWELLE: ANGELA MERKEL bleibt für mich eine grundsympathische Persönlichkeit. Aber im Wahlkampf habe ich für einen Politikwechsel und nicht für einen bloßen Personalwechsel geworben. ANGELA MERKEL wird nun Kanzlerin einer sozialdemokratischen Regierung. Sie führt damit die bürokratische Staatswirtschaft fort. Deshalb wird sie auch meine Stimme nicht bekommen.

KÜNAST: Überhaupt wüßte ich nicht, wofür sie eigentlich steht. Im Programm der Union stand ja etwas völlig anderes als nun im Koalitionsvertrag. Sie, Herr WESTERWELLE, nannten das Sozialdemokratisierung der Union. Vorher hatten wir dort die Westerwellisierung. Was ist da noch original?

Frage: Wie kann Ihre Kritik glaubwürdig sein, Herr WESTERWELLE, der Sie noch vor wenigen Wochen von Ihrer Duzfreundin ANGELA sprachen?

WESTERWELLE: Sie würden sich wundern, wie herzlich mein Verhältnis zu manchen Sozialdemokraten, Grünen und sogar Mitgliedern der Linkspartei ist. Niemals würde ich aber deshalb eine Politik unterstützen, die ich für falsch halte.

Frage: Der Umgang zwischen Opposition und Regierung wird fortan freundlicher?

WESTERWELLE: Der politische Stil wird sich nun in Deutschland ändern, mehr noch: Die politische Streitkultur wird besser werden. Und das deshalb, weil gewisse Achtundsechziger nun weg sind. Mit SCHRÖDERS und FISCHERS Abgang ist die Zeit der Macho-Häme auf der Regierungsbank gottlob aus und vorbei. Wir können nun quer durch alle Fraktionen wieder freundlicher und achtungsvoll miteinander umgehen.

KÜNAST: Da muß ich schmunzeln, Herr WESTERWELLE. Den politischen Stil in der Politik haben nicht GERHARD SCHRÖDER und JOSCHKA FISCHER allein geprägt. Die Entrüstungskultur, also alles zu verdammen und zu schmähen, was von der anderen Seite, von der Regierung kommt und auch noch die Wirtschaft zu funktionalisieren, die hatten Union und FDP auch ganz gut drauf. Herabwürdigungen habe ich von der Opposition als Bundesministerin oft erfahren.

WESTERWELLE: Sie saßen ja auf der Regierungsbank und haben es von dort anders wahrgenommen. Aber ich habe das Verhalten von Kanzler und Außenminister in den letzten Jahren als außergewöhnlich unangenehm empfunden, sobald Frau MERKEL, Herr STOIBER oder ich ans Rednerpult gingen ...

KÜNAST: Es heißt politisch korrekt Redepult - denn da stehen ja auch mal Rednerinnen.

WESTERWELLE: Oh, danke für diese Lektion, die den Liberalismus voranbringen wird.

KÜNAST: Gern geschehen. Sie können noch viel mehr von uns lernen.

WESTERWELLE: Sobald wir jedenfalls an dieses Pult in der Mitte des Bundestages getreten sind, haben wir Mißachtung und Respektlosigkeit erlebt, durch Grölen und Schenkelklopfen, Hohn und Spott. Jeder hat doch die Bilder der pavianösen Gebärden noch im Kopf, die Reden der Opposition bei den vordersten Männern der Regierung auslösten. Das, glaube ich, wird es so nicht mehr geben. Das wird dem Parlament insgesamt gut tun.

Frage: Das gilt auch für den Umgang der Opposition untereinander, zwischen Grün und Gelb etwa?

WESTERWELLE: Aber ja. Frau KÜNAST, Sie stehen doch auch für einen Generations- und Stilwechsel bei den Grünen hin zum respektvolleren Umgang. Sie haben doch mit der Krawall- und Randalekultur nichts am Hut, die andere nie ganz ablegen konnten.

KÜNAST: Nun sind andere Generationen am Ruder, das ist wahr, auch wenn uns faktisch oft nur wenige Jahre trennen. Hart in der Sache werden wir sein, aber - das nehme ich für mich in Anspruch - den Gegner menschlich niemals unfair und mies behandeln. Das müssen aber dann jetzt alle machen. Neu ist auch, daß wir nun fünf Fraktionen sind, weshalb eine Lagerzuordnung schwieriger wird.

Frage: Sie sprechen von möglichen Bündnissen?

KÜNAST: Eben die wird es so schlicht einteilbar wie bisher nicht mehr geben, was sicher auch ein Grund für den neuen Umgangston ist. Denn wir werden vielmehr in der Sache entscheiden. Was sind meine Werte, was meine wichtigsten Projekte und mit welchem Partner kann ich die dann am besten durchsetzen.

Frage: Sie hätten ja mit einem Jamaika-Bündnis aus Union, FDP und Grünen die große Koalition verhindern können.

KÜNAST: Da war die Zeit noch nicht reif, auch wegen des eben beschrieben Umgangs miteinander in den letzten Jahren. Aber die Gespräche darüber haben Türen geöffnet. Man mußte nur ins Plenum nach der konstituierenden Sitzung des Bundestags schauen: Wer da alles miteinander geredet und gescherzt hat, Grüne mit CDU-Abgeordneten, Liberale mit Leuten von uns wie der SPD. Das war atmosphärisch eine ganz neue, bunte Mischung. Da ist eine neue Zeit angebrochen.
WESTERWELLE: Das stimmt, und dennoch ist Jamaika vom Tisch, die Tür wieder zu. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Dass Jamaika nicht einmal ernsthaft sondiert wurde, habe ich wirklich bedauert. Mehr noch als an den Grünen lag das an der tief verunsicherten CSU.

KÜNAST: Wo hat denn die SPD versucht, eine andere Koalition zu bilden? Sie wollte doch nur die große Koalition. Und hat es denn die CDU/CSU in ihrer Gesamtheit wirklich gewollt? Herr STOIBER hat das Gespräch mit uns eröffnet mit der Bemerkung: "Es geht nicht." Und Frau MERKEL hat angeregt, man könne mal die Geschäftsführer zusammenbringen und die könnten die Programme mal synoptisch nebeneinanderlegen. Wenn man eine Brücke bauen will, dann geht man anders vor. Trotzdem sind dadurch Zäune gefallen, die vorher unüberwindbar schienen.

WESTERWELLE: Warten wir mal ab. Eins ist aber sichtbar: Die Bindungskraft der beiden größeren Volksparteien läßt immer weiter nach - ein europäisches Phänomen, das nun Deutschland erreicht hat. Die vormals kleinen Parteien werden nun stärker. Na und? Deshalb ist Deutschland doch nicht instabil - selbst dann nicht, wenn auch die CSU in Bayern ihre absolute Mehrheit einbüßen sollte. Dann gibt es eben neue Bündnisse, was der Demokratie nicht schadet, sondern nützt. Ich bin aber optimistisch, daß es auch in Zukunft für Zweierbündnisse, jedenfalls mit der FDP, reichen wird.

Frage: Das klingt nach Auferstehung Ihres Projekts 18?

WESTERWELLE: Ich werde klüger, was Zahlen und Ziffern angeht...

KÜNAST: ... und Schuhe mit Ziffern.

WESTERWELLE: Auch das, unter meinen Schuhen steht nur noch 42,5 - die Größe.

Frage: Wie lange wird die Koalition denn halten?

WESTERWELLE: Ich habe nicht das Gefühl, daß sie bald auseinanderbricht. Beide große Parteien haben fast jedes Wahlversprechen gebrochen. Deshalb ist ihre Angst vor dem Wähler so groß, daß es für eine volle Legislaturperiode reichen könnte.

Frage: Angst vor dem Wähler?

KÜNAST: Natürlich. Deshalb wird die Mehrwertsteuererhöhung doch erst 2007 gemacht, weil 2006 etliche wichtige Landtagswahlen anstehen.

Frage: Als Kompromiß ist die Mehrwertsteuer angesichts der Haushaltslage doch so falsch nicht.

WESTERWELLE: Doch. Auch unter kompromißtheoretischer Sicht ist das Ergebnis dieser Koalitionsverhandlungen einmalig: Die einen wollten keine Mehrwertsteuererhöhung, die anderen wollten zwei Prozent Mehrwertsteuererhöhung. Man trifft sich bei drei Prozent Mehrwertsteuererhöhung. Absurd! Das fürchten die großen Parteien, denn dafür bekommen Sie die Quittung.

KÜNAST: Früher hat die CDU manchen Subventionsabbau, wie bei der Eigenheimzulage, mit dem Argument verhindert, das ersparte Geld solle nicht dazu verwendet werden, Löcher zu stopfen. Ein hehres Motiv. Heute erheben sie Steuern, um Löcher zu stopfen. Wir brauchen mehr Mut zu Reformen. Da haben wir einen ähnlichen Ansatz wie die FDP - wenn auch mit einem anderen Koordinatenkreuz sozial und ökologisch.

Frage: Frau KÜNAST, was gefällt Ihnen an der FDP?

KÜNAST: Die FDP hat zumindest eine pointierte Position, gegen die man anstreiten kann. Das bringt die Debatte voran.

Frage: Und was mögen Sie an den Grünen, Herr Westerwelle?

WESTERWELLE: Das quirlige Sprudeln von Frau KÜNAST.

Frage: "Westerwelle" - das war ja lange Zeit eine Art Haßname bei den Grünen.

KÜNAST: Diese Horrorvision gibt es so nicht. Ich möchte über Inhalte diskutieren. Dafür ist der Kopf bekanntlich rund, damit man beim Denken die Richtung wechseln kann.

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