20.02.2006FDP

WESTERWELLE-Interview für den "Tagesspiegel"

Berlin Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Tagesspiegel" (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ANTJE SIRLESCHTOV.

Frage: Herr WESTERWELLE, freut es Sie, daß die Bundesregierung 2007 20 Milliarden Euro weniger Schulden machen will?

WESTERWELLE: Ein verfassungswidriger Haushalt mit fast 40 Milliarden Euro Neuverschuldung ist doch keine gute Nachricht. Bis jetzt beschränkt sich die Politik von Union und SPD auf das Belasten der Bürger. Strukturelle Veränderungen habe ich noch nicht gesehen. Und in den eigenen Reihen gespart wird auch nicht, wie man an den Haushaltsplänen sehen kann.

Frage: Sind Sie nicht ungerecht? Die Regierung spart an der Grundversorgung für Jugendliche, an regionalen Verkehrsmitteln und am Weihnachtsgeld für Beamte.

WESTERWELLE: Seit Schwarz-Rot regiert, gibt es ein Ministerium, zwei Minister und zahlreiche Staatssekretäre mehr. Ich bezeichne das als geradezu unappetitliche Aufblähung des Regierungsapparates. Und wo bleiben Einsparungen beim größten Subventionsbatzen, der Steinkohlesubvention? Die Eigenheimzulage hat Schwarz-Rot gekürzt. Das war richtig, und deshalb haben sich auch die Liberalen da keinen schlanken Fuß gemacht und im Bundestag dafür gestimmt. Jetzt aber, wo man bei der Steinkohlesubvention weiter machen müßte, wird Rücksicht auf die Sozialdemokraten genommen. Es wird noch nicht mal darüber gesprochen.

Frage: Union und SPD wollen dem Wachstum mit einem 25-Milliarden-Euro-Programm auf die Beine helfen.

WESTERWELLE: Das ist doch nicht mehr als ein Strohfeuerprogramm, wie wir es in den siebziger Jahren häufiger hatten. Alle diese Programme waren wirkungslos und haben nur die Staatsschulden erhöht und das Geld der Steuerzahler verbrannt.

Frage: Nächsten Januar wird die Mehrwertsteuer um drei Punkte ansteigen. Die Regierung sagt, nur so kann Deutschland seine Schulden verringern und die EU-Verträge einhalten.

WESTERWELLE: Den Bürgern vorzugaukeln, es gebe nur zwei Alternativen, nämlich höhere Schulden oder höhere Steuern, das ist der historische Irrtum der deutschen Finanzpolitik. Und an den Haushaltsplänen, die die Regierung am Mittwoch vorlegen wird, sieht man, daß weder Union noch SPD etwas dazugelernt haben. In den nächsten Jahren wird die große Koalition die Bürger im wesentlichen mit Steuererhöhungen um rund 150 Milliarden Euro mehr belasten, aber nur 15 Milliarden Euro einsparen. Das ist ein Mißverhältnis, von dem wir wissen, daß es zu mehr Arbeitslosigkeit, mehr Schwarzarbeit und weniger Wirtschaftswachstum führen wird.

Frage: Hätte die Regierung denn realistische Alternativen?

WESTERWELLE: Wir haben Einsparvorschläge u. a. bei Subventionen und bei der Bundesagentur für Arbeit im Gesamtwert von 30 Milliarden Euro in den Bundestag eingebracht. Wir haben also Alternativen. Und deshalb sagen wir: Das Steuersystem braucht niedrigere Belastungen, muß einfacher und gerechter werden, damit die Konjunktur anspringt. Österreich hat es uns vorgemacht. Dort ist die Arbeitslosigkeit etwa halb so hoch wie bei uns.

Frage: Sie wollen die Anhebung der Mehrwertsteuer verhindern?

WESTERWELLE: Natürlich, denn das, was hier passiert, ist die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik. Und sie ist ein Wahlbetrug, denn bei der Bundestagswahl gab es eine Zwei-Drittel-Mehrheit gegen die Mehrwertsteueranhebung. Außer der Union haben alle Parteien, die Sozialdemokraten inklusive, diesen Schritt als volkswirtschaftlich falsch und unsozial kritisiert. Diese dreiprozentige Steuererhöhung wird die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschlechtern. Ordentliche Arbeitsplätze werden verloren gehen und durch Schwarzarbeit ersetzt. Und hinzu kommt: Schon jetzt sehen wir, daß die angekündigte Mehrwertsteuererhöhung dazu führt, daß die Gewerkschaften ihre jahrelang geübte Praxis moderater Lohnerhöhungsforderungen aufgeben. Die Arbeitnehmervertreter wissen, daß ihre Mitglieder massiv von der Regierung belastet werden und schrauben deshalb die Forderungen in den Tarifverhandlungen hoch. Das kann nicht gut sein für das Wirtschaftswachstum und die Arbeitsplätze. Wir fordern deshalb die Regierung von Angela Merkel zu einem Pakt mit den Tarifpartnern auf: moderate Lohnforderungen gegen den Verzicht auf die Mehrwertsteuererhöhung.

Frage: Gibt es für die Opposition einen Weg, die Erhöhung zu verhindern?

WESTERWELLE: Wir werden versuchen, diesen dramatischen Fehler im Bundesrat zu verhindern. Dafür müssen sich acht Bundesländer im Bundesrat einig sein. Es gibt sieben Bundesländer, in denen die FDP und die PDS mitregieren. In fünf dieser Länder werden die Liberalen dafür sorgen, daß die Landesregierungen nicht für die Steuererhöhung stimmen.

Frage: In drei dieser Bundesländer wird am 26. März gewählt.

WESTERWELLE: Deshalb werden diese Landtagswahlen zur Volksabstimmung über die Mehrwertsteuererhöhung. Wenn sich die Wähler in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt für eine Regierung mit FDP-Beteiligung entscheiden, ist der erste Schritt gegen die Mehrwertsteuererhöhung getan. Und dann werden wir im Sommer, wenn der Bundesrat über das Steuergesetz entscheidet, OSKAR LAFONTAINE und GREGOR GYSI beim Wort nehmen. Beide Fraktionsvorsitzenden im Bundestag haben die Steuererhöhung abgelehnt, und wir fordern die Linken in den Regierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern auf: Verhindern Sie diese Steuererhöhung gemeinsam mit uns im Bundesrat! Wenn diese Ablehnung steht, wird sich jede Landesregierung im Osten überlegen, ob sie sich gegen die Interessen ihrer Bürger für die Mehrwertsteuererhöhung ausspricht.

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