18.08.2005FDPInnenpolitik

WESTERWELLE-Interview für den "Reutlinger General-Anzeiger"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Reutlinger General-Anzeiger" (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte REINER APP:

Frage: Herr Westerwelle, was halten Sie vom Kompetenz-Team, das Angela Merkel heute vorgestellt hat?

WESTERWELLE: Ich gratuliere Angela Merkel zu diesem starken Team. Es ist eine hervorragende Grundlage für eine gemeinsame Regierung von Union und FDP.

Frage: Welche Spitzenleute möchte die FDP gerne in eine schwarz-gelbe Bundesregierung entsenden?

WESTERWELLE: Wir werden unsere Personalvorschläge auf unserem Parteitag eine Woche vor der Bundestagswahl präzisieren. Bis dahin redet meine Partei nicht über das Personal, sondern über das Programm, mit dem wir Deutschland wieder auf die Beine bringen wollen.

Frage: Merkels Experte für Finanzen ist Paul Kirchhof, zu dessen Vorschlägen sich nicht die CDU, sondern die FDP auf ihrem letzen Parteitag bekannt hat. Haben Sie Angst, daß ihre Partei durch diesen Schachzug eines ihrer Kernthemen verliert?

WESTERWELLE: Ganz im Gegenteil, wir als FDP sind äußerst erfreut über die Berufung Professor Kirchhofs und empfinden dies als klare Stärkung der FDP. Denn nun haben wir im Kompetenz-Team der Union einen steuerpolitischen Verbündeten im Geiste. In etwaigen Koalitionsverhandlungen werden wir es daher leichter haben, ein niedrigeres, einfacheres und gerechteres Steuersystem durchzusetzen.

Frage: CSU-Chef Edmund Stoiber ist nicht Mitglied des Kompetenz-Teams. Halten Sie das angesichts seiner Äußerungen über Ostdeutschland für einen Vorteil im Wahlkampf?

WESTERWELLE: Wen die Union vorschlägt, ist natürlich Sache der Union. Für uns Liberale ist aber klar, daß wir nicht für ein einzelnes, sondern für alle sechzehn Bundesländer antreten. Wir lehnen einen Wahlkampf West gegen Ost strikt ab. Eine solche Haltung könnte auch auf keinen Fall die Haltung einer Bundesregierung sein, an der die FDP beteiligt ist.

Frage: In den Umfragen bröckelt die Mehrheit von Schwarz-Gelb. Warum kann die FDP die Verluste von CDU und CSU nicht ausgleichen?

WESTERWELLE: Umfragen sind Schall und Rauch. Was zählt, sind Wahlergebnisse. Die Chancen für eine schwarz-gelbe Mehrheit sind sehr gut. Aber zugleich ist auch die Gefahr einer linken Mehrheit im neuen Bundestag real. Gäbe es eine solche Mehrheit aus SPD, Grünen und Lafontaine-PDS, dann würde keine Große Koalition gebildet werden. Denn die SPD will nicht Juniorpartner der Union werden, sondern das Kanzleramt für sich behalten. Wer von einer Großen Koalition träumt, der könnte sehr schnell unter einer Linksregierung aufwachen.

Frage: Seit dem Aufstieg der Linkspartei ist bei Union und SPD die Sensibilität für soziale Themen gewachsen. Wie profiliert sich hier die FDP?

WESTERWELLE: Die sozialste Politik in Deutschland wird von der FDP gemacht. Denn wir legen mit unserer Wirtschaftspolitik die Grundlage dafür, daß die soziale Sicherheit erhalten bleibt. Für uns ist es am wichtigsten, dafür zu sorgen, daß derjenige, der Arbeit sucht, auch Arbeit findet. Wirtschaft ist nicht alles, aber ohne Wirtschaft ist alles nichts.

Frage: Der Glaube, daß die großen Probleme Deutschlands am besten durch eine Große Koalition gelöst werden können, ist weit verbreitet. Wie wollen sie die Wähler von den Qualitäten einer kleinen Koalition überzeugen?

WESTERWELLE: Wohin eine Große Koalition führt, das hat sich zum Beispiel in Berlin gezeigt: Hier wäre es beinahe zum Staatsbankrott gekommen. Denn unter Schwarz-Rot findet nur eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners statt. Die Reformen, die Deutschland dringend braucht, können so nie ins Werk gesetzt werden.

Frage: In der Reformpolitik gibt es allerdings schwarz-gelbe Differenzen. Die Union will zunächst eine Gesundheitsreform, die FDP eine Steuerreform.

WESTERWELLE: Beide Reformen müssen in enger Abstimmung miteinander geplant werden. Es ist richtig, die sozialen Sicherungssysteme umzubauen und dadurch die Lohnzusatzkosten zu verringern. Das heißt aber, daß die Menschen mehr Eigenverantwortung tragen. Um dies zu ermöglichen, sind steuerliche Entlastungen notwendig. Nur dann wird wieder mehr gekauft und mehr investiert. Dieser Konjunktur-Impuls ist die Voraussetzung dafür, daß es einen Aufschwung in Deutschland gibt.

Frage: Wie müßte das Sofortprogramm für die ersten hundert Tage einer schwarz-gelben Koalition aussehen?

WESTERWELLE: Unsere Vorschläge werden wir kurz vor der Wahl in einem Paket zusammenfassen. Schon jetzt kann ich sagen, daß wir auf jeden Fall das Bankgeheimnis, das faktisch abgeschafft wurde, wieder herstellen wollen. Die Tatsache, daß heute jede Behörde ohne staatsanwaltliche oder richterliche Kontrolle auf Stammdaten jedes Kontos zugreifen kann, ist kein Gewinn an Sicherheit, sondern ein Verlust an Freiheit. Der Abbau an Bürokratie, den wir anstreben, wird sich zudem an der zügigen Abschaffung des Ladenschlußgesetzes auf Bundesebene messen lassen. Dann können und müssen sich die Länder vor Ort für die passenden Regeln entscheiden. Es gibt keinen Grund, den Ladenschluß in Reutlingen genauso zu organisieren wie in Berlin oder Hamburg.

Frage: Planen Sie auch Sofortmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt?

WESTERWELLE: Wir wollen das Kündigungsschutzrecht rasch modernisieren. Am Schutz vor willkürlichen Kündigungen will die FDP gar nichts ändern. Wir wollen aber Einstellungshemmnisse abbauen, indem der besondere Kündigungsschutz nur für Betriebe ab 50 Mitarbeiter und erst vier Jahre nach Beginn eines Arbeitsverhältnisses gilt. Beschäftigte mit etwas weniger Schutz sind mir lieber als Arbeitslose, die rundum geschützt wären, hätten sie denn Arbeit.

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