04.06.2009FDP

WESTERWELLE-Interview für das "Offenburger Tageblatt"

Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Offenburger Tageblatt" (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte REINHARD RECK:

Frage: Herr Westerwelle, der Staat greift den Unternehmen immer stärker unter die Arme. Opel wurde vorerst gerettet. Nach Medienberichten bemühen sich
fast 1200 Firmen um Staatskredite in Höhe von rund fünf Milliarden Euro. Sehen Sie als Liberaler einen Dammbruch?

WESTERWELLE: Ich sehe mit großer Sorge, dass sich der Staat immer mehr ­ auf Kosten des Steuerzahlers ­ als Retter aufspielen möchte. Opel gerettet? Arcandor gerettet? Alle Großunternehmen gerettet, und Deutschland am Schluss pleite ­ das kann nicht der Sinn der Sache sein.

Frage: Ihre Partei hatte sich im Vorfeld gegen eine staatliche Beteiligung bei der Rettung von Opel ausgesprochen. Nun ist es doch anders gekommen. Wurde
das Falsche getan?

WESTERWELLE: Das Paket, das verabschiedet wurde, hat einige Chancen, birgt aber auch erhebliche Risiken. Dass Alternativen aus politischen Gründen so früh vom Tisch genommen wurden, ist für den Steuerzahler unerfreulich. Aber dafür trägt die Regierung die Verantwortung.

Frage: In welchen Fällen sollte man Staatshilfen gewähren?

WESTERWELLE: Politik soll Türen öffnen und muss auch in schwierigen Phasen Brücken bauen. Aber derzeit haben wir eine erschreckende Schieflage der
Wirtschaftspolitik. Den großen Firmen wird geholfen, die kleinen und mittleren lässt man pleite gehen. Das ist schädlich für die Entwicklung des Arbeitsmarktes, und das werden wir im Herbst nach der Bundestagswahl ändern. Die Größe des Unternehmens und die Anzahl der Mitarbeiter können eben nicht Kriterien für eine öffentliche Unterstützung sein. Die kleineren Unternehmen schaffen doch sehr viel mehr Jobs als die wenigen großen. 30 Millionen Arbeitnehmer sind im Mittelstand beschäftigt, und den lässt man pleite gehen, ohne dass die Kanzlerin oder der Vizekanzler vorbeischauen.

Frage: FDP-Fraktionsgeschäftsführer Jürgen Koppelin sagte am Montag im Interview mit unserer Zeitung, er verstehe das Handeln von Kanzlerin Angela Merkel bei der Opel-Rettung als Signal an die SPD. Sie betonen aber immer wieder, dass Sie nach der Bundestagswahl eine schwarz-gelbe Koalition anstreben. Wie ist denn
nun Ihr Verhältnis zur CDU?

WESTERWELLE: Dass der Linksvirus nicht nur SPD und Grüne infiziert hat, sondern auch Teile der Union, ist offensichtlich. Denn es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, dass der Unionsteil der Bundesregierung lieber zu den sozialdemokratischen Ministern Steinmeier und Steinbrück hält als zum CSU-Wirtschaftsminister zu Guttenberg.

Frage: Sie streben aber nach wie vor eine Koalition mit der CDU an?

WESTERWELLE: Der Linksruck macht die Union in der Tat hässlicher. Aber nur, weil die Union hässlicher wird, werden SPD und Grüne nicht schöner. Wir wollen weg von der sogenannten großen Koalition und zugleich eine aus SPD, Grünen und Linkspartei bestehende Linksregierung verhindern. Das geht nur mit einer bürgerlichen Mehrheit aus Union und FDP.

Frage: Aber auf dem Bundesparteitag in Hannover haben Sie ausdrücklich gesagt, Sie wollen eine Koalitionsaussage erst eine Woche vor der Bundestagswahl machen. Geraten Sie da nicht in den Ruf der Unzuverlässigkeit?

WESTERWELLE: Ich wiederhole gern, dass wir für Schwarz-Gelb sind und derzeit keine ausreichende Grundlage für eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen sehen. Trotzdem werden wir auf einem eigenen Bundesparteitag unsere Position formal beschließen ­ rechtzeitig vor der Bundestagswahl, genau wie 2005.

Frage: Sie wollen eine Steuerreform durchsetzen, wobei die Bürger um 35 Milliarden Euro entlastet werden sollen. Gleichzeitig rechnen Regierungsvertreter mit Ausfällen bei den Steuereinnahmen in Höhe von 316 Milliarden. Wie sollen angesichts dieser Lage Entlastungen möglich sein?

WESTERWELLE: Jedes Jahr haben wir eine Liste mit 400 konkreten Sparvorschlägen für den Bundeshaushalt vorgelegt. Außerdem: Wenn es durch ein faires Steuersystem nur gelingen würde, 20 Prozent der Schwarzarbeit, die jährlich ein Volumen von rund 350 Milliarden Euro hat, in die reguläre Volkswirtschaft zurückzubringen, würden die Staatsfinanzen sprudeln. Es ist auch nicht zu verstehen, dass wir seit 2004 etwa 400 Millionen Euro an Entwicklungshilfe nach China geschickt haben. Dieses Land hat uns mit seiner Gesamtwirtschaftsleistung im letzten Jahr überholt. Wenn ich mir ansehe, dass die Bundesregierung mit der Abwrackprämie lieber fünf Milliarden in alte Autos steckt, anstatt in Bildung und Forschung zu investieren, dann ist auch das eine völlig falsche Finanzverteilung.

Frage: Peter Struck, Chef der SPD-Bundestagsfraktion, hat gesagt: Wer Steuersenkungen in dieser Zeit verspricht, der belügt die Menschen.

WESTERWELLE: Die SPD stellt seit elf Jahren den Finanzminister: Oskar Lafontaine, Hans Eichel, Peer Steinbrück. Das Ergebnis: Die Staatsfinanzen sind fast ruiniert, und die Steuern und Abgaben sind hoch wie nie zuvor. Jetzt werden wir beweisen, dass es anders geht.

Frage: In Ihrem Bundestagswahlprogramm präsentiert sich die FDP als Partei der Leistungsträger, einer Elite. Andererseits finden sich Forderungen, die eher
der linken Bürgerrechts-Tradition zuzuordnen sind ­ wie die Wiedereinführung des Bankgeheimnisses oder ein Verbot geheimer Online-Durchsuchungen. Ist das
zu vereinbaren?

WESTERWELLE: Die Freiheit ist das Thema der FDP. Wir bekämpfen jede staatliche Bevormundung oder gar Entmündigung. Deswegen sind wir dagegen, dass der Mittelstand mit immer mehr Bürokratie schikaniert wird und wollen gleichzeitig verhindern, dass der Privatbürger durchleuchtet wird. Das ist eine Politik für das ganze Volk.

Frage: Am Sonntag wird das Europäische Parlament gewählt. Was soll besonders auf EU-Ebene verbessert werden?

WESTERWELLE: Unser Ziel lautet: mehr Demokratie wagen. Ich bin ein begeisterter Anhänger Europas, weil es die Antwort des Friedens auf Jahrhunderte der Kriege ist. Aber die Rolle des gewählten Parlaments muss gegenüber der nicht ausreichend demokratisch legitimierten EU-Kommission gestärkt werden. Gleichzeitig meine ich: Was Europa nicht regeln muss, soll es auch nicht regeln dürfen. So halte ich es für nicht akzeptabel und überflüssig, wenn uns die Kommission mit einem Glühbirnenverbot vorschreiben will, welches Leuchtmittel wir in die Fassungen schrauben.

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