WESTERWELLE-Interview für das "Flensburger Tageblatt"
Der FDP-Bundesvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Flensburger Tageblatt" (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte PETER HÖVER:
Frage: Schmerzt es noch, bei der Bundestagswahl die Rückkehr an die Macht verpaßt zu haben?
WESTERWELLE: Es schmerzt, wenn ich an Deutschlands Zukunft denke. Wir wollten den Politikwechsel. Daran haben wir uns gehalten. Deshalb sind wir auch mit den Herren Schröder und Fischer nicht in eine Bundesregierung eingetreten. Unsere Entscheidung für die Rolle der stärksten Oppositionspartei war überlegt und richtig.
Frage: Im Umgang mit der Großen Koalition im Bund sind sie nicht zimperlich. Warum ist Angela Merkel auf der falschen Spur, wie Sie sagen?
WESTERWELLE: Frau Merkel ist Kanzlerin einer sozialdemokratisch ausgerichteten Bundesregierung. Schon das so genannte Konjunkturprogramm, das die Regierung bei ihrer Klausurtagung beschließen will, ist ein Irrweg. Hier handelt es sich um ein Strohfeuer, das mit den Geldscheinen der Steuerzahler angeheizt werden soll. Nötig wäre mehr Mut zu Strukturreformen.
Frage: Können Sie uns einen Reim machen auf den Atomstreit der Koalition?
WESTERWELLE: Das ist doch nicht der einzige Konflikt in dieser Notgemeinschaft der Wahlverlierer. In der Energiepolitik ist der Konflikt nur offen ausgebrochen. Andere Streitfelder sind die Gesundheits- und die Familienpolitik. Daneben wird erbittert um den Kombilohn gestritten. Im Ergebnis werden wir statt mutiger Reformen eine Politik der Trippelschritte erleben.
Frage: Sind neue Atommeiler der richtige Weg zur zukunftssicheren Energieversorgung Deutschlands?
WESTERWELLE: Es gibt in Deutschland kein Energieversorgungsunternehmen, das neue Kernkraftwerke bauen will. Wichtiger wäre es, die Ausstiegsbeschlüsse der rot-grünen Regierung zu korrigieren. Wir dürfen die in Deutschland vorhandene modernste und sicherste Kerntechnologie weltweit nicht einfach abwickeln. Zugleich müssen wir den Anteil regenerativer Energien ausbauen.
Frage: Dieser letzte Satz klingt richtig "grün".
WESTERWELLE: Intelligente Umwelt- und Energiepolitik ist liberal und nicht ideologisch-grün. Das gilt auch für die Innen- und Rechtspolitik. Rot-Grün hat mit Innenminister Schily an der Spitze die Bürgerrechte Stück für Stück gestutzt. Wir stehen für einen sicheren Weg zurück zu mehr Freiheit.
Frage: Nun hören wir, daß deutsche Beamte Gefangene in syrischen Foltergefängnissen und in Guantanamo vernommen haben.
WESTERWELLE: Diese Vorgänge müssen im Sinne der Menschenwürde und des Rechtsstaates restlos aufgeklärt werden.
Frage: Notfalls in einem Untersuchungsausschuß des Bundestages?
WESTERWELLE: Wenn die Bundesregierung die Umstände und die Grundlagen dieser Aktionen im Dunkeln läßt, werden wir noch in diesem Monat einen Untersuchungsausschuß beantragen und auch durchsetzen. War die Verschleppung eines deutschen Staatsangehörigen einmal möglich, und wir gehen nicht entschlossen dagegen vor, dann ist die Wiederholungsgefahr groß. Die Ausrede, man foltere nicht selber, ist hier völlig inakzeptabel.
Frage: Nun fordert Bundeskanzlerin Merkel im Vorfeld ihres USA-Besuchs die Aufgabe von Guantanamo.
WESTERWELLE: Ich begrüße das ausdrücklich. Ich erwarte aber zugleich, daß sie dort, wo sie Verantwortung trägt, nicht zuläßt, daß deutsche Beamte sich in eben diesem fragwürdigen Gefangenenlager an Vernehmungen beteiligen. Das wäre ein eklatanter Widerspruch deutscher Politik. Man kann die Freiheit der Bürger nicht verteidigen, indem man sie aufgibt.