StiftungInterview

Weg von Staatskundenmentalität

Wolfgang Gerhardt
01.11.2013

Der Vorsitzende der Stiftung für die Freiheit, Wolfgang Gerhardt, hat hervorgehoben, dass es noch viel für den politischen Liberalismus in Deutschland zu tun gibt. Eine geschriebene freiheitliche Verfassung reiche allein nicht aus, um die Kernziele des Liberalismus für erreicht zu erklären. "Wir haben erfahren, dass die Entwicklung unseres Wohlstandes auch Brüche bekommen kann. Erst dann zeigt sich die wirkliche Festigkeit einer freiheitlichen Gesellschaft", stellte er klar.

Im Interview mit der Zeitung "Das Parlament" betonte Gerhardt, die Liberalen hätten sich schon immer anstrengen müssen, um die manchmal unangenehmen Botschaften ihrer Bürgerrechtstradition erfolgreich zu transportieren. "Manches, was Liberale sagen müssen, widerspricht den Zügen menschlicher Natur: zum Beispiel Minderheiten zu respektieren, mit Fremden umzugehen, ungewöhnliche Lebensformen zu akzeptieren und Unsicherheiten ertragen zu können", gab Gerhardt zu bedenken.

Er bemängelte außerdem, dass Deutschland kein besonders vorteilhaftes Land für freiheitliche Politik sei. "Zu viele verstehen sich als Staatskunden", unterstrich er. Diese erwarteten nach dem Motto "Die sollen das mal schön für mich machen", dass der Staat die wesentlichen Dinge für sie regelt, so Gerhardt. "Die Bereitschaft zur Selbstbeanspruchung ist in unserem Land nicht besonders ausgeprägt."

Nichtsdestotrotz werde die FDP als Verfechter der individuellen und gesellschaftlichen Freiheiten weiter gebraucht, ist Gerhardt überzeugt: "Ich bin sicher, dass wir einen Neuanfang schaffen werden." Es gebe noch lange keine grundsätzliche Absage an eine liberale Partei. "Eine Partei, die an der Spitze eine Equipe hat, die sich verträgt, die Vertrauen ausstrahlt und die in der Lage ist, klar zu erläutern, was die innere Philosophie liberaler Politik ist, hat das Potenzial, ein zweistelliges Wahlergebnis zu erreichen", erklärte der Liberale. Dafür müssten die Bürger die wahre liberale Marke der FDP kennenlernen – dazu gehöre nicht nur Marktwirtschaft, sondern auch starke Bildungschancen, Bürgerrechte und Datenschutz, der Rechtsstaat, internationale Orientierung und europäische Einbettung, so Gerhardt.

Angst vor Freiheit durch zeitgemäße Sozialpolitik beseitigen

Im Grunde sei die Kernfrage an den Liberalismus: "Wo schafft er die Grundlagen für eine angstfreie Gesellschaft, die von Freiheit gerne Gebrauch macht?" Gerhardt sieht darin das Feld der Sozialpolitik gefragt. "Ich meine damit nicht die traditionelle Sozialpolitik von CDU/CSU und SPD. Deren Sozialpolitik fußt einzig auf Verteilung. Was ich meine, ist eine neue Sozialpolitik über Bildung und Beschäftigungsdynamik", stellte er klar. Deutschland brauche dafür einen flexibleren Arbeitsmarkt, Chancengerechtigkeit in der Bildung und den Willen zur Innovation und Wettbewerbsfähigkeit.

In der Europapolitik zeigte sich der Stiftungschef zuversichtlich: "Es wird sich am Ende erweisen, dass der Stabilitätspakt der Euro-Zone weiterhelfen wird – jedenfalls mehr als die Forderung, Deutschland solle die D-Mark wieder einführen und Griechenland aus der Euro-Zone fliegen." Die Entwicklung in den meisten Finanzkrisenländern bewege sich schon langsam wieder nach oben und werde den Forderungen antieuropäischer Strömungen wie der AfD ihre Kraft wegnehmen. "Am Ende wird die AfD keine Karten mehr in der Hand haben, weil die Maßnahmen, die eingeleitet worden sind, erfolgreicher sind als vermutet", unterstrich der Liberale.

Mehr zum Thema

Social Media Button