18.02.2016FDPFDP

THEURER-Interview: Wir gestalten einen Politikwechsel

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied MICHAEL THEURER gab der „Rhein-Neckar-Zeitung“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte SÖREN S. SGRIES:

Frage: Herr Theurer, die CDU hat auf Ihre Wahlprüfsteine mit einem 17-seitigen „Liebesbrief“ reagiert. Gerührt über so viel Engagement des alten Partners?

THEURER: Winfried Kretschmann hat gefragt, was die Wahlprüfsteine sollen. Jetzt antworten die Grünen. SPD-Generalsekretärin Katja Mast hat gesagt, sie springen nicht über jedes Stöckchen. Auch Nils Schmid hat einen Brief geschrieben. Aber die CDU hat sich in der Tat die meiste Mühe gemacht. Das ist schon ein Signal.

Frage: Was wird Ihre Antwort sein? Ja? Nein? Vielleicht?

THEURER: Ich kann an dieser Stelle den Abstimmungen in den Landesgremien noch nicht vorgreifen. Es ist aber kein Geheimnis, dass die Übereinstimmungen mit der CDU am größten sind. Die CDU ist unser Wunschpartner – auch wenn es mit uns zum Beispiel kein Betreuungsgeld geben wird und wir für die zivile Ehe für alle Paare inklusive Adoptionsrecht unabhängig vom Geschlecht eintreten.

Frage: Eine 180-Grad-Wende, wie sie ja auch Hans-Ulrich Rülke fordert, scheint als kleinster Partner in einer Ampel mit Grün-Rot sehr schwer vorstellbar.

THEURER: Winfried Kretschmann kommt mit Grün-Rot derzeit ja auf keine eigene Mehrheit. Ohne eine inhaltliche Korrektur wird die FDP jedenfalls nicht zur Verfügung stehen. Und die Umfragen sehen uns ja im Aufwind.

Frage: Korrektur statt Wende – klingt abgeschwächt.

THEURER: Wir gestalten einen Politikwechsel – notfalls auch aus der Opposition. Derzeit erscheint es für uns schwer vorstellbar, dass Grün-Rot etwa eine 180-Grad-Wende bei der Privilegierung der Gemeinschaftsschule macht. Oder eine andere Wirtschaftspolitik akzeptiert, mit weniger Bürokratie, mit einer Überarbeitung der Landesbauordnung, mit einer Abschaffung des Bildungszeitgesetzes. Es gibt aber auch noch andere Optionen: eine schwarz-rot-goldene Deutschland-Koalition.

Frage: Wie sehen Sie die Flüchtlinge im Land: Als Chance, weil sie Arbeitskraft bringen, oder als Last?

THEURER: Solange der Zentralverband des Deutschen Handwerks darauf hinweist, dass 17 000 Lehrstellen unbesetzt sind, solange Heidelberger Unternehmer sich Lehrlinge in Spanien suchen müssen, so lange sind junge Menschen, die beispielsweise aus Syrien kommen, ein Gewinn.

Frage: Gleichzeitig gibt es sehr scharfe Kritik seitens der FDP an Merkels Flüchtlingspolitik.

THEURER: Ja. Angela Merkel hat einen sehr großen Fehler gemacht mit ihrer einseitigen, europäisch nicht abgestimmten Einladung der Flüchtlinge aus Ungarn. Dies hat zu einer Kettenreaktion geführt, die jetzt zu einer schleichenden Erosion des Rechtsstaats führt. Dublin wurde ausgehebelt. Schengen ausgesetzt. Jetzt geht es an die Eigentumsgarantie im Grundgesetz durch die Beschlagnahmebeschlüsse etwa in Stuttgart oder Äußerungen des Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer.

Frage: Trotz Merkel-Kritik sagen Sie nicht „Wir schaffen das nicht“. Sondern?

THEURER: Wir haben vier Maßnahmen formuliert: Bekämpfung der Fluchtursachen. Besserer Schutz der Außengrenzen mit EU-Küstenwache und EU-Grenzschutzpolizei. Gerechtere Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU. Und viertens müssen die Menschen, die eine Bleibeperspektive haben, schnellstmöglich in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Frage: Aktuell wurden Regelungen für die Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei verabredet. Ist damit nicht das Maximum an EU-Einigung erreicht?

THEURER: Nicht die EU versagt, sondern die Nationalstaaten. Ein kleines Land wie Slowenien käme in der Flüchtlingsfrage doch ohne EU nicht besser zurecht, wenn schon Deutschland an seine Leistungsgrenzen stößt. Die EU-Regierungschefs müssen den Mut aufbringen, gemeinsame Lösungen voranzutreiben.

Frage: Stattdessen spüren wir gerade die „Rache“ der EU-Partnerländer ...

THEURER: Wir fordern heute die Solidarität ein, die wir vor Jahren selber nicht bereit waren zu geben. Freundliche Grüße nach München: Manche, die heute am lautesten schreien, saßen damals im Bremserhäuschen. Griechenland und Italien haben schon im Jahr 2010/11 um Hilfe gebeten. Der Ruf verhallte unerhört.

Frage: Wie ist die Signalwirkung, die von Rückschlägen für die deutsche Flüchtlingspolitik – beispielsweise in der Silvesternacht oder durch ein Erstarken der AfD – ausgeht?

THEURER: Deutschland ist ein Land des positiven Beispiels. Viele Kollegen im Europaparlament begegnen uns mit Bewunderung angesichts des großen ehrenamtlichen Engagements. Gleichzeitig fragen sie, wie lange wir das noch durchhalten. Da werden natürlich auch Wahlergebnisse genau beobachtet. Wenn in Deutschland die demokratische Mitte gestärkt wird, ist das ein Signal nach Europa.

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