29.03.2014FDPEuropa

THEURER-Interview für die „Eßlinger Zeitung“

Berlin. Das FDP- Präsidiumsmitglied Michael Theurer gab der „Eßlinger Zeitung“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Oliver Stortz:

Frage: Das Bundesverfassungsgericht hat die Drei-Prozent-Hürde bei den Europawahlen jüngst gekippt. Sind Sie erleichtert?

Theurer: Die FDP hat im Bundestag für die Beibehaltung der Fünf-Prozent-Hürde und später für die Drei-Prozent-Hürde gestimmt. Wir sind nach wie vor der Überzeugung, dass eine Zersplitterung des Parteienspektrums wie in der Weimarer Republik falsch wäre. Es steht mir nicht zu, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu kommentieren. Allerdings sind wir mit dem Ergebnis nicht unbedingt glücklich ...

Frage: Weil Prozenthürden auch ein Mobilisierungsmoment für die eigene Klientel sind?

Theurer: Die Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments ist das Entscheidende. In der jüngsten Plenarwoche in Straßburg hatten wir sehr knappe Abstimmungen, teils wurden Anträge mit Stimmengleichheit abgelehnt. Es kommt auf jede Stimme an – es ist nicht egal, wer ins europäische Parlament gewählt wird.

Frage: Die Karlsruher Richter sehen das anders: Sie halten es für ziemlich egal, wer ins Parlament gewählt wird – weil sie es ohnehin für kraft- und machtlos erachten.

Theurer: Offenbar ist die Bedeutung des Europäischen Parlaments in der Bundesrepublik noch nicht so bekannt, wie wir als Abgeordnete es wahrnehmen. Das Parlament ist die einzige Institution, die den Kommissionspräsidenten und damit die ganze EU-Kommission abwählen kann. Seit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags 2009 tritt kein europäisches Recht mehr in Kraft, dem das Parlament nicht zugestimmt hat. Wir sind die Bürgerkammer.

Frage: Konservative und Sozialdemokraten inszenieren den Europawahlkampf als Duell zwischen Jean-Claude Juncker und Martin Schulz. Ihr liberaler Spitzenmann Guy Verhofstadt steht im Schatten dieses Zweikampfs.

Theurer: Es ist ein Skandal, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland nach amerikanischem Muster nur die Spitzenkandidaten der beiden größeren Fraktionen zur Diskussion einladen. Unser liberaler Spitzenkandidat Guy Verhofstadt hat nach meiner Prognose gute Chancen, Kommissionspräsident zu werden, wenn Konservative und Sozialdemokraten etwa gleich stark abschneiden.

Frage: Europa wird oft mit Bürokratie und Gängelung in Verbindung gebracht – ein Beispiel aus der zu Ende gehenden Wahlperiode: der Versuch, die Öl-Kännchen in Restaurants europaweit zu normen. Was muss das Parlament in der nächsten Legislatur leisten, um das Image der EU zu verbessern?

Theurer: Leider stimmt der Eindruck der Bürgerinnen und Bürger zum Teil. Der eine oder andere Vorschlag der Europäischen Kommission ist bürokratisch. In der Vergangenheit wurden Gesetzesgrundlagen wie die Ökodesign-Richtlinie geschaffen, die zum Glühbirnenverbot geführt hat. Wer dagegen ist, dass die EU energieintensive Staubsauger verbietet, ist bei der FDP richtig. Wir haben dagegen gestimmt. Wir wollen dem Ökodirigismus Einhalt gebieten. Allerdings ist das kein Argument gegen die EU. Solche Denkweisen gibt es auch in Berlin und Stuttgart.

Frage: Der jüngste Vorstoß der Kommission, die Regeln für Bio-Lebensmittel zu verschärfen, scheint gut gemeint. Ausgerechnet kleine, regionale Erzeuger, die seit jeher freiwillig nach noch strengeren Richtlinien produzieren, bangen jetzt vor überbordenden teuren Kontrollen.

Theurer: Die FDP will, dass die EU groß ist in großen Fragen und klein in kleinen Fragen. Wir sind der Meinung, dass viele Dinge nicht geregelt werden müssen. Auch im Bereich des Verbraucherschutzes wird zu viel des Guten getan.

Frage: Nach Baden-Württemberg: Seit fünf Monaten sind sie Landeschef der Südwest-Liberalen. Gab es schon Momente der Reue?

Theurer: Ich hatte seit meiner Wahl gar keine Zeit zum Nachdenken.

Frage: Die Gräben im Landesverband waren in der Vergangenheit tief, ihre Vorgängerin Birgit Homburger war so streitbar wie umstritten. Eint die desolate Lage die Partei?

Theurer: Der Landesparteitag in Filderstadt und der Bundesparteitag in Berlin waren Aufbruchsignale. Die Delegierten hatten den Eindruck, es gibt eine schonungslose Analyse der Gründe, die zur Wahlniederlage bei der Bundestagswahl geführt haben. Im Land freut sich die FDP über 300 Neumitglieder. Wir sehen die einzige Chance darin, dass wir eine echte Bürger- und Mitmachpartei werden.

Frage: Mit Blick auf die Landtagswahl 2016 wollen sie sich nicht auf die CDU als Partner festlegen. Angesichts der krawalligen Opposition im Landtag braucht es viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass Sie und Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke einmal mit Winfried Kretschmann und Nils Schmid am Kabinettstisch sitzen werden. Wie passt das zusammen?

Theurer: Die enge Anlehnung an die Mappus-CDU war schon im Landtagswahlkampf 2011 ein Fehler und die Nibelungentreue zur Merkel-CDU hat sich für die FDP nicht ausgezahlt. Deshalb müssen wir künftig Wert auf politische Eigenständigkeit legen. Das heißt für uns, eine konstruktive Oppositionsrolle zu spielen, knallhart den Ministerpräsidenten zu stellen – es ist Aufgabe der Opposition, zu kontrollieren und zu kritisieren – aber auch thematisch Angebote zu machen.

Frage: Zum Beispiel?

Theurer: Die FDP hat die Direktwahl der Landräte in den Landtag eingebracht und wir wundern uns schon, warum Grün-Rot dieses Vorhaben nicht unterstützt. Wir haben auch die Absenkung der Quoren bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in den Kommunen vorangebracht und kämpfen jetzt für die Stärkung der direkten Demokratie bei Volksentscheiden auf Landesebene. All das zeigt, dass die FDP sowohl mit Grün-Rot zusammenarbeiten kann als auch mit der CDU.

Frage: Grün-Rot hat diese Woche den dritten Jahrestag des Wahlsiegs von 2011 gefeiert – wollen Sie die Gelegenheit nutzen, um ein lange aufgespartes Lob loszuwerden?

Theurer: Die Welt ist nicht untergegangen, als Grün-Rot an die Regierung kam. Aber wir sehen mit großer Sorge, dass Diskussionen immer stärker ideologisch geführt werden ...

Frage: ... den Vorwurf der Ideologie erhebt in der Landespolitik mittlerweile fast täglich jeder gegen jeden.

Theurer: Offensichtlich spielen ideologische Überlegungen eine zu große Rolle. Die Liberalen nehmen für sich in Anspruch, gerade im Bereich Bildung die einzigen zu sein, die eine ideologiegeprägte Strukturdebatte durch die Verbesserung der Qualität in den Schulen ersetzen wollen. Guter Unterricht ist in einer Gemeinschaftsschule möglich, aber eben auch in einer Hauptschule mit Werkrealschule. Wir wollen die Rechte der Eltern und Kommunen stärken. Vom Ministerpräsidenten erwarten wir, dass er sich in der eigenen Koalition durchsetzt und stärker moderiert und integriert. Mit diesem Anspruch ist er schließlich gewählt worden.

Frage: Als Zweitplatzierter auf der Europaliste ist Ihnen persönlich ein Wiedereinzug ins Europäische Parlament sicher. Trotzdem kandidieren Sie am 25. Mai überraschend auch für den Gemeinderat ihrer Heimatstadt Horb. Bereitet der Ex-OB ein Comeback als Kommunalpolitiker vor?

Theurer: Als Europaabgeordneter war es mir über die vergangenen fünf Jahre wichtig, die Bodenhaftung zu behalten. Unter anderem durch mein Kreistagsmandat. Die Erfahrungen aus der Kommunalpolitik sind für die Arbeit wichtig. Ich war der erste Bürgermeister aus Baden-Württemberg, der ins Europäische Parlament gewählt wurde, diese Perspektive ist da unterbelichtet. Bei der Kommunalwahl am 25. Mai geht es mir aber auch darum, als Landesvorsitzender mit gutem Beispiel voranzugehen. Für die FDP sind die Europa- und Kommunalwahlen ein Stück weit auch Schicksalswahlen.

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