SUDING-Interview: Wir wollen, dass die Menschen auf eigenen Füßen stehen
Die stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Katja Suding gab der „Schwäbischen Zeitung“ (Samstagsausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Hendrik Groth und Sebastian Heinrich.
Frage: Frau Suding, im Europawahlkampf hat die FDP momentan offenbar vor allem ein Lieblingsthema: Den französischen Präsidenten Emmanuel Macron, den ihr Parteichef Christian Lindner immer wieder lobt. Dabei hat Macron inzwischen ernsthafte innenpolitische Probleme. Setzen Sie da auf einen Partner auf dem absteigenden Ast?
Suding: Nein, ganz und gar nicht. Macron stößt in Frankreich Reformen an, mit viel Mut. Das erzeugt natürlich viel Gegenwind. Dennoch ist er der Richtige, um Frankreich wirklich nach vorne zu bringen, nach vielen Jahren des Stillstands oder sogar des Rückschritts. Wir haben uns entschlossen, mit ihm und anderen liberalen Partnern in Europa in den Europawahlkampf zu ziehen, weil uns Grundüberzeugungen einen, aber auch Positionen zu wichtigen Themen wie Asylpolitik, Verteidigungspolitik, Binnenmarkt und Freihandel. Deshalbmacht es Sinn, gemeinsam zu kämpfen. Unser Ziel ist, zweitstärkste Kraft in Europa zu werden – um diesen Zustand zu beenden, in dem sich Sozialdemokraten und Christdemokraten im Europaparlament die Bälle zuspielen und die Macht aufteilen.
Frage: Über eines der Themen, das für Sie persönlich sehr wichtig ist, wird auch im Süden gerade wieder heiß diskutiert: Bildung. Der Streit um den Bildungsföderalismusläuft wieder, Sie sind – wie die FDP allgemein – dafür, das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern aufzuheben. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann lehnt aber weitere Eingriffe des Bundes in die Bildungspolitik ab, die bayerische Staatsregierung auch. Deren Argument: Die Länder machen das besser alleine. Erklären Sie unseren Lesern, warum für Sie beide falsch liegen.
Suding: Für Herrn Kretschmann sind solche Aussagen gefährlich. Unter seinen Regierungen haben sich die Schüler in Baden-Württemberg im Pisa-Rankingverschlechtert. Wir setzen uns seit Langem für eine Reform des Bildungsföderalismus ein. Wir wollen, dass der Bund nicht nur in Beton und Kabel, sondern auch in Köpfe investiert werden kann. Und dem sollten die Länder im Bundesrat zustimmen. Laut aktuellen Zahlensagen 83 Prozent der Bundesbürger, dass der Bildungsföderalismus so nichtzukunftsfähig ist, 72 Prozent fordern, dass sich der Bund stärker engagiert. Die Menschen wissen sehr gut, dass es keinen Unterschied machen darf, auswelchem Bundesland ein Schülerkommt. Der Bund muss dafür sorgen, dass es einheitliche Standards gibt. Ich kann da nur an die Ministerpräsidenten der Länder appellieren, eigene Befindlichkeiten zurückzustellen und die Grundgesetzänderung anzunehmen – damit der Digitalpakt jetzt endlich kommenkann.
Frage: Grundsätzlich fordert die FDP mehr Investitionen in Bildung, aber auch in Infrastruktur. Auf der anderen Seite machen Sie sich stark für Steuersenkungen, für die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für alle – und wollen die schwarze Null. Wie soll das zusammenpassen – wenn Sie nicht im Sozialbereich bei den Schwächsten sparen wollen?
Suding: Ganz einfach: Indem wir auf teure, aber sinnlose Leistungen wie das Baukindergeldverzichten. Oder auf das Gute-Kita-Gesetz, das viele Länder dazu nutzenwerden, die Kita-Beiträge auch für gutverdienende Menschen abzuschaffen, ohne aber die Qualität der Kitas zu steigern. Die Ideen der Großen Koalition zur Rente waren und werden sehr teuer. Kurzum: Da werden Milliarden verpulvert. Wir müssen die Priorität daraufsetzen, Deutschland wettbewerbsfähig zu machen – und das Erwirtschaften wieder vor das Verteilen setzen. Und dazu gehört weltbeste Bildung. Das entspricht unserem Menschenbild: Wir wollen Menschen fordern und fördern, damit sie auf eigenen Füßen stehen können. Das linke Menschenbild halte ich dagegen ehrlich gesagt für ziemlich asozial: Wir geben dir Sozialleistungen, bleib’ mal schön auf dem Sofa. Für uns sind gute Sozialpolitik vor allem gute Schulen und Hochschulen, nur so gibt es Chancengerechtigkeit von Beginn an.
Frage: Eines ist seit Monaten auffällig bei Interviews mit FDP-Spitzenpolitikern. Sie vergleichen immer wieder – mal deutlicher, mal weniger deutlich – die Grünen und die AfD. „AfD und Grüne nehmen sich nichts“, sagte Wolfgang Kubicki zum Beispiel im Dezember über das Verhalten beider Parteien im Bundestag. Ist das Ihr Weg, gegen die Enttäuschung anzukämpfen, dass die Grünen von der Krise der Volksparteien stärker profitieren als die FDP?
Suding: Wolfgang Kubicki ging es dabei um den Stil der Auseinandersetzung. Da empfehlen wir mehr Coolness. Und natürlich greifen wir die Grünen an, sie sind ja ein politischer Gegner. Aber ich sitze neben der AfD im Bundestag, was man da hört, ist teilweise widerlich und beschämend. Niemand kann da auf die Idee kommen, die Grünen und die AfD in einen Topf zu werfen.
Frage: Wurmt es Sie nicht, dass die Grünenmomentan viel stärker von der Schwäche von Union und SPD profitieren als Ihre Partei?
Suding: Nein. Ich bin mir sicher, dass die Grünenihren Höhenflug nicht halten werden. Die sind momentan in der komfortablen Situation, dass sie gar nicht konkret werden müssen. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagt zum Beispielerst, dass Abschiebungen konsequenter durchgeführt werden müssen – wenig später aber redet sie gegen eine Maßnahme an, die Abschiebungen konkret erleichtern würde: nämlich die Ausweisung der sicheren Herkunftsstaaten. Aber je näher die Wahlen rücken und je konkreter sich die Parteien festlegen müssen, desto mehr wird das auffallen. Dann kann auch Robert Habeck nicht mehr minutenlang in schönen Worten vom Zusammenhalt der Gesellschaft sprechen, ohne eine einzige konkrete politische Forderung zu stellen.