31.08.2013FDP

RÖSLER-Interview für die "Aachener Zeitung"

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende Bundeswirtschaftsminister DR. PHILIPP RÖSLER gab der "Aachener Zeitung" (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte PETER PAPPERT:

Frage: Was macht Sie so sicher, dass Schwarz-Gelb am Abend des 22. September eine Mehrheit hat?

RÖSLER: Hinter uns liegen vier gute Jahre - niedrigste Arbeitslosigkeit, höchste Beschäftigungszahl, Wachstumswerte, um die uns unsere Nachbarn beneiden, ein starker Mittelstand, wie es ihn nirgendwo sonst in der Welt gibt. Und wir stehen dafür, dass es so bleibt.

Frage: Ein Drittel der Wähler ist angeblich noch unentschlossen. Mit welcher Botschaft wollen Sie die überzeugen?

RÖSLER: Keine neuen Schulden, keine neuen Steuern, Abbau des Solidaritätszuschlags. Deshalb werben wir um die Zweitstimme für die FDP. Sonst droht die Gefahr, dass Rot-Rot-Grün kommt.

Frage: Ist diese Behauptung mehr als eine Wahlkampfparole? Die Absagen von SPD und Grünen sind eindeutig.

RÖSLER: Aus der SPD gibt es viele gegensätzliche Aussagen dazu. Und was von Absagen zu halten ist, hat Frau Kraft 2010 in Nordrhein-Westfalen gezeigt. Im Bundesrat arbeitet SPD-Chef Gabriel längst mit Rot-Rot-Grün. Er kann als Parteichef nur bestehen, wenn er die SPD - auch bei einem schlechten Ergebnis - in die Regierungsverantwortung führt.

Frage: Gerechtigkeit ist ein bestimmendes Thema des Wahlkampfs. Können Sie kurz definieren, was Sie unter Gerechtigkeit verstehen?

RÖSLER: Ist das wirklich das dominierende Thema? Die SPD versucht, es dazu zu machen. Wir werden am Dienstag über den strukturell ausgeglichenen Haushalt für 2014 - den ersten seit mehr als 40 Jahren - im Bundestag debattieren. 2015 werden wir den ersten Haushalt seit 50 Jahren ohne neue Schulden haben. Das ist Generationengerechtigkeit. Wir stellen uns diesem Thema gern.

Frage: Knapp ein Viertel der Beschäftigten in Deutschland arbeitet für Niedriglohn von weniger als 9,54 pro Stunde, sagt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), eine Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Ist das - auch mit Blick auf das andere Ende der Einkommensskala - gerecht?

RÖSLER: Die Zahl der atypisch Beschäftigten (unterer Lohnbereich, Teilzeit) sinkt; derzeit sind es zwölf Prozent. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt.

Frage: Das ändert nichts an den Zahlen des IAB.

RÖSLER: Es ist nicht Aufgabe der Politik, die Höhe der Löhne festzulegen. Das müssen die Tarifparteien machen.

Frage: Warum sind Sie gegen den Mindestlohn?

RÖSLER: Wir sind gegen einen gesetzlichen, flächendeckenden, einheitlichen Mindestlohn. Der Staat muss sich aus der Lohnfindung heraushalten. Wir setzen auf die Tarifpartnerschaft, die uns 60 Jahre Wohlstand garantiert hat. Es gibt aber Regionen vor allem in den neuen Bundesländern, wo es diese Partnerschaft aus historischen Gründen nicht gibt. Die Menschen dort dürfen wir nicht im Stich lassen. Um die müssen wir uns kümmern. Dafür haben wir ein Kommissionsmodell vorgelegt.

Frage: Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung vom März spricht von einer "sehr ungleichen Verteilung der Privatvermögen". Ist das gerecht?

RÖSLER: Das kann man pauschal nicht beantworten. Es kommt darauf an, wie diese Verteilung zustande gekommen ist. Wenn sie ohne eigene Leistung zustande kommt, wäre das ungerecht. Wenn aber jemand viel leistet und dafür viel bekommt, kann das gerecht sein.

Frage: Viele Menschen haben den Eindruck, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht.

RÖSLER: Der Eindruck ist falsch. Die Schere geht nicht auseinander. Ich kann nicht bestätigen, dass viele Menschen hierzulande Ungerechtigkeit als ein entscheidendes Thema in unserer Gesellschaft sehen.

Frage: Heißt das, Sie nehmen das nur zur Kenntnis?

RÖSLER: Nein. Wir wollen Chancengerechtigkeit: Jeder soll die Chance haben, einen guten Arbeitsplatz zu finden und Geld zu verdienen. Darauf konzentrieren wir uns.

Frage: Wie steht es denn um die Chancengerechtigkeit? Kinder von Akademikern studieren sechs Mal so häufig wie Arbeiterkinder. 20 Prozent der 15-Jährigen lesen und schreiben auf Grundschul-Niveau.

RÖSLER: Das ist primär Ländersache. Gerade dort, wo Rot-Grün regiert, wird bei Schule und Bildung gespart. Das ist falsch. In Hessen, wo die FDP mitregiert, wird in diesem Bereich nicht gespart. Für eine bessere Bildung sind Ausgaben gerechtfertigt. Aber der Bund ist eben nicht der erste Ansprechpartner.

Frage: Der Bundesminister und FDP-Bundesvorsitzende hat doch Einfluss.

RÖSLER: Wir investieren auch auf Bundesebene in Bildung, Forschung und Innovation, in die Hochschulen, in die Exzellenz-Initiative. Bei mir im Ministerium gibt es einen Beirat Junge Digitale Wirtschaft; der will Kontakte zu Schulen aufbauen. Viele mittelständische Unternehmen sind da aktiv und wollen junge Menschen für Technologie begeistern.

Frage: Die Region Aachen sieht sich als Wissenschafts- und Technologie-Region. Was tun Sie für neue innovative Startups?

RÖSLER: Wir haben in Deutschland jedes Jahr 9.000 Startup-Gründungen. Mein Ziel sind 18.000 bis zum Jahr 2020. Der Beirat sieht die größten Herausforderungen darin, Fachkräfte zu bekommen und Unternehmungen zu finanzieren. Dazu brauchen wir Zuwanderung nicht nur im akademischen Bereich. Die FDP will mehr Zuwanderung in den ersten Arbeitsmarkt. Es gibt einen Hightech-Gründerfonds von Bund und Unternehmen mit knapp 500 Millionen Euro, mit dem wir junge Unternehmen unterstützen. Das Programm "Exist" unterstützt neue Unternehmen, die direkt aus der Universität kommen. Das sind nur zwei Beispiele.

Frage: Wie sehen Sie die Aachener Region in diesem Bereich?

RÖSLER: Ihre Stärke liegt in der digitalen Welt, die sich an der Industrie-Anwendung orientiert. Das liegt an den starken Ingenieurwissenschaften.

Frage: Bei vielen Ihrer Ziele setzen Sie auf Wachstum. An welches Wachstum denken Sie?

RÖSLER: Die Zukunft der deutschen Wirtschaft liegt darin, einen starken industriellen Kern zu erhalten und weiter zu modernisieren. Die klassische Industrie und alle Teile der Wirtschaft müssen wir mit der digitalen Welt verbinden. Das ist nach Dampfmaschine, Fließband und Automatisierung die vierte industrielle Revolution. Das ist das künftige Wachstumsfeld.

Frage: Ist für Sie persönlich die Natur, in der die Grenzen von Lebensräumen respektiert werden, ein Orientierungsmaßstab? Oder gilt die Devise, dass Wirtschaft und Wohlstand immer wachsen müssen?

RÖSLER: Die Grundidee der Nachhaltigkeit stammt aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts und hieß bei den Land- und Forstwirten: Man darf im Wald nur so viel Holz schlagen, wie nachwächst. Zum gesunden Wirtschaften gehört immer Nachhaltigkeit; es ist um Ausgleich und Generationengerechtigkeit bemüht. Auch das gehört zur Sozialen Marktwirtschaft.

Frage: Werden Sie, wenn Sie weiter regieren sollten, an den Regelungen zur Zeit- und Leiharbeit etwas verändern, wie es von großen Teilen der CDU gefordert wird?

RÖSLER: Es gibt zum Beispiel bei Automobilzulieferern großen Bedarf an Flexibilität - nicht um reguläre Arbeitsverträge zu umgehen, sondern um Produktionsspitzen kurzfristig abzudecken; das ist volkswirtschaftlich richtig und notwendig. Gegen Missbrauch muss die Politik einschreiten.

Frage: Und ist das nötig, wie die CDU meint?

RÖSLER: Die CDU muss dann schon konkret werden. Wenn es Missbrauchsfälle gibt, muss man etwas tun. Allein die Zunahme von Zeit- und Leiharbeit ist nicht zwangsläufig ein Zeichen von Missbrauch.

Frage: Die Kanzlerin denkt mittlerweile auch an eine Mietpreisbremse?

RÖSLER: In manchen Ballungszentren gibt es zu wenig preiswerten Wohnraum. Wer das ändern möchte, muss für ein größeres Angebot sorgen. Das ist ein klarer marktwirtschaftlicher Ansatz. Die Mietpreisbremse schafft nicht eine einzige neue Wohnung. Im Gegenteil: Sie kann schädlich sein, weil sie investitionsfeindlich wirkt. Dabei brauchen wir Investitionen in günstigen Wohnraum.

Frage: Wie ist das Verhältnis zwischen der mächtigen Bundeskanzlerin und dem jungen FDP-Granden?

RÖSLER: Wir treffen uns vor jeder Kabinettssitzung, wir telefonieren mehrmals in der Woche. Auch während der für die FDP nicht einfachen Phase konnte ich mich immer auf sie verlassen. Ich kenne kaum eine Persönlichkeit in der Politik, die so sachkundig und so unideologisch im positiven Sinne ist. Kurz, wir haben ein sehr gutes Verhältnis.

Frage: Entsprang die Solidarität der Kanzlerin mit Ihnen und den Liberalen in der Zeit, als sich die FDP fast selbst zerlegt hat, wirklich persönlicher Sorge oder mehr der Angst um den Bestand ihrer Regierung?

RÖSLER: Aus reiner Menschenliebe wird unter Politikern eher selten gehandelt - aber auch nicht nur aus Berechnung. Es ist immer ein bisschen von beidem.

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