REDE von Dr. Guido Westerwelle, MdB FDP-Bundesvorsitzender auf dem Kongreß "Energie ist Freiheit" des FDP-Bürgerfonds
Anrede,
ich möchte den niedersächsischen Umweltminister, Hans-Heinrich Sander, entschuldigen. Er wäre sehr gerne hier gewesen. Schwarz-Gelb hat zwar im niedersächsischen Parlament eine Mehrheit. Aber eine Rot-Grüne Minderheit kann auch dort einiges verhindern, so zum Beispiel die Anwesenheit von Hans-Heinrich Sander hier in Berlin. Ich darf Ihnen aber seine herzlichsten Grüße übermitteln.
Für viele ist ein liberaler Umweltminister wie Hans-Heinrich Sander ein Exot. Dabei geht die Tradition von Umweltministern auf einen Liberalen zurück. Der erste Umweltminister auf Bundesebene war der Innenminister Hans-Dietrich Genscher.
Liberale habe eine klare Auffassung vom Verhältnis zwischen Wirtschaft und Umwelt. Natürlich ist auch ein Ordnungsrahmen notwendig. Aber für uns ist eine gute Ökologie zugleich langfristige Ökonomie. Für uns gibt es nicht den Gegensatz zwischen Wirtschaft und Umwelt. Wir wollen mit neuen Technologien, mit mehr Investitionen in Forschung, mit der Wirtschaft und den Bürgern eine neue Umweltpolitik für Deutschland erreichen.
Die Liberalen setzen der ökologischen Staatswirtschaft der guten Absichten die ökologische Marktwirtschaft der guten Ergebnisse entgegen. Nachhaltiger Umweltschutz braucht Wachstum und moderne Technologie. Wir müssen das Ende von Rot-Grün zu einem neuen Anfang für die Umwelt- und Energiepolitik nutzen. Deswegen sind wir Freien Demokraten bereit zu einem neuen Anfang für eine ideologiefreie Energiepolitik.
Anrede,
eigentlich ist die Unterzeile in der Einladung "Welche Energieform bringt uns ins Dritte Jahrtausend?" irreführend. Es geht um Energieformen, um Energiemix. Es geht nämlich jetzt gerade darum, einseitige ideologische Bevorzugungen und Benachteiligungen zu beenden. Die bisherige Diskussion über Energieformen in Deutschland war eine Diskussion gegeneinander. Die politischen Vertreter für regenerative Energien waren die Gegner von Atomenergie. Und die Befürworter von Atomenergie wurden als Gegner von regenerativen Energien gesehen. Ideologie macht Energie teurer und die Umwelt schlechter. Deswegen brauchen wir einen neuen Anfang, ohne Vorurteile, mit dem Vorrang für Vernunft in der Energiepolitik.
Es geht darum, bei diesem Kongreß, wie wir die verschiedenen Energieformen ökologisch und ökonomisch optimieren. Beispiel Kernenergie: In Deutschland plant niemand derzeit, ein neues Kernkraftwerk zu bauen. Aber die Laufzeiten bestehender Kernkraftwerke in Deutschland zu verkürzen, wäre ökonomisch und ökologisch der falsche Weg. Es würde, erstens, Energie in Deutschland teurer machen und es würde, zweitens, den Klimaschutz verschlechtern. Während die USA und Frankreich die Laufzeiten ihrer Kernkraftwerke verlängern, weltweit auch neue Kernkraftwerke in den Wachstumsregionen gebaut werden, braucht Deutschland auch die zivile nukleare Technologie, insbesondere auch die hohen Sicherheitsstandards dieser Technologie, die wir in Deutschland entwickelt haben.
Wir wollen einen größeren Anteil regenerativer Energien an der Versorgung in Deutschland. Die Fragen, die wir hier stellen, sind: Wie kommen wir weg von einer ideologisch motivierten Übersubventionierung von Windenergie dort, wo der Wind nicht ausreicht? Wie können wir Solarenergie fördern, die nicht nur den heimischen Markt bedient, sondern vor allen Dingen auch eine technologische Exportchance ist?
Wenn wir die Ideologie aus allen Debatten herausnehmen, dann ergeben sich neue Chancen. Der wirtschaftliche Gewinn für betriebswirtschaftlich sinnvolle Laufzeiten von Kernkraftwerken ist auch eine Chance für mehr Forschung und Förderung von erneuerbaren Energien.
These 1
Der Schlüssel für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung, für mehr Wachstum und Beschäftigung liegt in einer nachhaltigen Energieversorgung.
Die Energieversorgung ist die Lebensader unserer Volkswirtschaft. Sie betrifft alle Sektoren: den Verkehr, die Industrie, den Bereich Gewerbe, Handel und Dienstleistungen und die privaten Haushalte. Von ihr hängt die gesunde Entwicklung unseres Landes ab. Deshalb muß sie nachhaltig angelegt sein. Die Nachhaltigkeit ist die Grundlage unserer Energieversorgung.
These 2
Drei Orientierungspunkte einer nachhaltigen Energieversorgung sind
1. Wirtschaftlichkeit,
2. Versorgungssicherheit und
3. Umweltverträglichkeit.
Kein Ziel darf dem anderen vorgezogen werden, keines darf als nachrangig eingestuft werden. Dogmatisches Vorgehen schadet der Sache. Eine ideologische Energiepolitik macht Energie nicht besser, aber teurer.
Für eine wirtschaftliche, d.h. effiziente Energiebereitstellung und Energienutzung sind marktwirtschaftliche Strukturen am besten geeignet.
Denn der Markt schafft die notwendigen Rahmenbedingungen, um den Wettbewerb zu fördern.
Für die Funktionsfähigkeit des liberalisierten Strom- und Gasmarktes wird der Einsatz neuer Strategien und Instrumente entscheidend sein. Mit dem Energiewirtschaftsgesetz, das im Juli 2005 verabschiedet worden ist, sind neue Wege eröffnet worden. Jetzt kommt es darauf an, geeignete Regeln für die Netzregulierung zu entwerfen und durchzusetzen. Die Stellschrauben für die Netzregulierung müssen richtig justiert werden, damit Preissignale gegeben werden, die ein Mehr an Wettbewerb ermöglichen und Neuanbietern eine verläßliche Chance für den Markteintritt geben. Die Einführung einer Anreizregulierung und eine gut funktionierende Bundesnetzagentur sind entscheidend für den Erfolg der zukünftigen Regulierung unserer Netze.
These 3
Die Versorgungslage ist um so sicherer, je vielfältiger der Energiemix ist und je mehr Bezugsquellen überall auf der Welt genutzt werden.
Energie muß in der nachgefragten Menge am Markt vorhanden sein. Versorgungssicherheit bedeutet, daß jederzeit - unabhängig von Wetter und Kalender - die Energierohstoffe, ausreichende Erzeugungskapazitäten und eine verläßliche und intelligente Infrastruktur zur Speicherung und Transport von Brennstoffen vorhanden sind. Als rohstoffarmes Land ist Deutschland in besonderem Maß auf Importe angewiesen. Die Produktion von heimischen Energieträgern reicht nicht aus, um den Bedarf zu decken. Heute liegt der Importanteil bereits bei 85%. Rußland spielt mit einem Anteil von mehr als einem Drittel die dominierende Rolle. Aus der russisch-ukrainischen Gaspreiskontroverse kann Deutschland lernen. Es muß begreifen, daß Rohstoffknappheit zu Abhängigkeiten führen kann, die durchaus politisch eingesetzt werden. Nichts anderes hat Rußland gegenüber der Ukraine getan. Deshalb sind wir gut beraten, wenn wir einseitige Abhängigkeiten verhindern oder sie zumindest reduzieren. International muß die Energieversorgung Deutschlands weiter sein, aber eben auch mit international verläßlichen Partnern.
These 4
Steuern, Abgaben und Überwälzungskosten überfrachten die Energiepreise und gefährden die Wirtschaftlichkeit der Energieversorgung.
In der Diskussion um eine wirtschaftliche Bereitstellung von Energie gehört auch die Frage nach der Belastung der Energiepreise durch staatliche Vorgaben. Schon heute beträgt der Staatsanteil mehr als 40% der Kosten bei Gas- und Stromlieferungen. Der Grund dafür liegt neben der Steuerbelastung und den Kosten für die Konzessionsabgabe hauptsächlich in den Überwälzungsmechanismen des EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) in Form von Einspeisevergütungen. Die deutschen Strompreise sind im europäischen und internationalen Vergleich zu hoch. In der energie-intensiven Industrie sind die deutschen Standortbedingungen Arbeitsplatzvernichter.
These 5
Wir brauchen einen vernünftigen Energiemix aus fossilen Energieträgern, aus Kernenergie und erneuerbaren Energien.
Kein Energieträger und keine Energieform darf dem oder der anderen gegenüber ideologisch vorgezogen werden. Nur aus der Addition aller verfügbaren Energieträger und -formen gelingt ein vernünftiger Energiemix.
Zur ehrlichen Auseinandersetzung und Diskussion über den Energiemix der Zukunft müssen ideologische Barrieren fallen. Was wir brauchen, sind klare politische Rahmenbedingungen, die den Unternehmen sämtliche Optionen wirtschaftlichen Handelns ermöglichen. Es ist nicht Aufgabe des Staates, sondern der Unternehmen, über die Laufzeiten ihrer Industrieanlagen zu entscheiden.
Kohle wird mittelfristig weiterhin eine große Rolle spielen. Dabei ist die heimische Braunkohle als wettbewerbsfähiger Energieträger eine wesentliche Säule der heimischen Energieversorgung, die auch in den nächsten Jahrzehnten unsere Grundlast absichert.
Inwieweit dies auch auf die heimische Steinkohle zutrifft, wird das Spitzengespräch zur Zukunft der heimischen Steinkohleförderung zeigen. Der Ausstiegsbeschluß der nordrhein-westfälischen Landesregierung aus der subventionierten heimischen Steinkohleförderung muss Gradmesser für den endgültigen Konsens sein. Daß sich die RAG mit ihrem geplanten Börsengang auf eine ganz klar marktwirtschaftliche Grundlage stellen will, ist eine gute Strategie für die Zukunft dieses Unternehmens.
Die hohe Versorgungssicherheit und die Einhaltung der CO2-Minderungsziele in Deutschland sind ohne den Einsatz der Kernenergie undenkbar. Der Kernenergieausstiegsbeschluß der rot-grünen Bundesregierung hat verheerende volkswirtschaftliche Konsequenzen. Kapital wird vernichtet. Klar ist schon heute, daß die Strompreisentwicklung negativ beeinflußt werden wird. Die Erfüllung von Klimaschutzzielen wird massiv gefährdet sein. Die Sicht über deutsche Grenzen zeigt mögliche Alternativen der Energieversorgung der Zukunft. Denn dort erfährt die Kernenergie eine Renaissance: Schweden verfolgt seinen Ausstiegsbeschluß nicht weiter, Finnland baut mit französischer und deutscher Hilfe das modernste Kernkraftwerk weltweit. Frankreich setzt weiterhin auf Kernkraft - um nur einige wenige Beispiele zu nennen.
These 6
Ein vielfältiger Energiemix verbunden mit einem kräftigen Ausbau erneuerbarer Energien, mit mehr Effizienz- und Energieeinsparmaßnahmen macht Deutschland vom internationalen Rohstoffbezug unabhängiger.
Eine erhebliche Veränderung des zukünftigen Energiemixes ist durch die Rohstoffverknappung zu erwarten. Die jüngste Preisexplosion auf den Rohölmärkten hat gezeigt: Wir brauchen eine Energiepolitik, die den Abschied von den fossilen Energieträgern möglich macht, die weitestgehend importiert werden müssen. Denn dadurch wird Deutschland unabhängiger.
Dazu gehört der kräftige Ausbau erneuerbarer Energien, Einsparungen und die konsequente Anwendung neuer Energietechnologien. Nur so werden wir die Energiekosten für Unternehmen und Haushalte begrenzen können.
Der Ausbau der Windenergie im Off-Shore-Bereich könnte eine Rolle spielen, aber auch die Nutzung der Biomasse, insbesondere die Förderung von Biokraftstoffen. Das sind Wachstumspfade, die sich auszubauen lohnen. Die Solarenergie in Deutschland hat eine langfristige Perspektive. Ihr wirtschaftliches Fundament in Deutschland ist heute noch schmal. Sie hat jedoch erhebliche Wachstumspotentiale in internationalen Märkten, die sie nutzt und auf denen sie auf Grund ihrer innovativen Technologien hervorragende Zukunftschancen hat.
Zur Versorgungssicherheit tragen die erneuerbaren Energien jedoch bislang nur begrenzt bei. Denn sie sind nur zum Teil grundlastfähig. Nur mit neuen Speichermöglichkeiten werden sie auf Dauer mehr zur Versorgung beitragen können.
Weniger Verbrauch ist die zweite Säule zur Lösung des Problems, mehr Effizienz die dritte Säule. Die effiziente, d.h. auch sparsame Nutzung von Energie und Rohstoffen wird das Thema der kommenden Jahrzehnte sein. Diese Energiequelle ist bei weitem nicht ausgeschöpft. Wer hier bei steigenden Öl- und Rohstoffpreisen die Nase vorn hat, wird auch im internationalen Wettbewerb Spitze sein. Deshalb brauchen wir die modernsten Kraftwerke mit den höchsten Wirkungsgraden. Deshalb muß der Investitionsstau aufgelöst werden. Wir brauchen intelligente Lösungen zur Energieeinsparung. So verschlingt allein der Stand-By-Betrieb der verschiedensten Geräte heute noch in deutschen Privathaushalten die gesamte Stromlieferung aus zwei Großkraftwerken.
These 7
Der Klimawandel ist Realität. Die Steigerung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ist unsere Antwort.
Extreme Wettersituationen, sintflutartiger Regen und Hitzewellen und orkanartige Stürme nehmen zu. Der Klimawandel ist Realität geworden, auch wenn die Experten über die Ursachen noch streiten. Er ist ein Welt umfassendes Problem. Deshalb müssen wir ihm mit globalen Antworten und Lösungen begegnen. Die Verabschiedung des Kyoto-Protokolls ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber Ziel muß sein, China, Indien und die USA einzubinden, denn ein europaweiter Emissionshandel, der nur 14% aller weltweiten CO2-Emissionen betrifft, reicht nicht aus. Und dennoch: Eine massive Verminderung der klimaschädlichen CO2-Emissionen ist auch ein nationales Ziel. Wirtschaftliches Wachstum ist dabei kein Hindernis, sondern die Voraussetzung für mehr Forschung und Innovation.
Verstärkte Anstrengungen in der Energieforschung und -entwicklung sind die Antwort auf den Klimawandel. Denn Energieforschung und - entwicklung sind wesentliche Strategiefelder einer innovativen Energiepolitik. Hier muß der Staat gestalten und Fördermittel bereitstellen. Hier muß aber auch eine regelmäßige Überprüfung stattfinden. Eine ergebnisoffene Grundlagenforschung sollte leistungsbezogen und unbürokratisch gestaltet werden.
Priorität müssen solche Bereiche erhalten, in denen unter dem Gesichtspunkt Klimaschutz und Ressourcenschonung die größten Beiträge absehbar sind. Insbesondere auch die fossilen Energieumwandlungstechnologien, die Abscheidung und Speicherung des CO2 muß wirtschaftlich und technisch gelingen.
Die Förderung neuer Technologien sollte durch Ausschreibungswettbewerbe erfolgen. Ziel muß sein, die besten Produkte beim Erreichen der Marktreife zu unterstützen.
Deutschland hat ausgezeichnete Ausgangschancen: Weltweit stammen die meisten Erfindungen in der Energie- und Umweltschutztechnik aus unserem Land. Die deutschen Hersteller von Windkraftanlagen, Wärmeschutzverglasung, Solartechnik und Gasturbinen gehören zur Weltspitze.
Die Energieversorgung der Zukunft ist eine komplexe Angelegenheit. Eine einfache Lösung ist nicht in Sicht. Es muß zukünftig gelingen, die innovativen Kräfte des Marktes stärker zu nutzen und das Eigeninteresse der Unternehmen und Verbraucher an einer zukunftsfähigen Energieversorgung zu wecken. Ziel muß sein, einen verläßlichen Rahmen für eine nachhaltige internationalisierte Energiewirtschaft zu gestalten, in der jeder seinen Part übernimmt. Staat, Wirtschaft und Verbraucher. Alle drei sind Teilhaber und tragen Mitverantwortung für die Energieformen, die uns ins
3. Jahrtausend bringen werden.