13.08.2013FDP, FDP-Fraktion

NIEBEL-Namensartikel für den "Behörden Spiegel"

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL schrieb für den "Behörden Spiegel" (August-Ausgabe) den folgenden Namensartikel:

Gemeinsame Chancen der vernetzten Sicherheit in Afghanistan

Konflikt und Gewalt wirken in vielen Entwicklungsländern wie eine Falle: Armut, Perspektivlosigkeit, Unfreiheit und die Unsicherheit der eigenen Existenz befeuern Konflikte - gleichzeitig vernichten gewaltsam ausgetragene Konflikte immer auch Wohlstand und verhindern Lebensperspektiven. Es wird schnell klar: Ohne Sicherheit kann es keine Entwicklung geben, aber ohne Entwicklung langfristig auch keine Sicherheit. Sicherheits- und Entwicklungspolitik sind eng miteinander verbunden. Je schwieriger die Rahmenbedingungen, je fragiler und unsicherer das Umfeld, desto wichtiger wird ein kohärentes, aufeinander abgestimmtes Vorgehen und desto weniger können Herausforderungen von Soldaten, Entwicklungsexperten oder Diplomaten allein gelöst werden.

In solchen Situationen müssen entwicklungspolitisches, militärisches und diplomatisches Engagement Teil einer Gesamtstrategie der Bundesregierung sein, die nur in Abstimmung und Zusammenarbeit aller Akteure erfolgreich sein kann. Diese Überzeugung liegt der Idee der "vernetzten Sicherheit" zugrunde. Zentral ist dabei, dass sich Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik sowie weitere beteiligte Politikfelder miteinander ergänzen und aufeinander aufbauen. Dabei bleibt die Aufgabenverteilung klar: Im Rahmen der vernetzten Sicherheit ist es Aufgabe von Entwicklungspolitik, durch Verbesserung der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Verhältnisse den Abbau struktureller Konfliktursachen zu unterstützen. So trägt sie wirkungsvoll zur Verhinderung von Gewalt sowie zu nachhaltiger Friedensentwicklung bei.

Besondere Verantwortung für Afghanistan

Im Norden Afghanistans hat Deutschland durch das Engagement der Bundeswehr eine besondere Verantwortung für die Sicherheit. Gleichzeitig unterstützt die Entwicklungspolitik dort den zivilen Aufbau sowie eine nachhaltige wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung. Zentrale Anliegen des deutschen Engagements in Afghanistan sind es, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftliche Entwicklung und öffentliche Sicherheit zu fördern, die Leistungsfähigkeit der Regierung, der Zivilgesellschaft und des Privatsektors zu erhöhen, die Infrastruktur wiederherzustellen und den Zugang zu Bildung zu verbessern. Nirgends ist eine enge Abstimmung zwischen den militärischen, polizeilichen, diplomatischen und entwicklungspolitischen Akteuren augenblicklich so wichtig wie hier. Dabei ist es unerlässlich, Informationen auszutauschen, sich abzustimmen und gegenseitig zu ergänzen, um insgesamt effektiver handeln zu können. Keiner der Akteure kann Frieden und Sicherheit allein wirkungsvoll fördern. Nur im Zusammenspiel entfalten die verschiedenen Instrumente ihre volle Wirksamkeit. Gerade in einem Kontext wie Afghanistan, wo die Arbeit besonderen Risiken unterliegt, ist dieser Austausch elementar. Damit geht ausdrücklich keine Unterordnung zivilen Personals unter militärische Stäbe einher, weder strebt die Bundesregierung den Entwicklungshelfer in Uniform an noch den Soldaten, der Brunnen bohrt und Straßen baut. Es geht vielmehr um das zielorientierte, gemeinsame Wirken aller Akteure. Um dies zu gewährleisten, arbeiten die Vertreter der vier in Afghanistan engagierten Bundesressorts -Bundesministerium der Verteidigung, Bundesministerium des Innern, Auswärtiges Amt und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - im Rahmen eines vernetzten Vorgehens eng zusammen.

Lehren für fragile Staaten

Durch die jahrelange Kooperation in Afghanistan kann Deutschland heute wichtige Lehren für das Engagement in fragilen Staaten ziehen: Die gemeinsame Analyse und Planung sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt beginnen. Das fängt bei der ressortübergreifenden Erstellung von Strategien und Konzepten für Krisenregionen an und setzt sich in der Beteiligung an Planungsprozessen anderer Ressorts fort. Aus dem Engagement in Afghanistan haben wir auch gelernt, dass die Abstimmung auf ministerieller Ebene nicht ausreicht, um ein kohärentes Vorgehen in der praktischen Arbeit zu gewährleisten. Es galt, Antworten auf die unterschiedlichen Organisationskulturen, institutionellen Strukturen und Einbindung der jeweiligen Akteure in internationale Zusammenhänge zu finden. Auch hat uns das Engagement in Afghanistan gezeigt, dass vernetzte Sicherheit ein Verstehen des jeweils anderen Politikfeldes, von dessen Handlungs- und Entscheidungslogiken und auch seiner individuellen Grenzen erfordert. Beteiligung an Vorbereitungsseminaren für den Einsatz und Übungen der Streitkräfte durch Vertreter des BMZ und gemeinsame Aus- und Fortbildungen sind hier ein richtiger Ansatz. Zudem ist die Komplementarität der Aktivitäten die Grundlage der täglichen Kooperation der Akteure. Im Vordergrund steht insbesondere die gemeinsame Vorbereitung auf konkrete Einsatzszenarien.

Ein Punkt ist mir besonders wichtig: Afghanistan ist zwar das prominenteste Beispiel, aber nicht der Regelfall von vernetzter Sicherheit. In Afghanistan hat die Vernetzung begonnen, nachdem das Land sich bereits in einer fragilen Situation befand. Im Fokus stand die Verbesserung dieser Lage. Im Zentrum der Bemühungen der Bundesregierung muss aber die Konflikt- und Krisenprävention, also das vorausschauende Handeln, stehen.

Die Erfahrungen der Bundesregierung sind in die Leitlinien für den Umgang mit fragilen Staaten eingeflossen, die ich gemeinsam mit dem Bundesverteidigungs- und Bundesaußenminister im September 2012 der Öffentlichkeit vorstellen konnte. Die Leitlinien sind ein Zeichen für mehr Kohärenz innerhalb der Bundesregierung und verstehen sich als Produkt eines gelebten Ansatzes der vernetzten Sicherheit. Es geht nicht um ein theoretisches Papier, sondern um konkrete Empfehlungen, gemeinsame Ziele und Prinzipien. Alle dem BMZ wichtigen Prinzipien sind in den Leitlinien enthalten. Hierzu zählt insbesondere der lang- und mittelfristige Ansatz der Entwicklungspolitik und das Grundprinzip "do no harm", also die Gesamtausrichtung aller Maßnahmen darauf, nachhaltig zu sein und Schäden, auch Kollateralschäden, zu vermeiden. Wir haben den Menschen in Afghanistan zugesagt, dass wir an ihrer Seite stehen und den Wiederaufbau- und Entwicklungsprozess ihres Landes unterstützen. Diese Zusage wurde 2012 auf der Tokioter Afghanistan-Konferenz unterstrichen und dazu stehen wir - auch langfristig. Das bedeutet: Auch über 2014 und die schrittweise Übergabe der Sicherheitsverantwortung hinaus wird Afghanistan eine langfristige Aufgabe für die Entwicklungszusammenarbeit bleiben.

Bei den Regierungsverhandlungen im März 2013 wurden Afghanistan von deutscher Seite bis zu 430 Millionen Euro für die Entwicklungszusammenarbeit im Jahr 2013 in Aussicht gestellt. Auch nach dem absehbaren Ende der ISAF ("International Security Assistance Force") zum 31. Dezember 2014 werden wir unser Engagement in Nordafghanistan im gleichen Umfang und in der Fläche fortsetzen. Dazu benötigen wir auch nach dem Abzug der deutschen Kampftruppen die Unterstützung der verbliebenen Bundeswehreinheiten - zum Beispiel, um im Krisenfall einen sicheren Rückzugsraum zu haben. Die Rahmenbedingungen dafür definieren wir gerade mit den anderen beteiligten Ressorts - vernetzte Sicherheit ist also auch ein ständiger Veränderungsprozess.

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