NIEBEL-Interview für "Du & ich"
Berlin. Das FDP-Bundesvorstandsmitglied, Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL gab der Zeitschrift "Du & ich" (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten SIRKO SALKA und ANDREAS HERGETH:
Frage: Danke, dass Sie uns Kaffee angeboten haben. Das rettet unsere Einstiegsfrage. Herr Minister, trinken wir hier jetzt fair gehandelten Kaffee?
NIEBEL: Ausdrücklich ja!
Frage: Haben wir fast nicht erwartet!
NIEBEL: Aber hallo, das muss sein! Auch der Zucker zu Ihrem Kaffee ist fair gehandelt.
Frage: Warum ist Ihnen das wichtig?
NIEBEL: Ich war kürzlich in Guatemala. Viele Kaffeebauern dort haben immer noch keinen Zugang zu den Weltmärkten. Handelshemmnisse, welcher Art auch immer, kosten ein Vielfaches dessen, was alle Geberländer an Entwicklungshilfe bezahlen. Deswegen ist "Fair Trade" eine ganz wichtige Aktion.
Frage: Inwiefern kann man Fair-Trade-Unternehmen unterstützen?
NIEBEL: Indem man Kontakte herstellt. So hatte ich zum Beispiel in Guatemala in der Delegation auch einen Vertreter eines Fair-Trade-Unternehmens dabei. Wir haben ja die Möglichkeit, die Privatwirtschaft zu fördern, zum Beispiel über unser Programm "developpp.de". Eine Wettbewerbsverzerrung im Handel darf es dabei nicht geben - eine Fair-Trade-Kette mit öffentlichen Mitteln etablieren, das können wir also nicht. Wohl aber können wir Kontakte herstellen, mit unserer Expertise beim Überwinden bürokratischer Hürden helfen und anderes, das geht schon.
Frage: Wie sieht Ihr entwicklungspolitisches Konzept aus? Von Kritikern wurde Ihnen oft unterstellt, Sie hätten keins.
NIEBEL: Ich will die Wirksamkeit unserer Entwicklungspolitik erhöhen, weil ich glaube, dass gerade in Zeiten schwieriger Haushaltssituationen die Akzeptanz in der Bevölkerung nur dann hochgehalten werden kann, wenn man auch deutlich die Effizienz unserer Arbeit zeigt. Von den gut 6 Milliarden Euro meines Etats sind 4,8 Milliarden investive Mittel. Daran sieht man, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht nur den Menschen hilft, mit denen wir zusammenarbeiten, sondern auch einen positiven Rückfluss in die deutsche Wirtschaft hat. Meine thematischen Schwerpunkte gibt der Koalitionsvertrag vor: Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, mit Kirchen und politischen Stiftungen, aber auch mit der deutschen Wirtschaft. Wenn wir diese Schwerpunkte ernst nehmen, ist das die beste Methode, um Armut zu bekämpfen.
Frage: Inwiefern kann man so ein großes Ziel wie die im Jahre 2000 international vereinbarte Forderung "Wir wollen die Armut halbieren" - und Deutschland muss dafür einen Beitrag leisten bis zum Jahr 2015 von jährlich 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung - an Zahlen festmachen?
NIEBEL: 1970 hat zum ersten Mal eine deutsche Bundesregierung das Zugeständnis gemacht, 0,7 Prozent des Brutto-Nationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen. Da war ich sieben Jahre alt. Bisher hat noch keine Bundesregierung dieses Ziel erreicht. Aber ich bin überzeugt: Wenn man von diesem Ziel abrücken würde, dann würde man einen großen Fehler begehen, weil dann nämlich die Schleusen in die andere Richtung geöffnet wären. Der Druck muss hoch bleiben, das Ziel erreichen zu wollen. Deshalb halte ich an dem Ziel ausdrücklich fest. Gleichzeitig bleibt wichtig: Die Wirksamkeit der Zusammenarbeit ist für uns entscheidend, und die wollen wir gezielt verbessern.
Frage: Konkretes Beispiel: Stichwort Uganda. Im Oktober 2009 hat Uganda einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, der Homosexualität weiter kriminalisiert. Halten Sie das für mit internationalen Menschenrechten vereinbar?
NIEBEL: Ich halte das für absolut unvereinbar mit internationalen Menschenrechten, zumal ja zusätzlich - über die weitere Kriminalisierung hinaus - Formen der Homosexualität mit der Todesstrafe geahndet werden sollen, gegen die ich generell bin. Ich bin sehr froh, dass die internationale Gebergemeinschaft das so sieht, und auch der Bundestag über alle Parteigrenzen hinweg meine Meinung teilt. Beides ist eine große Hilfe. Wir haben sofort, nachdem der Gesetzentwurf bekannt geworden ist, mit dem ugandischen Botschafter gesprochen und ihm deutlich gemacht, dass Konsequenzen für die Zusammenarbeit nicht ausgeschlossen werden, wenn dieser Entwurf Gesetzeskraft erlangen sollte.
Frage: Was sagt denn so ein Botschafter dazu?
Ein Botschafter nimmt das zur Kenntnis und berichtet dann, das ist seine Aufgabe. Das Gespräch hat die Wirkung nicht verfehlt: Ich bin dankbar, dass die ugandische Regierung sich deutlich vom Gesetzentwurf distanziert hat. Wir werden die Entwicklung weiter beobachten und haben unsere Zusagen für Uganda konditioniert. Uganda bekommt ja auch eine allgemeine Budgethilfe, ein Instrument, das die Bundesregierung ohnehin sehr kritisch sieht. Wir haben jetzt einen Auszahlungszeitraum von sechs Monaten zugrunde gelegt, und alle sechs Monate wird die Situation überprüft - immer mit der Option, die Mittel dann auch zurückzuhalten.
Frage: Kann man Staaten, die Menschenrechte nicht einhalten, derart sanktionieren. Oder muss man das sogar?
NIEBEL: Ich finde, man muss es machen. Allerdings muss man es klug machen. Einfach aufzustehen und zu gehen, also die Entwicklungszusammenarbeit aus so einem Land ganz abzuziehen, kann auch der falsche Weg sein. Man nimmt sich damit die Chance, Einfluss auszuüben. Und man muss konzedieren - bei aller Verwerflichkeit dieses Gesetzentwurfs - dass Uganda in anderen Menschenrechtsbereichen gute Fortschritte gemacht hat. Das heißt, dass man sich immer das gesamte Bild angucken muss und nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.
Frage: Sie sprachen von der Todesstrafe. Das ist das Eine. Es war aber auch davon die Rede, dass HIV-Positive keine Medizin mehr bekommen sollen, wenn sie Homosexuelle sind. Oder dass Vertretern von NGOs oder Vereinen, die dort Homosexuelle unterstützen, Haft droht. Kann man solche Zustände noch mit "demokratischen Verhältnissen" beschreiben?
NIEBEL: Diese Dinge sind mit unserem Wertekanon nicht vereinbar. Unsere Entwicklungszusammenarbeit ist ausdrücklich wertebezogen. Sie ist auch von Interessen geleitet - auch das sage ich ausdrücklich -, aber die Werte müssen obsiegen. Wissen Sie: Ich bin ein Fan der Globalisierung. Allerdings nicht nur im wirtschaftlichem Bereich. Auch eine Globalisierung der Werte sollten wir anstreben.
Frage: Wenn Sie sagen, dass Uganda auf bestimmten Gebieten der Menschenrechte Fortschritte erzielt hat, haben Sie konkrete Beispiele?
NIEBEL: Die ugandische Regierung geht beispielsweise energisch gegen weibliche Genitalverstümmelung vor. Das ist schwierig genug, denn selbst wenn eine Regierung sehr aktiv mit viel Aufklärung und auch mit Strafandrohung gegen Genitalverstümmelung vorgeht, heißt das noch lange nicht, dass dieses traditionelle Instrument tatsächlich zurückgedrängt wird. In Uganda gibt es aber deutliche Erfolge, auch mit unserer Zusammenarbeit.
Frage: Gilt denn die Sanktionierbarkeit von Menschenrechtsverletzungen nur, wenn es um Homosexuelle geht oder auch bei den Rechten von Frauen, Kindern etc.?
NIEBEL: Was ich sage, gilt grundsätzlich für alle Menschenrechte. Allerdings immer mit dem Ansatz, den ich vorhin beschrieben habe: Man muss immer genau abwägen, wo man einer Sache mehr schadet als nützt.
Frage: Das heißt, wir können 75 Staaten, in denen Homosexualität noch strafbar ist, nicht damit drohen, die Entwicklungsgelder zu streichen?
NIEBEL: Man kann das machen, aber ich hielte das nicht für hilfreich. Wir würden uns damit nämlich dort jeden Einflusses berauben. Und durch Kontakte verschiedener Kulturkreise kann man ja auch Veränderungen in Gesellschaften herbeiführen. Sicher, das dauert lange. Aber eines unserer Konzepte besteht darin, mit der Zivilgesellschaft vor Ort zusammenzuarbeiten und diese zu stärken. Und wie wir von der deutschen Wiedervereinigung wissen, werden wesentliche Veränderungen ja immer aus der Mitte der Gesellschaft heraus in Gang gesetzt.
Frage: Wie zuletzt gesehen in Malawi, wo auch aufgrund des zivilgesellschaftlichen Drucks ein zu Zwangsarbeit verurteiltes schwules Paar begnadigt worden ist. Wie kommentieren Sie diesen Fall hinsichtlich des zivilgesellschaftlichen Engagements?
NIEBEL: Malawi ist ein Land mit einer sehr lebendigen Zivilgesellschaft. Gerade der internationale Druck hat ebenfalls sicherlich seinen Teil beigetragen. Durch die Verurteilung und anschließende Begnadigung des homosexuellen Paares durch den Präsidenten wird das Thema Homosexualität erstmals im Land breit und kontrovers diskutiert. Das halte ich für einen großen Erfolg. Entscheidend wird es nun sein, dass diese angestoßene Debatte auch zu einer Veränderung des noch aus kolonialer Zeit stammenden Strafrechts führt.
Frage: Wäre aber die beste Entwicklungshilfe für Afrika nicht die Öffnung der europäischen Märkte für Waren von dort?
NIEBEL: Die beste Entwicklungshilfe für alle sich entwickelnden Länder wäre fairer Welthandel. Ein Vielfaches dessen, was die gesamte Gebergemeinschaft an Geldern für die Entwicklungszusammenarbeit ausgibt, wird den Entwicklungsländern durch Handelshemmnisse wie zum Beispiel Exportsubventionen entzogen. Deshalb sieht der Koalitionsvertrag vor, die Doha-Runde der WTO-Verhandlungen entwicklungsorientiert abzuschließen, und zwar möglichst bald, damit ein möglichst fairer und freier Welthandel ermöglicht wird. Deshalb setzen wir uns ja auch dafür ein, die EU-Agrar-Exportsubventionen abzuschaffen - und sind uns da wieder mal mit der CSU einig.