02.06.2013FDP, FDP-Fraktion

NIEBEL-Interview für die "Welt am Sonntag"

Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL gab der "Welt am Sonntag" das folgende Interview. Die Fragen stellten JOCHEN GAUGELE und CLAUS CHRISTIAN MALZAHN:

Frage: Es ist eingetreten, was Sie zu Jahresbeginn vorhergesagt haben: Ohne einen Wechsel an der Parteispitze kommen die Liberalen nicht aus dem Umfragetief.

NIEBEL: Ich bin davon überzeugt, dass es richtig war, die Führungsfrage zu stellen. Die Debatte hat dazu geführt, dass wir den Parteitag vorgezogen und im März die notwendigen Personalentscheidungen getroffen haben. Seither können wir uns auf den Wahlkampf konzentrieren.

Frage: Philipp Rösler ist Parteivorsitzender geblieben. Trauen Sie ihm inzwischen zu, die FDP in die nächste Bundesregierung zu führen?

NIEBEL: Ich gehe fest davon aus, dass die FDP in der nächsten Bundesregierung sein wird. Das werden wir mit dem Team, das gewählt ist, hinbekommen.

Frage: Wer ist die Nummer eins in diesem Team?

NIEBEL: Der Vorsitzende ist immer die Nummer eins. Und der Spitzenkandidat ist in unserem Fall ebenfalls die Nummer eins.

Frage: Rösler und Brüderle teilen sich die Nummer eins?

NIEBEL: Beide haben sich entschieden, ein Tandem zu bilden, das unterstützt wird vom Präsidium und den Bundesministern.

Frage: Ist die Union der einzig mögliche Regierungspartner?

NIEBEL: Wir wären bescheuert, wenn wir mit irgendeiner anderen Partei als der Union koalieren würden. Alle anderen wollen Verschlimmerungen im Steuerrecht, Verteuerungen für die Bürger, weniger Freiheit und mehr Staat. Deshalb brauchen wir erstens eine starke FDP, weil es solche Tendenzen auch in der Union gibt. Und zweitens brauchen wir die Union als Partner, weil sie am ehesten mit uns dafür sorgt, dass Vernunft in der deutschen Politik herrscht.

Frage: Eine FDP, die für Mindestlöhne eintritt, kann man sich auch an der Seite der SPD vorstellen ...

NIEBEL: Wir wollen keine staatlich festgesetzten flächendeckenden Mindestlöhne. Wir wollen branchenspezifische, regional orientierte Lohnuntergrenzen, die Leistungsgerechtigkeit auch in den unteren Lohngruppen herstellen.

Frage: Schließen Sie aus, Peer Steinbrück zum Kanzler zu wählen?

NIEBEL: Ich kann Ihnen sagen, was passieren wird. In der Geschichte der Bundesrepublik ist schon oft versucht worden, ein Modell aus Nordrhein-Westfalen auf die Bundesebene zu übertragen. Wenn Schwarz-Gelb nicht gewinnen sollte, wird es weder eine große Koalition noch eine Ampel geben, sondern eine von den Linken tolerierte Minderheitsregierung aus SPD und Grünen.

Frage: Und wenn Steinbrück doch bei Ihnen klopft, machen Sie die Tür nicht auf?

NIEBEL: Es gibt keine inhaltliche Übereinstimmung. Die FDP lässt sich von SPD und Grünen nicht als Handlanger benutzen. Sicher werden einige wieder rufen, die FDP müsse umfallen, um Deutschland zu retten. Aber nein, wir haben unsere Überzeugungen, die wir nicht aufgeben. Ich habe zwölf Jahre Opposition und vier Jahre Regierung hinter mir. Regierung ist besser, aber Opposition ist noch lange nicht Mist.

Frage: Wie ist aktuell Ihr Verhältnis zu Rösler?

NIEBEL: Wir haben ein ordentliches Arbeitsverhältnis.

Frage: Haben Sie sich ausgesprochen?

NIEBEL: Wir finden nicht, dass das nötig ist.

Frage: Rösler umarmt gern Menschen. Kann das heikel werden als Vizekanzler?

NIEBEL: Man muss immer schauen, dass man noch Luft kriegt.

Frage: Ist der Liberalismus sensibel für Stilfragen?

NIEBEL: Ich glaube schon, dass Liberale einen besonderen Stil pflegen. Das betrifft vor allem den offenen und sachlichen Umgang miteinander.

Frage: Sie haben auf Auslandsreisen gerne eine Gebirgsjägermütze getragen, die Sie vor dem Parteitag, auf dem Sie aus dem FDP-Präsidium herausgewählt wurden, dem Haus der Geschichte übergeben haben. Manche sahen darin auch einen Hinweis auf Ihre politische Zukunft ...

NIEBEL: Was die Mütze angeht: Ich höre, dass es die erste Anfrage zu einer Ausstellung im Militärhistorischen Museum in Dresden gibt. Und was meine politische Zukunft angeht, bin ich bin selbstverständlich bereit, meine Aufgabe als Entwicklungsminister fortzusetzen.

Frage: Sie sind als Minister mehrfach unter Beschuss geraten - sei es wegen Ihrer Personalpolitik, sei es wegen der unsachgemäßen Ausfuhr eines afghanischen Teppichs. Wie viel verzeiht der politische Betrieb?

NIEBEL: Es gibt eine Empörungsindustrie in Deutschland, die davon lebt, dass eine Sau nach der anderen durchs Dorf getrieben wird. Wenn man einen Fehler gemacht hat, kann man nur hoffen, dass die nächste Sau möglichst zügig kommt. Wenn das länger dauert, wird es gefährlich.

Frage: Genau vor zehn Jahren ist Jürgen Möllemann gestorben. Was könnte er der FDP heute geben?

NIEBEL: Jürgen Möllemann war ein Homo Politicus. Wir waren in manchen Punkten nicht einer Meinung, aber ich habe ihn immer geschätzt. Er war ein Fallschirmjägerkamerad, das verbindet.

Frage: Fehlt er?

NIEBEL: Jeder Mensch, der zu früh gestorben ist, fehlt.

Frage: Welche Erinnerungen haben Sie an den früheren Vizekanzler und Vizevorsitzenden der FDP?

NIEBEL: Ich erinnere mich an brillante Wahlkampfauftritte. Ich erinnere mich aber auch an dieses Flugblatt, das mir als Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft damals überhaupt nicht gefallen hat. Mir ging es darum, deutlich zu machen: Das ist nicht die Position meiner Partei. Wir machen keinen Wahlkampf mit israelfeindlichen Untertönen. Das tragische Bild, wie Jürgen Möllemann nach seinem Ausschluss aus unserer Fraktion allein im Bundestag saß, werde ich nicht vergessen. Ich habe für den Ausschluss gestimmt, ich will das überhaupt nicht kleinreden, ich habe diese Entscheidung auch für richtig gehalten. Aber menschlich war das hart.

Frage: Was haben die Liberalen daraus gelernt?

NIEBEL: Politische Auseinandersetzungen dürfen nicht an die bürgerliche Existenz gehen. Das gehört sich nicht.

Frage: Wen in der FDP hat Möllemanns Tod am meisten verändert?

NIEBEL: Ich vermute mal: Guido Westerwelle, den damaligen Vorsitzenden.

Frage: Inwiefern?

NIEBEL: Er nimmt Menschen seither bewusster wahr.

Frage: Möllemann hat 18 Prozent als Wahlziel ausgegeben ...

NIEBEL: ... das ich voll unterstützt habe. Bei der vergangenen Bundestagswahl sind wir diesem Ziel ja recht nahe gekommen. In Baden-Württemberg haben wir es mit 18,8 Prozent sogar übertroffen.

Frage: Lässt sich so ein Ergebnis wiederholen?

NIEBEL: Geschichte lässt sich nie eins zu eins wiederholen. Aber wir arbeiten daran, dass die Akzeptanz liberaler Positionen wieder zunimmt. Mein Ziel als Spitzenkandidat in Baden-Württemberg ist, das beste FDP-Ergebnis bundesweit zu holen. Insgesamt muss es unser Ziel sein, einem zweistelligen Ergebnis bei der Bundestagswahl möglichst nahe zu kommen. Das wird ein Kraftakt, aber zehn Prozent plus X in Baden-Württemberg sind möglich.

Frage: Sie sind Hauptmann der Reserve. Machen Sie noch Wehrübungen?

NIEBEL: Im Augenblick nicht. Aber ich pflege meine Kontakte zur Bundeswehr.

Frage: Haben Sie eine Erklärung, wie es zu dem Debakel mit den Drohnen kommen konnte?

NIEBEL: Das ist ein Prozess, der sich über vier Regierungen entwickelt hat, an denen wir nicht beteiligt waren. Ich kann nicht beurteilen, wo wann Fehler gemacht worden sind. Es ist gut, dass der Bundesverteidigungsminister nicht nach vorne prescht, sondern erst einmal recherchiert und versucht, den Sachverhalt so aufzuklären, dass er ihn komprimiert darstellen kann. Dann muss man schauen, was das Ergebnis ist und welche Schlussfolgerungen zu ziehen sind.

Frage: Wann wird es eng für de Maizière?

NIEBEL: Ich kann die Sachlage nicht beurteilen. Unabhängig von der Drohnenfrage: Eng wird es immer dann, wenn die eigenen Leute nicht mehr zu einem stehen.

Frage: Braucht Deutschland überhaupt Drohnen?

NIEBEL: Aufklärungsdrohnen brauchen wir auf jeden Fall. Kampfdrohnen können Blutvergießen verhindern, weil Soldaten nicht ins Gefecht gehen müssen. Diese automatisierte Form der Kriegführung wirft allerdings ethisch-moralische Fragen auf. Darüber sollten wir eine breite gesellschaftliche Debatte führen.

Frage: Seit zwei tobt in Syrien Jahren ein Bürgerkrieg, und es gibt Anzeichen, dass die Armee chemische Waffen einsetzt - trotzdem greift der Westen nicht ein. Ist das nicht zynisch?

NIEBEL: Es ist bitter, dass sich China und Russland im UN-Sicherheitsrat einer politischen Lösung verweigern. Aber natürlich tut der Westen eine Menge. Die Bundesregierung hat bisher 132 Millionen Euro aus den Etats des Auswärtigen Amts und des Entwicklungsministeriums eingesetzt, um die Lebenssituation der Menschen in und aus Syrien zu verbessern. Wir bauen auf die bevorstehende Konferenz in Genf und hoffen, dass sowohl die Opposition als auch die Regierung Assad mit am Verhandlungstisch sitzen wird.

Frage: Der Konflikt droht auf Israel überzugreifen. Sehen Sie eine besondere deutsche Verantwortung?

NIEBEL: Ich sehe die Gefahr eines Religions- und Konfessionskrieges - und einer humanitären Tragödie in der gesamten Region. Wenn es um die Sicherheit Israels geht, hat Deutschland immer eine besondere Verantwortung.

Frage: Die EU hat das Waffenembargo auslaufen lassen. Ist es an der Zeit, die syrische Opposition militärisch zu unterstützen?

NIEBEL: Jetzt gilt die normale EU-Politik: Keine Waffenexporte in Krisengebiete. Das ist eine politische Selbstbindung. Für Deutschland hat sich nichts verändert. Wir werden keine Waffen liefern.

Frage: Was lösen Regierungen aus, die sich anders entscheiden?

NIEBEL: In der syrischen Opposition herrscht eine unübersichtliche Gemengelage. Ein Gegner des Assad-Regimes ist noch lange kein Freund einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die Gefahr, dass sich gelieferte Waffen gegen einen selbst wenden, ist groß. Die Politik der Bundesregierung besteht darin, dort zu helfen, wo Leben gerettet werden können - nicht nur mit humanitärer Hilfe, sondern auch mit Splitterschutzwesten und ähnlichem. Aber bei tödlichen Waffen ist bei uns eine Grenze erreicht, die wir nicht überschreiten wollen.

Frage: Planen Sie weitere Hilfe?

NIEBEL: Wir werden aus dem Etat des Entwicklungsministeriums in den kommenden Wochen weitere sieben Millionen Euro für Syrien bereitstellen, um zivilgesellschaftliche Strukturen zu stärken - auch in Nachbarstaaten, die Flüchtlinge aufnehmen. Im Osten der Türkei bauen wir mit Malteser International eine mobile Krankenstation, die nach Syrien verlegt werden kann. In Jordanien und dem Libanon wollen wir die Versorgung mit Medikamenten und Wasser verbessern. Auch in Syrien selbst ermöglichen wir gemeinsam mit der Welthungerhilfe notleidenden Kindern wieder den Schulbesuch. Außerdem unterstützen wir humanitäre Organisationen wie das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen.

Frage: Ihre Haltung ist nahezu deckungsgleich mit der von Außenminister Westerwelle. Würde es sich nicht anbieten, in den letzten Monaten der Wahlperiode eine alte FDP-Idee aufzugreifen - und die Zusammenlegung beider Ministerien einzuleiten?

NIEBEL: Von einem Pferd, das tot ist, sollte man irgendwann absteigen. Für eine Zusammenlegung von Auswärtigem Amt und Entwicklungsministerium gibt es keine Mehrheit. Im Übrigen waren wir nicht gegen Entwicklungspolitik als eigenständiges Politikfeld ...

Frage: ... sondern?

NIEBEL: Wir waren gegen die Art und Weise, wie Entwicklungspolitik betrieben wurde von meiner Vorgängerin Wieczorek-Zeul. Ich habe eine Struktur geschaffen, die internationale Kooperation an die Stelle von Entwicklungshilfe treten lässt. Wir haben es mit souveränen Staaten zu tun, mit Partnern auf Augenhöhe - und nicht mit Taschengeldempfängern.

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