NIEBEL-Interview für die "Nürtinger Zeitung"
Berlin. Das FDP-Präsidiumsmitglied Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL gab der "Nürtinger Zeitung" (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte SYLVIA GIERLICHS:
Frage: Herr Niebel, hat Philipp Rösler Ihnen verziehen?
NIEBEL: Was?
Frage: Die Attacke vom Jahresanfang.
NIEBEL: Ich glaube, dass meine Rede am Drei-Königstreffen im Januar dazu beigetragen hat, dass wir wichtige Entscheidungen getroffen haben. Wir haben den Parteitag vorgezogen - sonst hätten wir ja eine schwelende Diskussion in der Partei noch bis Mai gehabt. Es war notwendig, anzusprechen, dass die Situation der Partei eine schwierige war.
Frage: Aber es hat sich dann etwas anders entwickelt als es geplant war ...
NIEBEL: Dass ich mir auch andere Ergebnisse hätte vorstellen können, war ja kein Geheimnis. Aber es ist eine Entscheidung getroffen worden und nichts ist klüger als eine Entscheidung eines Bundesparteitags.
Frage: Schafft die FDP denn die 5-Prozent-Hürde?
NIEBEL: Davon bin ich fest überzeugt. Und ich bin auch davon überzeugt, dass es für eine Fortsetzung einer schwarz-gelben Regierung reicht. Wir hatten vier gute Jahre für Deutschland. Unter schwierigen Rahmenbedingungen wie der Bankenkrise, Fukushima, der Frage der Stabilität unserer Währung. Wir mussten mehrfach die Entscheidung über Krieg und Frieden in der Welt in verschiedenen Regionen treffen. Da hat diese Regierung das Staatsschiff sehr sicher um die Klippen herumgelenkt. Und ich glaube, es wäre gut, wenn wir nochmals vier gute Jahre für Deutschland hätten.
Frage: Warum sollte ich die FDP wählen?
NIEBEL: Aus vielen guten Gründen. Erstens, weil wir wesentlich dazu beitragen, dass die Haushaltskonsolidierung voranschreitet und darüber hinaus trotzdem die Spielräume geschaffen werden, die Bürger zu entlasten. Zweitens, weil wir verhindern werden, dass der Facharbeiter bei einem Automobilhersteller von SPD, Grünen und Dunkelroten plötzlich zu den Reichen gezählt wird. Nach deren Steuerplänen, die angeblich nur die Reichen treffen, sind nämlich beispielsweise sie die Betroffenen. In einem progressiven Steuersystem geht die Steuererhöhung bei einem Einkommen von 5000 Euro brutto los. Im Falle der Streichung des Ehegattensplittings ist gar nicht absehbar und berechenbar, wie teuer das für die Betroffenen wird. Der Wegfall der Pendlerpauschale ist ein glatter Raubzug gegen Arbeitnehmer. Und dass beim Wegfall des sogenannten Dienstwagenprivilegs vermeintlich nur die Reichen betroffen wären, ist geradezu lächerlich. Das trifft nicht nur den Vorstandsvorsitzenden mit der S-Klasse, das trifft die Masse der Außendienstmitarbeiter, der Monteure in der Passat-Klasse oder jeder vergleichbaren Kategorie anderer Hersteller. Und dann habe ich noch nicht einmal angesprochen, dass wir der Garant für die bürgerlichen Freiheitsrechte sind, wie man jetzt aktuell wieder sehen kann.
Frage: Die Steuereinnahmen sind so hoch wie nie. Warum gelingt es dennoch nicht Schulden abzubauen?
NIEBEL: Ja, die Steuereinnahmen sind so hoch wie nie. Und dennoch wollen alle anderen die Steuern erhöhen und das Geld der anderen Menschen ausgeben. Der schwarz-gelben Regierung gelingt es, den Haushalt zu konsolidieren. Wir haben das erste Mal als Bundesregierung für 2014 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorgelegt, obwohl in dieser Legislaturperiode Unternehmen und Menschen mit 22 Milliarden Euro entlastet wurden und wir zusätzlich 13 Milliarden Euro in die Zukunft, nämlich in Bildung und Forschung und weltweite Entwicklung investiert haben. Wir werden im Jahr 2016 erstmals anfangen, Schulden zurückzuzahlen. Etwas, das auch wirklich notwendig ist, weil wir im europäischen Ausland sehen, dass zu hohe Schulden zu Instabilität führen.
Frage: Erklären Sie doch einmal, was ein strukturell ausgeglichener Haushalt ist.
NIEBEL: Ein strukturell ausgeglichener Haushalt bedeutet, dass unter normalen Rahmenbedingungen, also ohne Sonderleistungen für den europäischen Stabilitätsmechanismus oder andere Zusatzausgaben einrechnen zu müssen, der Haushalt ausgeglichen wäre.
Frage: Die FDP will mit einer Nachhaltigkeitsformel den Schulden zu Leibe rücken. Können Sie uns die Nachhaltigkeitsformel erklären?
NIEBEL: Nein, ich nicht. Das ist auch nicht mein Fachbereich, da gibt es mit Sicherheit ein Statistikhandbuch, in dem man das nachlesen kann. (lacht)
Frage: Die FDP tritt bei Krankenversicherungen für das Kostenerstattungsprinzip ein. Der Patient soll die Kosten für die Behandlung erst selbst bezahlen und dann die Rechnung des Arztes bei der Krankenkasse einreichen. Was ist mit all den Menschen mit schmaler Rente und schwacher Gesundheit, die sich dieses Prinzip schlicht nicht leisten können?
NIEBEL: Das ist kein Problem, denn wir haben das gleiche Prinzip in der privaten Krankenversicherung und die Masse der Krankenversicherten dort sind ja die einfachen und mittleren Beamten, die per Gesetz gar nicht in die gesetzliche Krankenversicherung dürfen. Hier wird die Rechnung normalerweise mit einer Zeitverzögerung von zwei bis vier Wochen beglichen, kann aber sofort bei der Beihilfe eingereicht werden. Man kann auch, wenn man knapp bei Kasse ist, Vorschüsse bekommen. Das Ziel dieser Forderung ist ein ganz einfaches: der normale Kassenpatient hat keinen Überblick darüber, welche Leistungen abgerechnet werden. Er kann also deswegen auch nicht kontrollieren, ob die Leistung, die erbracht worden ist, auch abgerechnet wird. Er kann auch nicht sehen, ob die Leistung den Preis wert ist, den sie kostet, denn er kennt den Preis nicht. Wenn man also eine Behandlung erhalten hat, die einem nicht wirklich genützt hat, aber ziemlich teuer war, überlegt man beim nächsten Mal vielleicht, ob man lieber etwas anderes ausprobiert. Wichtig ist mir auch, dass man weiß, welche Kosten man verursacht. Dass man sich überlegt: Muss ich jetzt gleich zum Arzt gehen, muss ich mir die dritte oder vierte Meinung holen. Dass man überlegt, ob man wegen jedem Wehwehchen gleich das ganze große Kino der Medizintechnik anlaufen lassen sollte.
Frage: Aber kann das die 80-jährige Rentnerin auch wirklich einschätzen, ob sie eine Leistung berechnet bekommen hat, die ihr nicht zuteil wurde?
NIEBEL: Ja. Die 80-jährige Privatpatientin kann das ja auch. Wenn das nicht der Fall ist, kann man bei seiner Krankenversicherung auch entsprechenden Rat bekommen.
Frage: Altkanzler Helmut Schmidt sagte unlängst in einer Talkshow, Menschenrechte seien keine universellen Werte. Sie seien ein Erzeugnis der Ära der Aufklärung des Westens. Halten Sie die Menschenrechtscharta der UN auch für überarbeitungsbedürftig?
NIEBEL: Ausdrücklich nein. Menschenrechte gelten überall gleich, egal in welchem Kulturkreis, egal in welcher Klimazone, egal in welcher Zeitzone. Und dafür gibt es auch keinen Rabatt.
Frage: Sie wollen, wie unlängst in einigen Zeitungen zu lesen war, nach der Wahl gerne Entwicklungshilfeminister bleiben. Warum?
NIEBEL: Ich will Minister dieses Ressorts bleiben, weil man viel gestalten kann. Und weil ich noch einiges vorhabe. Wir haben eine große Reform auf den Weg gebracht, sie ist noch nicht gänzlich abgeschlossen. Durch die Zusammenlegung der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) und der Internationale Weiterbildung und Entwicklung (InWEnt) zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) wurden 30 Millionen Euro eingespart. Dadurch können wir in jeder Botschaft Deutschlands in einem Entwicklungs- oder Schwellenland ein oder zwei eigene Mitarbeiter für die Entwicklungszusammenarbeit einsetzen. Früher bekam mancherorts ein Landesleiter der GIZ schneller einen Termin beim Staatspräsidenten als der deutsche Botschafter. Das ist verständlich, denn der eine kommt mit Geld, der andere kommt mit Menschenrechten, aber es ist so nicht in Ordnung. Wir sind dabei, das zu ändern. Dann sind wir derzeit in einem interessanten internationalen Prozess zur Nachfolge der Millenniums-Ziele der UN (Red.: wie die Bekämpfung extremer Armut und Hunger; Primärschulbildung; Senkung der Kindersterblichkeit), die ja bis 2015 weitgehend erreicht sein sollen, wobei es da natürlich noch Defizite gibt. Gleichzeitig soll aber definiert werden, wie es dann weitergeht. Vor allem ist der Nachhaltigkeitsaspekt stärker in den Fokus gerückt. Und hier muss ein einheitliches Ziel formuliert werden, denn Nachhaltigkeit und Entwicklung lassen sich nicht voneinander trennen. Reformen werde ich, nachdem wir unsere Hausaufgaben gemacht haben, aber auch stärker als bislang bei den internationalen Organisationen einfordern. Die UN selbst haben viele Defizite benannt, aber konnten aufgrund der eigenen Strukturen nicht wirklich viel verändern. Dass jedoch mehr als tausend verschiedene Fonds, Projekte, Institutionen nebeneinander her arbeiten, teilweise das gleiche machen, kann sich nicht nur dadurch begründen, dass man für alle Mitglieder der UN auch entsprechende Funktionen haben muss. Das kostet wirklich unnötig Geld für Eigenbespaßung, das dann bei der Arbeit fehlt, für die es eigentlich vorgesehen ist.
Frage: Das gleiche Phänomen kann man aber auch allen international arbeitenden Hilfsorganisationen unterstellen.
NIEBEL: Vielleicht, aber wer mit Spenden- und nicht mit Steuergeldern operiert, ist frei, in dem was er tut. Aber es ist schon etwas Wahres dran: Es gibt viele Menschen, die für die Entwicklungszusammenarbeit leben, es gibt aber auch viele Menschen, die von der Entwicklungszusammenarbeit leben, und auch das muss man zur Kenntnis nehmen.
Frage: Bei Ihrem Besuch in Ruanda im Juni sagten Sie der dortigen Regierung sieben Millionen Euro zu. Diese sollen für Dezentralisierungsprojekte, also für berufliche Bildung und ähnliches, eingesetzt werden. Nun prangerte im letzten Jahr sowohl ein UN-Bericht als auch ein Bericht der Organisation Human-Rights-Watch an, Ruanda sei in den Krieg im Ostkongo verwickelt, rüste die Rebellenorganisation M23 aus und finanziere deren Kampf im Nord-Kivu. Nun wurden dieses Jahr die gleichen Vorwürfe wieder erhoben ...
NIEBEL: Ich habe unmittelbar nach dem ersten Bericht der Vereinten Nationen über die regierungsamtliche Unterstützung der Rebellen im Ostkongo die deutschen Mittel gestoppt und auch in den internationalen Organisationen dafür gesorgt, dass keine Mittel ausgezahlt werden. Ich habe dafür Unterstützung von vielen anderen Gebern bekommen. Wir haben dann über einen sehr langen und emotional geführten Diskussionsprozess mit der ruandischen Regierung gemeinsam mit den Vereinten Nationen im Rahmen der Konferenz der Großen Seen (regionale Konferenz der Staaten in Ost- und Zentralafrika) erreicht, dass ein Vertrag für die Stabilität und den Frieden in der Region der Großen Seen unterschrieben wurde, der bestimmte Verpflichtungen mit sich gebracht hat, aber auch die Entsendung einer UN-Truppe mit einem deutlich robusteren Mandat, als es das bisherige Monusco-Mandat gewesen ist. Der Vertrag ist auch von der ruandischen Regierung unterschrieben worden, weil man gemerkt hat, dass man sich auf die Dauer sehr isoliert - um es vorsichtig zu formulieren. Jetzt gibt es wieder einen Bericht der Expertengruppe, der bestätigt hat, dass die staatliche Unterstützung der M23-Rebellen im Osten der Demokratischen Republik Kongo nicht mehr nachgewiesen werden kann. Es gibt Einzelfälle der Unterstützung aus Ruanda heraus, aber keine organisierte staatliche Unterstützung. Das war der Grund, weshalb ich die eingefrorenen Mittel wieder freigegeben habe, aber in einer Weise, bei der man nachvollziehen kann, wie die Geldflüsse sich bewegen, damit sie eben nicht für Waffenkäufe verwendet werden, mit denen der Krieg im Ostkongo unterstützt wird. Der internationale politische Prozess wird weitergeführt. Die ruandische Regierung glaubt, nach den Gesprächen, die ich geführt habe, dass es eine politische Lösung geben kann. Es gibt gegenseitige Vorwürfe aller Beteiligten, das ist gar keine Frage. Die Situation ist noch lange nicht gut, die M23-Rebellen sind immer noch viel zu stark, die UN agiert immer noch zu schwach, die Menschen sind immer noch in Geiselhaft und auf der Flucht. Das ist furchtbar. Aber politisch betrachtet ist ein kleiner Lichtblick am Horizont zu sehen, der auch gewürdigt werden muss.
Frage: Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch stimmt mit Ihnen darin überein, dass projektbezogene Hilfe besser ist als Hilfsgelder die in den Haushalt Rwandas einfließen. Dennoch hält die Organisation es nicht für unwahrscheinlich, dass auch dadurch Mittel im Haushalt freigesetzt werden, die für die militärische Unterstützung der M23-Rebellen verwendet werden. Ist dies nicht ein berechtigter Einwand?
NIEBEL: Wenn man so weitgehendes unterstellt, dann wäre die Alternative aber in der Tat nur noch, gar nicht mehr zusammenarbeiten - und dann hätten wir das Kind vollends mit dem Bade ausgeschüttet. Wie gesagt: Die Vereinten Nationen kommen in ihrer Untersuchung zu dem Schluss, dass es zwar Einzelfälle der Unterstützung aus Ruanda heraus gibt, aber keine organisierte staatliche Unterstützung.
Frage: Sie halten Rwanda für ein stabiles Land. Doch es gibt laut HRW politische Repressionen, Kritik an der Regierung ist nicht erlaubt und die Redefreiheit ist eingeschränkt. Hat ein stabiles, demokratisches Land solche Restriktionen nötig?
NIEBEL: Ruanda ist ein stabiles Land, das sich wirtschaftlich schnell entwickelt - aber es ist dennoch ein Entwicklungsland mit Defiziten zum Beispiel im Bereich Demokratie und Menschenrechte. Aber auch hier gilt es, verhältnismäßig zu bleiben: Ruanda ist auf einem guten Weg, es kann und wird weitere Fortschritte auch in demokratischer und menschenrechtlicher Hinsicht machen, und wir werden es dabei unterstützen.
Frage: Wie garantieren Sie, dass das Geld aus Deutschland tatsächlich für Dezentralisierungsprojekte und nicht für militärische Zwecke eingesetzt wird?
NIEBEL: Indem wir nur noch sektorbezogene und projektbezogene Mittel zusagen. Und dann sehen wir, dass im Bereich berufliche Bildung im ruandischen Haushalt eine bestimmte Summe eingestellt wird, die dann auch in die Projekte fließt. Das wird von unseren staatlichen Durchführungsorganisationen ständig überprüft.
Frage: Wie beurteilen Sie selbst denn die Rolle Ruandas im Ostkongo?
NIEBEL: Ruanda ist ein Hort von Stabilität, Wachstum und Prosperität. Es gibt eine rege Bautätigkeit. Deswegen ist berufliche Qualifikation so wichtig. Insgesamt spielt Ruanda eine hervorragende Rolle in der Region. Der Sicherheitsaspekt jedoch überlagert alles. Und die Frage, wie man mit dem Abbau von Rohstoffen umgeht, ein Stück weit auch. Aber hier sind wir in Ruanda mit der BGR aktiv, der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, in einem Projekt, das Rohstoffe zertifiziert, indem sozusagen ein genetischer Fingerabdruck hergestellt wird. Denn es gibt ja sehr viele Rohstoffe, die derzeit nur mit spitzen Fingern gehandelt werden, weil sie klassische Konfliktrohstoffe sind und man nicht belegen kann, wo sie herkommen. Wenn man aber den genetischen Fingerabdruck mitliefert, als Zertifizierung der unbedenklichen Herkunft, dann wird der Rohstoff wieder handelbar. Das ist auch für alle Rohstoffhändler und Produzenten dieser Welt wichtig, denn immer häufiger fordern Konsumenten völlig zu Recht den Nachweis der Lieferketten ein. Und dass sie nicht Blut an den Händen haben, wenn sie ein entsprechendes Produkt kaufen.