NIEBEL-Interview für die "Märkische Oderzeitung"
Berlin. Der FDP-Generalsekretär DIRK NIEBEL gab der "Märkischen Oderzeitung" (Montag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ALEXANDER GALLREIN.
Frage: Die FDP wähnte sich im Bundestagswahlkampf schon fast auf dem Regierungsdampfer. Ist sie inzwischen wieder voll in der Opposition
angekommen?
NIEBEL: Ja. Eindeutig.
Frage: Wie erklärt es sich dann, daß sich auch die Liberalen bei der BND-Affäre anfangs schwer taten mit einem Ausschuß? Das wirkte teilweise doch sehr staatstragend und wenig kämpferisch.
NIEBEL: Wir haben nie einen BND-Ausschuß gefordert, sondern einen Ausschuß, der die rechtsstaatliche Bekämpfung des Terrorismus für die Zukunft ermöglicht. Die FDP hat sich ja schon vor einigen Wochen für einen Ausschuß entschieden, die Grünen haben da gekniffen. Uns geht es darum zu klären, welche Grauzonen im rechtsstaatlichen Handeln geherrscht haben - was die Entführung von deutschen Staatsbürgern anbetrifft, was die CIA-Flüge
anbetrifft, was die Befragung von Gefangenen unter dubiosen Umständen betrifft. Und wer dafür die politische Verantwortung trug. Selbstverständlich müssen dazu auch der frühere Außenminister JOSEPH FISCHER und sein Nachfolger FRANK-WALTER STEINMEIER gehört werden.
Frage: Die Bundesregierung wirft Ihnen vor, Sie wollten den Untersuchungsausschuß nur aus Profilsucht. Wie stehen Sie dazu?
NIEBEL: Das ist natürlich blanker Unsinn. Gerade die Union stünde hier nicht nur aus
taktischen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen an der Spitze der Bewegung - wenn sie nicht selbst in der Regierung wäre. Sie hält sich jetzt aus Angst vor dem Koalitionspartner zurück, der Beschädigungen fürchtet. Doch man schützt den Rechtsstaat nicht mit dem Versuch, Dinge, die falsch gelaufen sind, unter den Teppich zu kehren.
Frage: Der Ausschuß kommt nur zustande, wenn alle drei Oppositionsfraktionen mitziehen. Wie schwer ist das Los der Opposition in Zeiten der Großen Koalition?
NIEBEL: Die Koalition hat eine Mehrheit von 73 Prozent. Das ist eine marktbeherrschende Stellung, die das Kartellamt in der Wirtschaft niemals zulassen würde. Das Grundgesetz war auf eine derartige Mehrheit bei der Ausformulierung der Minderheitenrechte nicht eingestellt. Man braucht beispielsweise ein Drittel der Mitglieder des Hauses, um eine Sondersitzung des Bundestages beantragen zu können oder ein Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht initiieren zu können. Dieses Drittel bringt die gesamte Opposition nicht zustande.
Frage: Wie wollen Sie Abhilfe schaffen?
NIEBEL: Die Große Koalition täte aus grundsätzlichen demokratischen Erwägungen gut
daran, wenn sie sich überlegen würde, die Minderheitenrechte den Mehrheitsverhältnissen anzupassen. Etwa, indem sie zuließe, daß ein Untersuchungsausschuß zustande kommt, wenn zwei Fraktionen ihn fordern. Denn Demokratie lebt von Regierung und Opposition.
Frage: Was bedeutet es für die FDP, wenn sie mit dem Erzkonkurrenten, den Grünen,
genauso in einem Boot sitzt wie mit der Linkspartei, mit der sie nie was zu
tun haben wollte?
NIEBEL: Wir sitzen ja nicht in einem Boot, weil wir unbedingt miteinander rudern wollen, sondern weil sonst notwendige Dinge nicht getan werden können.
Frage: Wie funktioniert es in der praktischen Arbeit?
NIEBEL: Was den U-Ausschuß angeht, ist die Kollegin PETRA PAU von der PDS eine
ausgesprochen angenehme, konstruktive Verhandlungspartnerin. Der Kollege VOLKER BECK hingegen legt mitunter primadonnenhafte Züge an den Tag.
Frage: Mit der Linkspartei gibt es mithin keine Probleme?
NIEBEL: Wir haben keine inhaltlichen Gemeinsamkeit. Von allen Parteien im Bundestag
stehen die FDP und die PDS am weitesten voneinander entfernt, aber in der Frage des Umgangs miteinander ist es wesentlich leichter als mit den Grünen, weil es zielorientierter ist. Wir haben wegen der inhaltlichen Ferne einfach keinen Futterneid gegeneinander.
Frage: Gilt das auch bis hoch zur Fraktionsspitze?
NIEBEL: Mit GREGOR GYSI kann ich mich jederzeit gut verständigen, egal, wie seine
Partei gerade heißt. Mit OSKAR LAFONTAINE gelingt das sicher auch nach seinem nächsten Parteiübertritt nicht. Weil: Der eine schätzt die Demokratie und der andere eher die Demagogie.
Frage: Wie schätzen Sie die Zukunft der Linksfraktion im Bundestag ein, nachdem der
Berliner Landesverband der WASG bei der Abgeordnetenhauswahl gegen die Linkspartei antreten will?
NIEBEL: Ich bin nicht sicher, ob die Fraktion das überleben wird, daß die sich in Berlin streiten wie die Kesselflicker. Wenn sie in einem Bundesland gegeneinander antreten, muß der Bundestagspräsident prüfen, ob eine gemeinsame Fraktion Bestand haben kann. Das alles hat ja gute Gründe: Stellen Sie sich vor, rechtsaußen würden sich Gruppierungen einerseits bekämpfen, parlamentarisch aber zusammenschließen wollen . . .
Frage: Trifft es zu, daß die FDP mit der Linkspartei die Erhöhung der Mehrwertsteuer kippen will?
NIEBEL: Wir halten die Mehrwertsteuer-Erhöhung für grundfalsch, weil sie die Schwächsten am stärksten trifft. Gerade im Osten. Wir regieren in fünf Ländern mit als FDP. Wenn die beiden PDS-mitregierten Länder Wort halten und ebenfalls dagegen sind, brauchen wir im Bundesrat nur noch ein weiteres Bundesland zu überzeugen, um die Anhebung zu kippen.
Frage: Dafür müßte die FDP in Sachsen-Anhalt aber an der Regierung bleiben. Danach sieht es aktuell aber nicht aus.
NIEBEL: Auf die derzeitigen Umfragen gebe ich nicht viel. Die Wähler in Sachsen-Anhalt entscheiden sich erst sehr spät. Beim letzten Mal standen wir zum gleichen Zeitpunkt bei vier Prozent, am Wahlabend waren es 13 Prozent. Bei der Bundestagswahl vor einem halben Jahr war es ganz ähnlich.
Frage: Zurück zum Bund: Richten Sie sich darauf ein, daß die Große Koalition die volle Legislatur hält, Sie also in der Opposition bleiben?
NIEBEL: Davon müssen wir ausgehen. Das ist wie mit den Boxern in der zwölften Runde,
die alleine nicht mehr stehen können und sich gegenseitig stützen, bis der Kampf zu Ende ist.