15.09.2005FDP

NIEBEL-Interview für "Die Glocke"

Berlin. FDP-Generalsekretär DIRK NIEBEL gab der "Glocke", Oelde, (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte JAN FOCKEN.

Frage: Ist die FDP mit ihrem Kompetenzteam nicht zu spät gestartet?

NIEBEL: Nein, wir haben bereits ab Juni mit einem Kompetenzteam gearbeitet,
unmittelbar nachdem der Bundeskanzler den Wunsch nach vorgezogenen Neuwahlen angekündigt hatte. Wir haben jetzt diese Mannschaft konzentriert auf ein Kernteam, auf diejenigen, die tatsächlich für den Bundestag kandidieren.

Frage: Ist Hermann Otto Solms als Gegenpol zu Kirchhof nicht sehr blaß geblieben?

NIEBEL: Hermann Otto Solms hat federführend für uns - übrigens als einziger Partei - einen Gesetzentwurf für ein neues Steuerrecht erarbeitet, sowohl für Einkommens- als auch Unternehmensbesteuerung. Im Gegensatz zu Professor Kirchhof weiß Hermann Otto Solms nicht nur, was man machen muß, sondern er hat auch die politische Erfahrung, es umzusetzen. Unser Stufenmodell ist genau das, was Deutschland jetzt braucht.

Frage: Ist es für die FDP nicht eine eigenartige Rolle, im Gegensatz zum CDU-Kompetenzmann Kirchhof das vermeintlich sozialere, gerechtere Steuermodell zu präsentieren?

NIEBEL: Auch der Einheitssteuersatz von Herrn Kirchhof ist im Grunde sozial und gerecht. Er ist aber der zweite Schritt vor dem ersten. Wenn Sie sich in Europa umgucken, stellen Sie fest, daß viele Nachbarstaaten einen derartigen einheitlichen Steuersatz haben. Wenn Sie
25 Prozent auf eine Million Euro Einkommen versteuern, ist das weit mehr, als wenn sie 25 Prozent auf 10 000 Euro versteuern. Aber es ist ein Unterschied, ob man in Kroatien, wo der Heidelberger Professor Rose ein komplett neues Steuersystem nach dem Bürgerkrieg konzipiert hat, oder bei uns im laufenden Betrieb eines geregelten Staatswesens ein Steuersystem verändern will. Deswegen ist es völlig richtig, jetzt mit einem Stufentarif von 0, 15, 25 und 35 Prozent zu beginnen, Investitionen und Konsum zu ermöglichen und Wachstumsimpulse in die Wirtschaft zu geben, damit die Massenarbeitslosigkeit bekämpft wird. Denn das ist das Ziel. Alle diskutieren so, als wenn es jetzt schick wäre, mal ein neues Steuersystem zu haben. Aber das ist ja kein Selbstzweck, sondern nach den Erfahrungen aller erfolgreichen Länder die wesentliche Säule bei der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit.

Frage: Die letzte Woche vor dem Wahlgang ist angebrochen, der Kanzler scheint aufzuholen. Haben Union und FDP ihn unterschätzt?

NIEBEL: Nein, es überrascht uns nicht, daß sich die Wahl auf den letzten Metern entscheiden wird. Wir haben ja deshalb unseren Parteitag, unsere ganze Kraft auf die Schlußphase konzentriert. Die Bürgerinnen und Bürger wissen, es kommt auf jede Stimme an. Aber sie
müssen auch sehen, daß der scheidende Bundeskanzler keine Konstellation hat, bei der er nach dem 18. September im Amt bleiben kann. Rot und Grün werden keine Mehrheit bekommen, das wissen sie auch selbst und gehen getrennter Wege. Eine große Koalition will niemand, und sie geht auch eigentlich nicht. Schon gar nicht mit Herrn Schröder, weil die SPD nicht vorn liegen wird. Und die Kanzlerschaft mit Hilfe von Rot-Rot-Grün hat er für sich definitiv ausgeschlossen. Das heißt, in diesem Amt ist der Mann Geschichte. Was man mit der SPD-Stimme bekommt, wird womöglich Sigmar Gabriel heißen und eine Linksfront sein.

Frage: Am Samstag machen Sie einen Tag vor der Wahl noch mal Straßenwahlkampf. Was sagen Sie den Leuten, damit diese ihre Stimme der FDP geben?

NIEBEL: Ich sage, daß es jetzt darum geht, nicht nur einen Regierungswechsel hinzukriegen, sondern mit einer neuen Regierung auch für einen Politikwechsel, einen echten Neuanfang zu sorgen. Das bedeutet, wir brauchen den starken Reformmotor FDP. Und gerade bei mir in Baden-Württemberg, wo der Ministerpräsident das Ziel ausgegeben hat, alle Wahlkreise für die CDU direkt zu gewinnen, muß man den Menschen auch sagen, daß dann jede Zweitstimme für die CDU eine verlorene Stimme ist. Das heißt, diejenigen, die ihrem CDU-Direktkandidaten die Erststimme geben, müssen intelligent mit der Zweitstimme FDP wählen,
damit wir aufgrund der Überhangmandate eine komfortables Polster zum Regieren haben.

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