23.09.2005FDP

NIEBEL-Interview für die "Freie Presse"

Berlin. FDP-Generalsekretär DIRK NIEBEL gab der Chemnitzer "Freien Presse" (Sonnabend-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte PETER KOARD.

Frage: Geht inzwischen alles in Richtung große Koalition?
NIEBEL: Das läßt sich noch nicht sagen. Ich sehe bei einem Zusammengehen von Schwarz-Gelb-Grün nicht nur unüberbrückbare Hindernisse. So brauchten die strittigen Punkte Atompolitik und die Türkeifrage nicht sofort gelöst zu werden. Man könnte sie durchaus in die nächste Legislaturperiode verlagern. Wenn ich an die Innen- und Rechtspolitik denke, gibt es mit den Grünen sogar recht viel Übereinstimmung. Das gilt auch für Teile der Finanzpolitik. Im Gesundheitsbereich allerdings gibt es drei praktisch unvereinbare Modelle. Aber: Wir dürfen eine solche Fortschrittskoalition nicht von vornherein ausschließen. Es wäre ein gewaltiger Fehler, ein mögliches Regierungsbündnis von Union, FDP und Grünen nicht intensiv zu erörtern.
Frage: Sie sagten Fortschrittskoalition…
NIEBEL: …was sie im Vergleich zur großen Stillstandskoalition allemal wäre.
Frage: Mit anderen Worten, Sie halten eine Regierungsbeteiligung der Liberalen noch für möglich?
NIEBEL: Wenn wir als zweitstärkste Kraft an einer Regierung beteiligt wären, könnten wir auch wichtige Punkte des FDP-Programms für mehr Arbeitsplätze durchsetzen. In der Oppositionsrolle wäre das ungleich schwieriger.
Frage: Welche Vorteile hätte Schwarz-Gelb-Grün gegenüber Schwarz-Rot?
NIEBEL: Die beiden großen Parteien, dafür gibt es genügend Beispiele, blockieren sich gegenseitig und einigen sich meistens nur auf dem allerkleinsten gemeinsamen Nenner. In dem Dreierbündnis könnte man genau vereinbaren, was gemeinsam in der Regierung durchgesetzt werden soll. Da müßten sich alle drei bewegen. Das genau ist aber unser aller Wählerauftrag. Es gibt Punkte, wo die Übereinstimmung mit den Grünen größer ist als mit den Unionsparteien, zum Beispiel bei den Bürgerrechten oder auch bei der Ablehnung einer Mehrwertsteuererhöhung.
Frage: Sie wollen es also mit den Grünen versuchen?
NIEBEL: Nicht um jeden Preis. Wir sind dafür, es auf jeden Fall ernsthaft zu erörtern, denn wir sehen, daß es Chancen für eine Zusammenarbeit gibt. Ich weiß aber nicht, ob die Grünen über ihren Schatten springen können. Es kommen ganz unterschiedliche Signale.
Frage: Die beiden großen Parteien sind sich auch nicht einig. Wie lange kann GERHARD SCHRÖDER noch auf seine Kanzlerschaft pochen?
Niebel: GERHARD SCHRÖDER ist abgewählt. Er hat sogar weniger Stimmen bekommen, als HELMUT KOHL bei seiner Niederlage erhalten hatte. Das muß Herr SCHRÖDER erkennen. Er kann sich das nicht mehr allzu lange leisten, denn jeden Tag verlassen ihn mehr eigene Leute. Die SPD täte sich als Volkspartei einen großen Gefallen, wenn sie das unwürdige Spiel schnell beenden würde: Herr SCHRÖDER muß seine Niederlage jetzt akzeptieren. Auch der Versuch, die Geschäftsordnung des Bundestages zu verändern, gehört zu den Taschenspielertricks, mit denen eine unliebsames Wahlergebnis im nach hinein korrigiert werden soll. Die SPD riskiert, in der Bevölkerung nicht mehr ernst genommen zu werden.
Frage: Was halten Sie von dem Vorschlag, daß weder MERKEL noch SCHRÖDER Kanzler wird?
NIEBEL: Das ist Unsinn. Frau MERKEL hat gewonnen.
Frage: Wie lange wird der Koalitionspoker noch dauern?
NIEBEL: Das ist schwer zu sagen. Fest steht, daß der Bundestag am 18. Oktober zu seiner ersten Sitzung zusammenkommen wird. Die Regierungsbildung kann bis in den November hinein dauern. Es kann aber auch schon morgen einer den Knoten durchhauen.
Frage: Welche Rolle spielt die Linkspartei bei dem Tauziehen?
NIEBEL: Es ist nicht auszuschließen, daß Herr SCHRÖDER sich im dritten Wahlgang mit den Stimmen der Linkspartei zum Kanzler wählen läßt und mit einer Minderheitsregierung rumwurstelt, bis er dann wieder um Neuwahlen bittet. Deswegen ist es so wichtig, daß der abgewählte Kanzler aus dem Spiel genommen wird. Er gehört nicht mehr zu den Mannschaftsaufstellungen der Regierungsliga.

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