18.06.2005FDP

NIEBEL-Interview für das "Hamburger Abendblatt"

FDP-Generalsekretär DIRK NIEBEL gab dem "Hamburger Abendblatt" (Sonnabend-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte GÜNTHER HÖRBST:
Frage: Noch hat der Bundespräsident nicht entschieden, ob er Neuwahlen zulassen will. Kann da noch was schiefgehen?
NIEBEL: Ich kann es mir nicht richtig vorstellen. Durch alle Parteien und in breiten Schichten der Bevölkerung ist die Stimmung derzeit so, daß gewählt werden soll. Der Bundespräsident wird bei seiner Entscheidung diese Stimmung sicher berücksichtigen. Er ist aber auch eine sehr autark handelnde Persönlichkeit, die sich streng an den verfassungsgemäßen Vorgaben orientiert. Sollte Professor Köhler da Zweifel haben, würde er sicher gegen die Neuwahl entscheiden. Einen Automatismus gibt es also nicht.
Frage: Wären Sie denn für die Wahlen gut aufgestellt?
NIEBEL: Wir haben unsere Hausaufgaben in den letzten Jahren gemacht. Wir haben uns inhaltlich und personell neu aufgestellt. Die Programmatik ist sogar teilweise schon mit Gesetzesanträgen untermauert. Wir könnten also unmittelbar loslegen.
Frage: Bei ihrem potentiellen Regierungspartner Union sieht das ein wenig anders aus.
NIEBEL: Die Union wird sich noch etwas zusammenraufen müssen, um dann auch eine vernünftige Programmatik vorzulegen. Das ist aber das Problem der Union. Wir wollen gemeinsam mit CDU und CSU Rot-Grün ablösen. Das ist der Obersatz. Aber unterhalb davon sind wir die FDP, eine eigenständige Partei. Da werden wir auch die Unterschiede herausarbeiten.
Frage: Wie in der Steuerpolitik? Die Union lehnt Nettoentlastungen ab, die FDP fordert sie.
NIEBEL: Für uns ist völlig klar: Es wird eine entlastende Steuerreform geben, die gleichzeitig auch eine Vereinfachung mit sich bringt. Wenn einige Unionspolitiker das von vorneherein ablehnen, konterkarieren sie den Erfolg von Otto Graf Lambsdorff und Gerhard Stoltenberg, die Mitte der 80er Jahre eine entlastende Steuerreform gemacht haben. Die brachte eine Entlastung von 60 Milliarden Mark und Einnahmen von 100 Milliarden Mark, weil dadurch die Konjunktur angesprungen ist.
Frage: Ist die Nettoentlastung eine Koalitionsbedingung?
NIEBEL: Wir wollen so stark werden wie möglich. Je stärker wir werden, desto mehr können wir durchsetzen. Bestimmte Grundannahmen gibt es aber. Wir wollen das Land gestalten und nicht weiter verwalten. Das wollen wir gemeinsam mit der Union tun. Dann muß die Union aber auch so mutig sein, daß sie gestalten und nicht verwalten möchte. Die Voraussetzung dafür ist ein einfaches und gerechtes Steuersystem mit niedrigen Sätzen.
Frage: Wie stark will die FDP denn werden?
NIEBEL: Wahlforscher sagen uns, wir hätten ein Potential von 25 Prozent. Daß wir das noch nicht ausgeschöpft haben, wissen wir selber. Wir werden aber einen sehr inhaltsreichen, themenbezogenen Wahlkampf führen.
Frage: Sie haben kürzlich an die übrigen Parteien appelliert, dabei mit der gebotenen Fairneß zu agieren. Haben Sie schon Reaktionen erhalten?
NIEBEL: Wir haben sowohl von SPD als auch von Grünen sehr rüde Absagebriefe erhalten. Die zeigen mir, daß sie mit einem hohen Maß an Intensität und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln versuchen werden, die Macht zu erhalten. CDU und CSU haben signalisiert, daß sie mit uns Rot-Grün ablösen wollen. Die Reaktion der beiden Generalsekretäre von SPD und Grünen sagt mir, daß wir mit einem sehr heftigen Wahlkampf rechnen müssen. Ich hoffe, daß es nicht zu schmutzig wird.
Frage: Was meinen Sie denn mit "rüder Absage"?
NIEBEL: Sie erklärten, es sei unmöglich, so etwas überhaupt vorzuschlagen. Die FDP habe kein Geld und wolle damit die anderen Parteien zwingen, ebenfalls nichts in den Wahlkampf zu investieren. Im übrigen würden angeblich keine öffentlichen Mittel im Wahlkampf ausgegeben. Wir wissen jedoch, daß Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement bis zum Wahltag fünf Millionen Euro für eine Werbekampagne seiner Politik umsetzen wird. Meine Vorschläge, keine Negativkampagnen und keine persönlichen Diskriminierungen zu machen und keine öffentlichen Gelder mehr im Wahlkampf einzusetzen, wurden abgelehnt. Auch eine Obergrenze für Wahlkampfausgaben habe ich vorgeschlagen. Aber all das wurde nicht gewollt. Das heißt auf deutsch, daß wir uns bis zum Wahltag auf einiges gefaßt machen müssen.
Frage: Werden Sie dann mit gleicher Münze heimzahlen?
NIEBEL: Wir haben ein gutes Programm und haben das deshalb nicht nötig. Aber natürlich gehört manchmal zu einem groben Klotz auch ein grober Keil. Ich habe nicht vor, einen unfairen Wahlkampf zu führen. In der Sache wird er aber sehr entschieden sein.
Frage: Mit welchen Schwerpunkten gehen Sie in den Wahlkampf?
NIEBEL: Entscheidend ist, daß wir die Massenarbeitslosigkeit bekämpfen. Das ist das Hauptziel. Dann müssen wir über Innovation dafür sorgen, daß wir neue Arbeitsplätze schaffen. Und schließlich kümmern wir uns um die innere Liberalität unserer Gesellschaft. Wir sind zum Beispiel der Meinung, daß man ein vollbesetztes Flugzeug nicht auf Terror-Verdacht hin abschießen darf. Und wir wollen auch das Bankgeheimnis wieder einführen.
Frage: Ihr Parteichef Guido Westerwelle hat kürzlich von den Gewerkschaften als "Plage" gesprochen. Will die FDP die Gewerkschaften zerschlagen?

NIEBEL: Nein. Guido Westerwelle hat sich auch niemals so geäußert. Wir wollen verhindern, daß bestimmte Gewerkschaftsfunktionäre so tun, als könnten sie sich das Land aneignen. Im übrigen gilt dasselbe für die Macht der Arbeitgeberfunktionäre. Wir fordern deshalb betriebliche Bündnisse für Arbeit. Wenn das Unternehmen, der Betriebsrat und die Belegschaft zu 75 Prozent sagen: Wir wollen etwas anderes, als der Tarifvertrag vorsieht, dann sollen sie das dürfen. Dazu sollte auch das Betriebsverfassungsgesetz geändert werden. Kein Funktionär von Arbeitgebern und Gewerkschaften soll sagen dürfen: Ihr dürft das nicht. Bislang gibt es in den Tarifverträgen den Vorbehalt für Funktionäre. Wir wollen, daß diejenigen über ihre Zukunft entscheiden, die auch unmittelbar davon betroffen sind. In Kapitalgesellschaften soll auch die Mitbestimmung verändert werden. Wir wollen, daß die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat aus den Betrieben kommen und nicht durch Funktionäre aus Gewerkschaftszentralen besetzt werden.

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