21.05.2014FDPEuropa

LINDNER/RUTTE-Gastbeitrag für „Die Welt“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER und der Ministerpräsident der Niederlande und Parteiführer der Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) MARK RUTTE schrieben für „Die Welt“ (Mittwoch-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

„Europa ist unsere Zukunft. Wir haben keine andere.“ Mit diesen Worten beschreibt der frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher unser Empfinden: Auch wir verbinden mit dem europäischen Einigungsprozess das große Ziel, Freiheit, Frieden und Wohlstand in unseren Ländern zu verteidigen und auszubauen. Wir sind optimistisch, diese Ziele erreichen zu können. Wir wissen aber auch, dass in Europa nicht alles gut läuft. Viele Menschen kritisieren zu viel Bürokratie, zu viele Vorgaben aus Brüssel. Europa kümmere sich um Kleinigkeiten und komme bei den großen Aufgaben nicht voran. Wir nehmen diese Sorgen ernst. Sonst wird aus dem Projekt des Friedens eine Projektion der Unzufriedenheit und europakritische und nationalistische Parteien gewinnen weiter Zulauf. Das wollen wir verhindern. Wir wollen Europa besser machen. Wir wollen ein Europa der Bürgerinnen und Bürger, und nicht der Bürokraten. Wir wollen Europa in die Pflicht nehmen, bei den wichtigen globalen Herausforderungen mehr Verantwortung zu übernehmen.

Über die Jahrzehnte ist ein Dickicht europäischer Regulierung entstanden. Den Mitgliedsstaaten, vor allem aber den Menschen und Unternehmen fällt es schwer, dem Tempo und dem Ausmaß neuer Vorschriften zu folgen. Das Prinzip der Subsidiarität wird in der Kommission und in anderen europäischen Gremien oft missachtet. So darf das nicht bleiben. Verbote wie von Olivenöl-Kännchen auf Restauranttischen – aus dieser Kategorie können wir viele Beispiele benennen. Dazu gehört exemplarisch die neue Forststrategie – Brüssel will die Bewirtschaftung des Waldes vereinheitlichen. Neue EU-Vorgaben soll es auch für den Lärmschutz geben, für die Gestaltung von Webseiten und die Gleichstellungspolitik, etwa durch verbindliche Frauenquoten. In all diesen Bereichen sollte Europa auf eine einheitliche Gesetzgebung besser verzichten. Wir sind außerdem der Meinung: Auch die soziale Sicherheit ist eine Aufgabe der Mitgliedsstaaten. Die EU soll sich hier weitgehend heraushalten, denn soziale Gleichheit ist eine Illusion. Damit würde sich Europa übernehmen.

Weil wir das Recht auf Freizügigkeit zu den wichtigsten Grundrechten Europas zählen, dürfen wir uns dieses nicht durch eine Vereinheitlichung der Sozialsysteme beschädigen lassen. Das heißt zum Beispiel für Deutschland: Wir sollten den Vorschlag prüfen, dass neu zugereiste EU-Bürger Sozialhilfe nur noch in der Höhe des verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Existenzminimums erhalten. Und für die Niederlande gibt es den Vorschlag: Sozialhilfe muss zuerst verdient werden. Mit einer solchen Regelung würden wir uns Debatten über Armutsmigration aus den südeuropäischen Ländern ersparen. Die Anerkennung von Bildungsabschlüssen – das soll Europa leisten, nicht aber Sozialhilfe verteilen. Zu oft sind es die kleinen Dinge, die in Brüssel festgelegt und für uns alle in Europa gleich gelten sollen. Zum Beispiel die Schulmilchverordnung – eine Art von Regulierungswut, die geeignet ist, die Akzeptanz der EU und ihrer Organe bei den Bürgerinnen und Bürgern zu untergraben. Europa sollte es unterlassen, den Käse-, Zucker oder Honiganteil von Schulmilch vorzugeben.

Uns verbindet der gemeinsame Wille, Europa besser zu machen. Dabei leitet uns das offizielle Europamotto: „In Vielfalt geeint.“ Die Vielfalt unserer Sprachen, unserer Kulturen, Geschichten und gesellschaftlichen Systeme – das wollen wir uns erhalten. Das im EU-Vertrag verankerte Prinzip der Subsidiarität muss dazu aber neu belebt werden. Die EU soll sich zukünftig aus Feldern heraushalten, bei denen ihr formal keine Kompetenz zusteht. Wo sie bereits zuständig ist reicht es, Ziele vorzugeben, keine Maßnahmen, keine Details. Zur Durchsetzung dieser Subsidiarität brauchen wir bessere Regeln: Neue Kompetenzen für die Kommission soll es nur noch geben, wenn das von den Parlamenten der Mitgliedsstaaten ausdrücklich gestattet wird. Es ist wichtig, den Einfluss der nationalen Parlamente zu stärken: Neben dem Europäischen Parlament brauchen wir ein zweites Kraftzentrum – als parlamentarisches Gegengewicht zu Kommission und Europäischem Rat. Der Lissabon-Vertrag macht das möglich: Wir zeigen Brüssel die gelbe oder orange Karte und schicken Gesetze an den Absender zurück. Davon sollten die Parlamente der Mitgliedsstaaten häufiger und selbstbewusst gebrauch machen. So funktioniert Subsidiarität.

Wir wollen Europa in seinen Kernbereichen stärken, handlungs- und durchsetzungsfähiger machen. Die Ukraine-Krise hat erneut belegt, dass die Europäische Union in globalen und für die Absicherung des Friedens in Europa so schwerwiegenden Fragen noch immer nicht imstande ist, kurzfristig eine abgestimmte außenpolitische Gemeinschaftsposition zu entwickeln. Für unsere Freiheit im Inneren muss Europa nach außen wirkungsvoller auftreten. Ein wirkungsvolleres Europa brauchen wir auch in der Währungspolitik. Unser Geld soll sicher sein. Vereinbarte Regeln wie die Maastricht-Kriterien müssen dazu endlich wieder eingehalten werden. Wir müssen zurückkehren zum Verbot, das Risiko von Schulden einzelner Staaten auf alle anderen zu übertragen. Während die Spitzenkandidaten von Konservativen und Sozialdemokraten immer wieder die Vergemeinschaftung von Schulden fordern, sagen wir: Euro-Bonds wird es mit den Liberalen in Europa nicht geben. Wichtig ist uns, dass die im Fiskalpakt vereinbarten Schritte eingehalten und dies mit automatisierten Sanktionen glaubhaft gewährleistet wird. Ziel aller Reformbemühungen muss Wettbewerbsfähigkeit und Vollbeschäftigung sein. Die Verantwortung und Zuständigkeit dafür liegt aber nach wie vor bei den Mitgliedstaaten und kann auch nur dort effektiv geleistet werden.

Mehr Wohlstand, Wachstum und Arbeitsplätze – das schaffen wir in Europa nur durch eine Belebung der transatlantischen Partnerschaft: mit Freihandel. Die Kritik an dem geplanten Abkommen zwischen der EU und der USA ist nahezu grotesk: Sollen wir das unseren 500 Millionen Menschen in Europa tatsächlich verweigern? Obwohl wir mit der Beseitigung von Handels- und Investitionshemmnissen einen jährlichen Zuwachs an Wohlstand erwarten und hunderttausende neu Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks entstehen? Wenn sogar die Schweiz, ein zäher und untadeliger Verfechter seiner eigenen Werte, kürzlich mit China ein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat, muss das der EU mit den USA allemal auch möglich sein. Das sind wir auch den Menschen in Südosteuropa schuldig, die mit grenzüberschreitendem Handel endlich eine Gelegenheit finden, neue Wettbewerbsfähigkeit aufzubauen und ihre hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Dazu gehört auch, Europa in der digitalen Welt wieder zu einem Weltmarktführer zu machen und die Digitale Agenda der Kommission kraftvoll voranzutreiben. Ein starkes Europa muss diese Chancen unbedingt nutzen.

Liberale aus den Niederlanden und Deutschland – uns verbindet die Idee eines starken Europas als Freiheitsordnung und nicht als Superbehörde. Wir wollen eine Gemeinschaft, die Chancen eröffnet und Wohlstand bewahrt. Aber wir wollen auch eine Einheit, die Vielfalt, Privatinitiative, Wettbewerb und Individualität respektiert. Denn das sind unsere Werte. Das ist unser Europa.

Social Media Button