09.08.2014FDPHaushalt

LINDNER: Unionshaltung zur kalten Progression grenzt an Wählerbetrug

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Sonnabend-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Beate Tenfelde.

Frage: Herr Lindner, mit dem Slogan „Keine Sau braucht die FDP“ werben die Liberalen um Stimmen bei der brandenburgischen Landtagswahl am 14. September. Ein Fall von geistiger Verwirrung?

LINDNER: Auch mir hat der Atem gestockt, als ich die Kampagne erstmals gesehen habe. Aber die Landesverbände entscheiden selbst, und man kennt nun die Pointe. Es ging den Kollegen um einen provokanten Start, damit die Partei wahrgenommen wird. Jetzt wird die eigentliche Botschaft plakatiert: „Der Mittelstand braucht die FDP". Mit Blick auf die Große Koalition stimmt das ja auch.

Frage: Am 31. August bei der Sachsen-Wahl könnte die FDP die letzte Regierungsbeteiligung in einem Bundesland verlieren. Wäre das der endgültige Todesstoß?

LINDNER: Natürlich sind die anstehenden Wahlen wichtige Meilensteine für die FDP. Etwa in Sachsen war die Kommunalwahl mit mehr als 5 Prozent für die FDP ermutigend. Daran wollen wir anknüpfen, damit Sachsen erfolgreich bleibt. Die tilgen Schulden, machen gute Wirtschaftspolitik und haben ein leistungsorientiertes Bildungssystem. Schwarz-Gelb in Sachsen ist der Kontrast zu Schwarz-Rot in Berlin. Der Neuaufbau der Bundes-FDP dauert aber länger.

Frage: Ist die AfD entzaubert oder ernste Gefahr für die Liberalen?

LINDNER: Alle Meinungsforscher sagen übereinstimmend: Die AfD ist keine Gefahr für die FDP. Das entspricht meiner Wahrnehmung. Die AfD ist gesellschaftspolitisch geradezu evangelikal und insgesamt rückwärtsgewandt. Beispielsweise empfinden Liberale die Individualität unserer Gesellschaft als Bereicherung, die AfD als Bedrohung. Das ist der Unterschied. Unsere Wettbewerber sind Union und SPD, die Deutschlands Stärke durch teure Geschenke verspielen.

Frage: Themenwechsel: Das Neugeschäft der deutschen Industrie ist im Juni überraschend eingebrochen. Kater nach dem Wachstumsrausch oder Quittung für eine wirtschaftsfeindliche Politik der Bundesregierung?

LINDNER: Wer glaubt, dass Deutschlands gute Lage selbstverständlich ist, hat längst angefangen, sie zu verspielen. Die große Koalition hat den Ernst der Lage nicht erkannt. Statt unser Land zukunftsfest zu machen, haben Union und SPD die „happy hour“ ausgerufen. Die geben Geld aus, als gäbe es kein Morgen mehr. Mit dem Mindestlohn und dem Rentenpaket belastet die Bundesregierung die Wirtschaft zusätzlich. Das ist fahrlässig und zukunftsvergessen. Nötig wären neue Impulse – durch Investitionen in marode Straßen und Brücken, in Bildung und den Abbau der kalten Progression. Nur so kann Wachstum in Deutschland dauerhaft stabilisiert werden.

Frage: Was genau läuft falsch?

LINDNER: Die SPD gibt in allen wichtigen Fragen den Ton an und die Union wehrt sich nicht einmal mehr. Die Regierung ist vollkommen vom marktwirtschaftlichen Kurs der letzten Jahre abgekommen. Statt Investitionen in Infrastruktur versucht Herr Dobrindt sein Maut-Gegurke noch zu retten. Dabei schafft die Maut nur neue Bürokratie und stößt unsere Nachbarn vor den Kopf. Wir sind meilenweit von einem guten Bildungssystem entfernt, aber die Regierung vernachlässigt dieses Thema vollkommen. Und Herr Schäuble vergibt die historische Chance, in Zeiten höchster Steuereinnahmen endlich alte Schulden abzubauen und durch den Abbau der kalten Progression mehr Gerechtigkeit ins Steuersystem zu bringen.

Frage: Zuletzt scheiterte der Abbau der Kalten Progression an SPD und Grünen. Jetzt aber treibt SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel diese Steuerentlastung voran. Was halten Sie davon?

LINDNER: Ich kann mir nur die Augen reiben. Obwohl die CDU diese Entlastung von automatischen Steuererhöhungen selbst zweimal in Wahlprogrammen hatte, hat Herr Schäuble gebremst. Als wir ihn Anfang 2013 soweit bewegt haben, hat Gabriels SPD im Bundesrat blockiert. Jetzt übernimmt Herr Gabriel aus rein taktischen Gründen die FDP-Linie. Wenn die Union den Vizekanzler jetzt nicht beim Wort nimmt, dann grenzt das an Wählerbetrug. Es kann nicht sein, dass die Menschen Gehaltserhöhungen vor allem beim Staat abliefern.

Frage: SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel feilt an einer SPD-Kurskorrektur hin zu mehr Wirtschaftsfreundlichkeit. Wie ernst nehmen Sie das?

LINDNER: Herr Gabriel ist ja zu allem bereit, um seine Chancen zu steigern, Bundeskanzler zu werden. Vom staatlichen Einheitslohn, über die ideologisch hoch subventionierte Energiepolitik bis zu seinem Verständnis für die französische Schuldenpolitik sehe ich keine wirtschaftsfreundliche Wende bei ihm. Herr Gabriel will ja sogar den europäischen Stabilitätspakt wieder aufweichen. Er ist nicht der rote Erhard, sondern leider eher ein deutscher Hollande.

Frage: Sozial und liberal - das nennt Gabriel ein gutes Profil für den SPD- Bundestagswahlkampf 2017. Betrachten Sie das als Antrag oder Kampfansage?

LINDNER: Ich kann mich nur freuen, wenn Parteien liberaler werden. Aber allen Ankündigungen folgt bislang leider meist das Gegenteil. Dabei wäre es dringend nötig, wieder mehr auf Marktwirtschaft, starke Bürgerrechte und Toleranz zu setzen. Eine Partei, die den Einzelnen in den Mittelpunkt rückt und Chancen ermöglichen will, fehlt im Deutschen Bundestag.

Frage: Haben sich SPD und FDP etwas zu sagen?

LINDNER: Ich spreche mit allen Parteien, mit Union und SPD. Wir suchen aber eigenständig einen neuen Weg. Es geht darum, die FDP vom Image der Nein-Sager und Verhinderer zu befreien und sie als zukunftsgewandte Kraft zu profilieren. An Koalitionen denke ich nicht.

Frage: Die FDP wieder als Ein-Mann-Show?

LINDNER: Ich will keine One-Man-Show. Die FDP hat viele starke Köpfe. Wir sind auch offen für Quereinsteiger. Nach der Bundestagswahl ist Marie-Christine Ostermann, die man als Vorsitzende der jungen Familienunternehmer und Kämpferin für Fairness zwischen Jung und Alt aus dem Fernsehen kennt, bei uns eingetreten. In NRW ist sie inzwischen in der Parteiführung.

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