11.10.2014FDPFDP

LINDNER-Interview: Wohlstand muss erwirtschaftet werden, bevor er verteilt werden kann

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Münchner Merkur“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ALEXANDER WEBER:

Frage: Laut der jüngsten Deutschland-Trend-Umfrage steht die AfD bei neun Prozent, die FDP bei zwei. Was macht Herr Lucke besser als Sie, Herr Lindner?

LINDNER: Herr Lucke bedient Stimmungen. Mir geht es um liberale Grundüberzeugungen. Ich will, dass Deutschland ein weltoffenes und tolerantes Land bleibt, das eine starke wirtschaftliche Basis hat. Es besorgt mich, dass uns eine vereinigte Sozialdemokratie von Union und SPD regiert. Die haben vergessen, dass Wohlstand erwirtschaftet werden muss, bevor er verteilt werden kann. Linke und AfD bedienen dagegen ein Klima von Protest, Ressentiment und Angst. Die bürgerliche Mitte ist frei für uns.

Frage: Die Menschen scheinen die FDP aber nicht zu vermissen. Warum nicht?

LINDNER: Die FDP hat als Regierungspartei Fehler gemacht. Dafür hat die FDP den Preis einer Wahlniederlage bezahlt. Wir sind nicht abgewählt worden, weil wir zu liberal waren, sondern weil wir zu wenig liberal waren. Es war etwa ein Fehler, dass die FDP die planwirtschaftliche Energiewende mitgetragen hat. Sie sichert einigen Investoren 20 Jahre Dauersubventionen, die Wettbewerb und Fortschritt ausbremsen, aber die Energiepreise treiben. Das habe ich schon zu unserer Regierungszeit kritisiert.

Frage: Das war doch nicht Ihr einziger Fehler?

LINDNER: Manche sagen, die FDP hätte die fehlenden Stimmen für den Bundestag erhalten, wenn sie sich gegen die Euro-Stabilitätspolitik gestemmt hätte. Selbst wenn es so wäre, würde es Deutschland heute schlechter gehen – wirtschaftlich und politisch. Wir hätten Europa aufs Spiel gesetzt und unsere Seele verloren. Trotz Wahlniederlage war es richtig, dass wir uns gegen Opportunismus und für Europa entschieden haben.

Frage: Sie bedauern also nicht, den Euro-Rettungsschirm-Kritiker Frank Schäffler nicht besser eingebunden zu haben?

LINDNER: Er ist eingebunden, weil die FDP die politische Heimat für alle Facetten des Liberalismus ist. Ich teile auch manche Kritik etwa des Bundesbankpräsidenten an der EZB-Politik, die Frankreich und Italien alle Reformanreize nimmt. Die Grundsatzentscheidung, Europa politisch und wirtschaftlich zusammenzuhalten, ist aber zugleich eine Lehre aus der Geschichte und Vorsorge für Zukunft.

Frage: Auch wegen der Krisen rund um Europa?

LINDNER: Die neuen Spannungen mit Russland und die Krisen in der Arabischen Welt zeigen doch, wie kurzsichtig, einseitig ökonomisch und geschichtslos manche argumentieren. Man stelle sich nur unsere Lage vor, wenn Deutschland Europa 2010 in neue Rivalitäten hätte fallen lassen, wie Professoren es gefordert hatten. Das setzt sich beim Freihandelsabkommen mit Nordamerika fort. Ich kann nicht verstehen, dass eine Partei wie die AfD gleichermaßen gegen Europa wie gegen die transatlantische Partnerschaft sein kann.

Frage: Viele Bürger haben allerdings Angst vor einer Aushöhlung von nationalen Souveränitätsrechten durch das Freihandelsabkommen TTIP...

LINDNER: Wir haben bereits seit vielen Jahren solche Abkommen. In Wahrheit geht es doch um etwas ganz anderes: um antiamerikanische Ressentiments.

Frage: Mögen Sie Chlorhühnchen?

LINDNER: Das Chlorhühnchen ist doch längst das Symbol der Angstmache. Es wird ausgerechnet von den Leuten für Stimmungsmache genutzt, die jeden Sommer im Freibad mehr Chlorwasser schlucken als sie mit amerikanischem Geflügel jemals auf den Teller bekämen. Die Antiamerikaner von links und die Nationalstaatsromantiker von der AfD gefährden unseren Wohlstand. TTIP ist eine enorme Chance für unsere exportorientierte Wirtschaft – zur Sicherung gut bezahlter Arbeitsplätze. Wir schaffen außerdem damit weltweit gültige Standards in Umwelt- und Sozialfragen. Gelingt uns dieser Brückenschlag über den Atlantik nicht, setzen andere die Standards zu unseren Lasten. Es wird dann der autoritäre chinesische Staatskapitalismus sein, der die Regeln im Welthandel bestimmt.

Frage: Am 15. Februar findet in Hamburg die Bürgerschaftswahl statt. Dort hat sich gerade eine Gruppe Liberaler von der FDP getrennt. Wie schätzen Sie diese Gruppierung ein?

LINDNER: Ich sehe keinen Bedarf nach einer weiteren sozialdemokratischen Partei links der Mitte.

Frage: Die Prognosen für die Wahlen 2015 in Hamburg und Bremen sind für Sie alles andere als rosig. Glauben Sie, dass Ihre Partei die Trendumkehr schafft?

LINDNER: Glaube ist etwas für Kirchgänger, aber kein Rezept, um eine Wahl zu gewinnen. Für die FDP tritt mit Katja Suding die populärste Oppositionspolitikerin Hamburgs an. Die FDP passt auch sehr gut zu Hamburg. Die Hansestadt soll weltoffen und wirtschaftlich stark bleiben. Das Gegenteil versammelt sich gerade unter neuem Etikett: Die alten Köpfe der Schill-Partei sind jetzt das Gesicht der AfD.

Frage: Halten Sie ein Bündnis der AfD mit der Union für denkbar?

LINDNER: Nein, die CDU würde ihre Identität verlieren. Die Partei Konrad Adenauers und Helmut Kohls würde ihre klare proeuropäische und transatlantische Orientierung aufgeben.

Frage: Man hat den Eindruck, dass Sie ziemlich allein an der Parteispitze rackern. Fühlen Sie sich einsam?

LINDNER: Wir sind eine Partei mit 56 000 Mitgliedern, die sich wieder als Mannschaft gefunden hat. Ich baue auf Hermann Otto Solms, Wolfgang Kubicki, Katja Suding und Nicola Beer, unserer Generalsekretärin. In Bayern haben wir mit Albert Duin einen frischen Quereinsteiger. Wir sind also keine One-Man-Show.

Frage: Stimmt: Noch einer aus der FDP hat es in die Schlagzeilen geschafft: Ihr Parteifreund, Ex-Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), wechselt nach weniger als einem Jahr zum Allianz-Konzern. Ist das eine angemessene Karenzzeit?

LINDNER: Ja. Daniel Bahr ist ein anerkannter Gesundheitsexperte und studierter Gesundheitsökonom. Hätte man einen Skandal konstruiert, wenn ein Sozialdemokrat in den Vorstand einer gesetzlichen Krankenkasse wechselt? Darum geht es ja: Ressentiments gegen die private Krankenversicherung zu schüren. Dabei ist das eine wichtige Säule, die dem gesamten Gesundheitswesen Stabilität sichert.

Frage: Die Bundesregierung bietet der Opposition genügend offene Flanken. Warum attackieren Sie nicht erfolgreicher? Etwa beim Beispiel Bundeswehr?

LINDNER: Frau von der Leyen hat zu Beginn ihrer Amtszeit die Prioritäten falsch gesetzt, das holt sie jetzt ein. Über die Kita-Versorgung in Kasernen kann man sprechen. Aber die Weltpolitik hat uns längst andere Aufgaben gestellt. Ich empfehle, den Reset-Knopf bei vielen Rüstungsvorhaben zu drücken und dann eine Prioritätenliste abzuarbeiten. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben einen Anspruch auf moderne Ausrüstung, wenn sie für ihr Land ihr Leben einsetzen.

Frage: Auch die Energiewende kommt nicht voran. Bayerns Ministerpräsident stellt jetzt die geplanten Stromtrassen infrage.

LINDNER: Die Energiewende ist total verkorkst. Wir müssen das System der dauerhaften Subventionierung einzelner Energieträger aufheben und das EEG abschaffen.

Frage: Aber das hätte FDP-Wirtschaftsminister Rösler doch tun können...

LINDNER: Ja, das stimmt. Der damalige bayerische Wirtschaftsminister Zeil und ich haben uns dafür eingesetzt. Der Zubau erneuerbarer Energie passiert in einem aberwitzigen Tempo. Wir nutzen zudem technologischen Fortschritt nicht. Meine Empfehlung: Weg mit dem Erneuerbaren Energiegesetz, Tempo rausnehmen, europäische Energiepolitik machen. Dann stellt sich auch die Frage nach den Trassen wieder neu. Wenn man nicht nur im bayerischen oder deutschen Kontext denkt, wird manche Planung noch einmal angepasst werden müssen.

Frage: Reicht dezentrale Energieerzeugung aus für ein großes Industrieland?

LINDNER: Nein, wir werden weiterhin in hinreichend großem Maße für die Grundlast auch konventionelle Energieträger wie Gas oder Kohle nutzen müssen.

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