21.09.2018FDPFDP

LINDNER-Interview: Wir sind bereit für Neuwahlen

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Fuldaer Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Claudia Voss.

Frage: Herr Lindner, der Fall Maaßen macht fassungslos. Was haben Sie gedacht, als Sie von der Entscheidung, Herrn Maaßen zu versetzen, erfahren haben?

Lindner: Dass das symptomatisch ist für eine große Koalition, die keine Linie mehr hat. Entweder man vertraut einem Behördenleiter, dann kann er seine Arbeit fortsetzen – oder man vertraut ihm nicht, dann darf er nicht eine noch verantwortungsvollere Position einnehmen. Ich werfe der großen Koalition insbesondere vor, dass die Zuständigkeiten für die Innere Sicherheit für diese Rochade zerstückelt werden und der Wohnungsbau-Experte der Regierung gehen muss. Die AfD versucht, aus dem Debakel Kapital zu schlagen, indem sie den Eindruck erweckt, Herr Maaßen müsse gehen, weil er die Flüchtlingspolitik von Frau Merkel kritisiert. Aber das ist falsch. Dann hätte auch der Präsident der Bundespolizei gehen müssen.

Frage: Auch Sie haben die Entlassung von Herrn Maaßen gefordert – warum?

Lindner: Herr Maaßen hat Vertrauen verloren, weil er sich in einer mindestens fahrlässigen Weise falsch gegenüber Boulevardmedien geäußert hat.

Frage: Angenommen, es wäre zu einer Jamaika-Koalition gekommen und die FDP wäre Teil der Bundesregierung. Wäre die Causa Maaßen dann anders verlaufen?

Lindner: Anders als Frau Nahles hätte ich ultimative, öffentliche Entlassungsforderungen nicht erhoben. So etwas klärt man intern.

Frage: Zwei Regierungskrisen in zehn Wochen – glauben Sie, dass die Bundesregierung die kommenden drei Jahre halten wird?

Lindner: Da wage ich nicht zu spekulieren. Aber nach den nächsten Wahlen in Hessen, Bayern und Europa könnte es für die Koalition noch schwieriger werden. Wir sind auf jeden Fall jederzeit bereit für Neuwahlen und froh, dass wir mit den Grünen und der CDU/CSU keine Koalition vor einem Jahr eingegangen sind.

Frage: Aus heutiger Sicht könnte man auch sagen: In Berlin regiert das Chaos, weil Sie sich damals aus der Verantwortung gestohlen haben.

Lindner: Bei Jamaika hätten Sie mir heute vorgeworfen, ich hätte für meinen Ministerposten alle Überzeugungen über Bord geworden. Mit Jamaika wäre die Situation nicht besser. Die Spannungen in der Regierung rühren von einer Kanzlerin her, die in der Spätphase ihrer Kanzlerschaft politisch erschöpft ist und nicht bereit ist, vergangene Fehlentscheidungen zu korrigieren. Dazu kommt ein Herr Seehofer, der mit Frau Merkel alte Rechnungen begleicht. Wenn FDP und Grüne mit gegensätzlichen Ideen da noch dazukommen, wäre nichts besser. Vielmehr wäre doch bei so einer Koalition der Eindruck bei den Wählern entstanden, dass sich auch die FDP in den Merkel‘schen Einheitsbrei mit einrühren lässt.

Frage: Von den Verhältnissen in Berlin profitieren in den aktuellen Umfragen die kleinen Parteien – außer der FDP. Woran liegt das?

Lindner: Dass wir bei zehn Prozent in Westdeutschland stehen, ist für mich eher eine Motivation. Denn die FDP hat sich mit der Abkehr von Jamaika für einen harten Weg entschieden. Nahezu alle politischen Wettbewerber sind durch unsere Haltung, auch einmal Nein zu Macht zu sagen, in Verlegenheit gebracht worden. Dafür hat uns keiner gelobt, aber alle arbeiten sich an uns ab. Die Wähler, die sich jetzt zur FDP bekennen, sind ganz offensichtlich Überzeugungstäter, die uns wegen unserer Prinzipienfestigkeit wählen. Und mir persönlich sind zehn Prozent Überzeugungstäter lieber als 15 Prozent Flugsand – Wähler, die aus rein taktischen Gründen wählen.

Frage: In der Generaldebatte des Bundestages sind Sie vergangene Woche heftig mit Grünen-Fraktionschef Andreas Hofreiter aneinandergeraten. Gibt es bei den Grünen Politker, mit denen Sie abends auch mal ein Bier trinken gehen?

Lindner: Es gibt einen durchaus kollegialen Austausch mit den Grünen – ein gemeinsamer Antrag für eine Verfassungsänderung, damit der Bund künftig umfassend ins deutsche Bildungssystem investieren darf, ist zum Beispiel ein Projekt. Ich habe kein Problem mit Leuten wie Robert Habeck, Annalena Baerbock, Katrin Göring-Eckardt oder auch Herrn Hofreiter. Aneinandergeraten sind wir, weil Herr Hofreiter parteipolitisches Kleinklein dazwischenrief, ausgerechnet nachdem ich daran appelliert hatte, dass die staatstragenden Parteien gemeinsam zu einer Lösung der Migrationsfrage kommen sollten.

Frage: Man hat den Eindruck, durch die AfD werden die Debatten im Bundestag im Vergleich zu früher leidenschaftlicher, emotionaler. Sehen Sie das auch so?

Lindner: Nein, die Debatten haben aus meiner Sicht an Niveau verloren.

Frage: Wie müssen die etablierten Parteien Ihrer Ansicht nach mit der AfD umgehen?

Lindner: Es macht keinen Sinn, AfD-Politiker im Parlament als Faschisten zu bezeichnen. Denn solch eine Bezeichnung bestimmt dann die mediale Aufmerksamkeit. Ich empfehle eine nüchterne, ruhige Zurückweisung von AfD-Positionen, bei der man zeigt, dass die Partei überhaupt keine Antworten auf die Probleme hat, die sie anspricht. Außerdem wäre es besser, wenn die seriösen Parteien von sich aus die Probleme lösen, die die AfD groß gemacht haben. Da blockieren aber die Grünen beispielsweise, dass die Magreb-Staaten endlich zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, damit die Abschiebung von Ausreisepflichtigen schneller gelingt. Die AfD bekommt man nicht mit Lichterketten oder Moralisieren klein, sondern nur, indem man ihr ihre Argumente wegnimmt.

Frage: Nach Köthen und Chemnitz hört man immer wieder, das Land sei gespalten. Wie steht es wirklich um die Demokratie in Deutschland?

Lindner: Das Land ist in der Tat gespalten. Auf der einen Seite das Umfeld von Frau Merkel und die Grünen. Auf der anderen Seite Menschen, die ungeduldig oder wütend sind. Leider haben sich zu viele radikalisiert, aber von den Unzufriedenen wählen dennoch zum Glück die meisten die AfD nicht. Das zeigt demokratische Reife. Was wir jetzt bräuchten, wäre eine Art „Macron-Moment“, der uns aus der Unzufriedenheit wieder herausholt. Also die Reorganisation der politischen Mitte.

Frage: Frankreichs Haltung ist auch Ihr Leitbild in der europäischen Migrationspolitik. Sie fordern, ähnlich wie Macron, in der Flüchtlingsfrage zum ursprünglichen Dublin-Abkommen zurückzukehren. Doch wie wollen Sie dabei alle EU-Staaten unter einen Hut bekommen?

Lindner: Durch eine Differenzierung der personellen und finanziellen Lasten in der Flüchtlingspolitik. Gegenwärtig tragen wir die Hauptlast in der europäischen Asylpolitik. Die Lösung wäre daher, dass Deutschland sich ein Stück weit aus seiner bisherigen Verantwortung zurückzieht. Stattdessen könnten die östlichen Staaten vermehrt die Aufgabe der Grenzsicherung und Einreisekontrolle übernehmen und die westlichen die der Aufnahme und der Förderung von Flüchtlingen.

Frage: In Hessen wird am 28. Oktober gewählt – theoretisch könnte es für Jamaika reichen. Was wären Ihre Bedingungen?

Lindner: Eine Koalition machen wir an Inhalten fest. In Hessen steht das Thema Bildung weit oben auf der Aufgabenliste. Volker Bouffier sagt immer, wie toll die Bildung in Hessen sei, aber das gilt vielleicht im Vergleich zu Bremen, nicht aber in der Konkurrenz zu den USA oder asiatischen Staaten. Die Qualität von Kitas, Schulen und Hochschulen kann besser werden.

Frage: Die Digitalisierung ist ein weiteres Anliegen der FDP. Bei der LTE-Abdeckung liegt Deutschland im internationalen Vergleich auf Platz 70 – hinter Albanien ...

Lindner: ... und das ist erschreckend. Wir brauchen in Deutschland eine flächendeckende Netzabdeckung mit einem 5G-Standard, ansonsten werden wir im technischen Wettbewerb künftig anderen Ländern weit hinterherhinken. Beispielsweise treten dann Projekte wie das Autonome Fahren dauerhaft auf der Stelle.

Frage: Die Versäumnisse reichen offenbar weit zurück – auch in Zeiten, in denen die FDP mitregiert hat.

Lindner: Soll ich jetzt sagen, dass die zuständigen Minister von der CSU kamen? Es bringt doch nichts, Schuldzuweisungen in die Vergangenheit zu tätigen. Wir müssen nach vorne denken. Für Hessen bedeutet das ganz konkret die Schaffung eines Digitalministeriums, bei dem alle Zuständigkeiten gebündelt werden, um den Netzausbau voranzutreiben. Außerdem müssen finanzielle Mittel bereitgestellt werden, um Anreize für Netzanbieter zu schaffen, den Ausbau auch im ländlichen Raum anzugehen.

Frage: Woher sollen diese Mittel kommen?

Lindner: Zum Beispiel durch den Verkauf der Staatsanteile an der Deutschen Telekom. Warum muss der Staat an einem mehrheitlich privaten Unternehmen beteiligt sein, das im Wettbewerb steht? Das Kapital kann man für Investitionen besser nutzen.

 

 

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