26.10.2017FDPFDP

LINDNER-Interview: Wir brauchen mehr Ordnung bei der Zuwanderung

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab „Spiegel Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Severin Weiland.

Frage: Herr Lindner, die nächste Jamaika-Sondierungsrunde steht an. Es geht auch um das Thema Migration. Beharren Sie auf dem bei der CSU und in Teilen der CDU umstrittenen Einwanderungsgesetz?

Lindner: Ja. Wir wollen die bürokratischen Hürden für qualifizierte Fachkräfte, die ohne ein Jobangebot nach Deutschland kommen, reduzieren. Wir müssen das Gelegenheitsfenster nutzen, dass die USA und Großbritannien gegenwärtig weniger attraktiv sind. Da sind wir näher bei den Grünen als bei der CDU. Gleichzeitig brauchen wir mehr Ordnung bei der Zuwanderung und einen realistischen Blick auf die Möglichkeiten.

Frage: Die Grünen wollen eine großzügige Regelung beim Familiennachzug. Wie halten Sie es?

Lindner: Die Aufnahmebereitschaft und die Möglichkeiten der deutschen Bevölkerung sind nicht unbeschränkt. Deshalb muss sowohl die Rückführung von Illegalen in die Herkunftsländer als auch die zeitliche Begrenzung des Aufenthalts von Flüchtlingen in Deutschland auf die Tagesordnung. Erst danach kann man über den Familiennachzug sprechen. Wenn das System der Begrenzung und Kontrolle funktioniert, kann man beim Familiennachzug wieder offener werden. Bis dahin muss er strikt begrenzt werden auf Härtefälle und die Kernfamilie – also Eltern und Kinder.

Frage: Hört sich nach einem Konflikt an, der mit den Grünen auszutragen ist?

Lindner: Absolut. Ich halte nichts vom plumpen Wort der Obergrenze von der CSU, weil es inhaltsleer ist. Aber hinsichtlich der Forderung nach Ordnung und Kontrolle habe ich Verständnis für die CSU, auch bei der Forderung nach einer politischen Wende in der Einwanderungspolitik. Und das kann keine Wende von Frau Merkel in Richtung der Grünen sein.

Frage: In der letzten Sondierungsrunde ging es um die Finanzen. Kaum wurde ein Papier veröffentlicht, stellte Jürgen Trittin den Abbau des Solidaritätszuschlags schon wieder in Frage. Ist auf die Grünen überhaupt Verlass?

Lindner: Herr Trittin weiß, wie bedeutsam die Abschaffung dieser Sondersteuer ist. Wir sind überrascht von der Kommunikationsstrategie der Grünen, die hinter verschlossenen Türen sehr viel beweglicher sind als öffentlich. Klar ist: Es gab bislang keine Einigung, sondern nur eine Themenauflistung, die wieder aufgegriffen wird. Wir hätten auch manches zu präzisieren gehabt, sahen aber keinen Anlass für Theaterdonner.

Frage: Nehmen Sie einen Streit zwischen Realos und Trittin vom linken Flügel wahr?

Lindner: Ich werde mich nicht in die Interna der Grünen einmischen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass sie in manchen Fragen Abstimmungsbedarf haben.

Frage: Wie ist das Klima der Gespräche bisher?

Lindner: Konstruktiv. Ich betrachte es als Spielerei, dass die Grünen sich jetzt den Verzicht auf neue Schulden politisch abkaufen lassen wollen. Die schwarze Null ist ein Signal an die Stabilität in Europa und ein Zeichen der Generationengerechtigkeit in Deutschland. Positiv überrascht war ich, dass die Grünen überhaupt keine Debatte über Steuererhöhungen angefangen haben. Im Wahlkampf gab es ja Forderungen nach Umverteilung zu hören, die den Vorschlägen des ehemaligen französischen Präsidenten Hollande ähnlich waren. Ich habe Respekt vor dem heutigen Realismus der Grünen.

Frage: Das klingt aber noch nicht nach Durchbrüchen. Was haben Sie bislang erreicht?

Lindner: Wir haben Leitplanken entwickelt.

Frage: Und die wären?

Lindner: In der Finanzpolitik garantiert die FDP erstens die schwarze Null. Zweitens: Wir wollen komplett auf den Solidaritätszuschlag verzichten. Wir wollen nicht, dass der Verzicht auf Schulden, die Entlastung der Menschen und Investitionen gegeneinander ausgespielt werden. Die Lösung sind mehr Disziplin und weniger Konsumausgaben. Drittens: Wir wollen dafür eine Revision der Finanzplanung der Großen Koalition vornehmen. Die Zahlen des Bundesfinanzministeriums akzeptieren wir nicht als Beratungsgrundlage, weil hier Vorhaben und Pläne der Großen Koalition enthalten sind, die wir nicht fortsetzen wollen. Ich nenne als Beispiel die ökologisch unwirksame und sozial unausgewogene Subvention für teure Elektroautos.

Frage: Sie sprechen immer von der Krankenschwester und dem Facharbeiter. Vom Soli-Wegfall würde aber auch der Einkommensmillionär profitieren. Wie geht das zusammen?

Lindner: Der Solidaritätszuschlag muss aus ökonomischen, rechtlichen und Gründen der politischen Glaubwürdigkeit entfallen. Wer diese Sondersteuer zahlt, der profitiert natürlich vom Wegfall. Davon völlig unabhängig wäre die wünschenswerte Reform der Einkommensteuer. Dort würden wir von der Krankenschwester bis zum Ingenieur alle entlasten. Bei Einkommensmillionären wie den Stars der Bundesliga wäre es ausreichend, wenn sie nicht stärker als zuvor belastet würden.

Frage: Herr Trittin stellt auch den völligen Wegfall des Soli infrage.

Lindner: Das darf er. Wir stellen ja auch viele Pläne der Grünen infrage. Diese Sonderabgabe wird bis 2019 zur Finanzierung des Solidarpakts II erhoben. Alle Parteien haben zugesagt, dass er dann wegfällt. Wir fühlen uns daran gebunden. Vorstellungen der Union oder von Teilen der Grünen, den Soli noch bis weit ins nächste Jahrzehnt weiterzuführen, können wir nicht akzeptieren.

Frage: Sie selbst haben in der Vergangenheit vorgeschlagen, den Soli für alle Einkommen in einem ersten Schritt bis 50.000 Euro im Jahr wegfallen zu lassen, im Jahr darauf dann komplett für alle.

Lindner: Ja, dieses Modell der FDP ist aus dem Jahr 2015. Es hätte zum gewünschten Auslaufen 2019 geführt. Aktuell haben wir bei den Sondierungen darüber nicht gesprochen.

Frage: Es gibt ein Papier vom Bundesfinanzministerium, wonach bis 2021 allenfalls pro Jahr 7,5 Milliarden an Entlastungen möglich sind.

Lindner: Wir warten die Steuerschätzung Anfang November ab. Gegenwärtiger Stand ist, dass der Staat 2021 rund 146 Milliarden mehr in der Kasse haben wird als 2016. Aber wir müssen auch kritisch Bilanz ziehen. Die Große Koalition hat in den vergangenen vier Jahren nichts getan, um den Staat effizienter, schlanker zu machen. Wir wollen uns ansehen, welche Gesetze und Subventionen revidiert werden können, um zusätzlichen Spielraum für Zukunftsaufgaben wie Bildung und Digitalisierung zu erlangen.

Frage: Wie steht es denn mit Ihrer Forderung, der Bund solle seine Aktienanteile bei Post und Telekom verkaufen, um mit den Milliarden vor allem im ländlichen Bereich in den Ausbau des Glasfasernetzes zu investieren?

Lindner: Wir haben das in der Runde angesprochen – Post, Telekom und Commerzbank. Aber gemeinsam haben wir uns darauf verständigt, dass wir Investitionen dann aufrufen, wenn es fachlich passt. Wir werden also darüber sprechen, wenn es um Digitalisierungsfragen geht.

Frage: Und was ist mit der Kalten Progression in der Einkommensteuer?

Lindner: Ich kann mir vorstellen, dass wir mit der Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch eine Reform der Einkommensteuer angehen. Allerdings – den Soli kann der Bund abschaffen, für eine Reform etwa bei der Kalten Progression brauchen wir den Bundesrat.

Frage: Der französische Präsident Macron ist 39, der künftige österreichische Kanzler Kurz 31. Sie sind 38. Ist es Zeit für einen jungen FDP-Finanzminister?

Lindner: Es geht nicht um mich, nicht einmal um die FDP. Es geht um eine andere Finanzpolitik. Wir haben im Wahlkampf für weltbeste Bildung geworben, für mehr Geld in digitaler Infrastruktur, für Schulsanierung, für den Glasfaserausbau. Darum geht es.

Frage: Moment – kürzlich sagten Sie, das Finanzministerium dürfe nicht mehr die verlängerte Werkbank des Kanzleramtes sein, Sie wollen auch keinen CDU-Minister mehr dort haben. Befürchten Sie nicht, dass sich der nun geschäftsführende Finanzminister und Merkel-Vertraute Peter Altmaier da jetzt festsetzt?

Lindner: Die Befürchtung habe ich nicht, über Positionen in der Regierung wird ganz am Ende entschieden. Da kann sich keiner festsetzen. Sollte es zu dieser Kleeblatt-Koalition aus vier Parteien kommen, empfehle ich, dass nach dem Vorbild der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein eine der kleineren Parteien das Finanzministerium führt.

Frage: In Kiel wird es von einer Grünen-Ministerin geleitet.

Lindner: Richtig, und das ist ein Beitrag zur Konfliktvermeidung. Es ist zugleich eine Möglichkeit, die Regierungsarbeit mit zu steuern. Das Finanzministerium in den Händen einer der kleineren Parteien wäre daher Ausdruck einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Das halte ich für ratsam.

Frage: Mit einem Grünen-Finanzminister könnten Sie ernsthaft leben?

Lindner: Mir geht es um eine andere Finanzpolitik. Deren Eckpunkte würden in einem Koalitionsvertrag skizziert werden – mehr Kapital für Unternehmensgründer, Entlastung in der Mitte der Gesellschaft, faire Besteuerung großer Multimilliarden-Dollar-Konzerne, keine Transfer- und Haftungspolitik in Europa, sondern mehr Investitionsanreize.

Frage: Die Äußerungen von Herrn Trittin zeigen doch, dass man am besten Inhalte und Amt vereinigt, um in der Finanzpolitik ganz sicherzugehen.

Lindner: (lacht) Das habe ich mir bei Herrn Trittins Worten auch gedacht.

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