01.12.2014FDPSteuern

LINDNER-Interview: Schwarz-rot-grüne Steuerjunkies auf Entzug setzen

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Focus“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten FRANK THEWES und ULRICH REITZ:

Frage: Herr Lindner, welche Gefühlsregungen löst die Marke 5,5 Prozent bei Ihnen uns?

LINDNER: Erst mal keine. Gegenfrage: An was hatten Sie denn gedacht?

Frage: So hoch ist der Solidaritätszuschlag, den die FDP einst abschaffen wollte, aber aus heutiger Sicht wohl auch Ihr Traumergebnis für die nächste Bundestagswahl.

LINDNER: Nein, mein Ziel für die FDP liegt deutlich höher und meine Vorstellung vom Soli deutlich niedriger.

Frage: Soll er nicht mehr ganz weg?

LINDNER: Doch. Die Grunderwerbsteuer wird in vielen Ländern erhöht, der Lohnklau durch die kalte Progression fortgesetzt, und jetzt soll der Soli eine Ewigkeitsgarantie bekommen. Die schwarz-rot-grünen Steuerjunkies gehören auf kalten Entzug gesetzt. In Zeiten niedrigster Zinsen und höchster Steuereinnahmen wären mehr Investitionen ganz ohne Soli oder Maut möglich. Die Politik hat die Zusage gegeben, den Soli befristet und an den Aufbau Ost gebunden zu erheben. Wenn der Solidarpakt 2019 ausläuft, muss der Soli weg! Ansonsten wäre das eine Lüge und eine glatte Steuererhöhung.

Frage: Auch wenn die Bürger nicht mehr zahlen als heute?

LINDNER: Ja. Denn wenn etwas weitergeführt wird, was auslaufen soll, zahlen die Bürgerinnen und Bürger natürlich mehr. Wenn CDU und CSU das mitmachen, verlieren sie ihr Gesicht. Frau Merkel hat die Zusage gegeben: keine zusätzlichen Belastungen. Ich erwarte also, dass sie den Soli abschafft. Alles andere wäre ein Wortbruch.

Frage: Alle Ministerpräsidenten wollen ihn über 2020 hinaus behalten. Auch im Deutschen Bundestag hat sich keine Fraktion dagegen ausgesprochen.

LINDNER: Die Ministerpräsidenten schließen einen Vertrag zu Lasten Dritter, die nicht am Tisch sitzen: zu Lasten der Steuerzahler. Ohne FDP fehlt eben eine Stimme für Maß und Mitte. Bei der Verabschiedung des staatlichen Einheitslohns und der Aufhebung der Tarifautonomie ...

Frage: Damit meinen Sie den gesetzlichen Mindestlohn?

LINDNER: ... haben im Deutschen Bundestag nur fünf Abgeordnete dagegen gestimmt. Das ist nicht nur Politik wie in der DDR-Volkskammer. Das sind auch Abstimmungsergebnisse wie in der Volkskammer. Zwischen der im Bundestag versammelten Sozialdemokratie und der Protestalgie, wie sie die AfD verkörpert, ist eine Lücke für eine Partei, die zuerst Vertrauen in den Menschen setzt und erst dann den Staat zur Hilfe holt. Und das ist die FDP.

Frage: Die Alternative sehen viele Menschen in Ihrer neuen Konkurrenz, der AfD. Warum werben Sie nicht stärker um Euro-Skeptiker?

LINDNER: Die FDP wird nicht probieren, die bessere Protestpartei zu sein. Die Vorstellungen der AfD sind bestenfalls naive Träumereien. Im Ergebnis wären sie brandgefährlich. Wenn Italien etwa einen Weich-Euro bekäme und die Betriebe dort aber ihre Kreditverpflichtungen in Hart-Euro bedienen müssten, würde das eine Pleitewelle auslösen. Dann hätten wir eine Wirtschaftskrise in Europa, die Tausende Mittelständler in Deutschland massiv treffen würde.

Frage: Trotzdem hat die AfD bei fast allen Wahlen zuletzt mindestens doppelt so viele Stimmen geholt wie die FDP. Wollen Sie diese Wähler nicht?

LINDNER: Doch. Aber nicht mit gefälligen Phrasen, wie sie diese Chamäleon-Partei in die Welt setzt. Es ist doch keine wirtschaftskompetente Politik, sich mal eben gegen das Freihandelsabkommen mit den USA auszusprechen. Mit diesem Abkommen können wir mehr Wachstum und Arbeitsplätze erreichen. Wir haben die Chance, weltweit beachtete Sozial- und Umweltstandards zu definieren. AfD und Linke sagen dazu nein, die Regierungsparteien grummeln: ja, aber. Nur wir als FDP bekennen uns zu einem klaren Ja.

Frage: Auch zum Chlorhühnchen?

LINDNER: Die Lebensmittelstandards in den USA sind eher höher als unsere. Jeder kann frei entscheiden, wie er sich ernährt. Manche sorgen sich wegen des Chlorhühnchens, dabei haben wir hier selbst gechlortes Gemüse oder einen Antibiotika-Gockel auf dem Teller. Ich empfehle mehr Sachlichkeit in dieser Debatte. Der Freihandel bietet uns große Chancen, auf internationaler Bühne mehr zusammenzuarbeiten.

Frage: Gilt das auch für Russland?

LINDNER: Der Gesprächsfaden darf nicht abreißen. Wer aufhört, miteinander zu sprechen, könnte irgendwann anfangen, aufeinander zu schießen. Den Bruch des Völkerrechts können wir in Europa nicht akzeptieren. Das Recht des Stärkeren darf sich hier nicht durchsetzen. Wir sollten einen neuen Helsinki-Prozess starten.

Frage: Jetzt klingen Sie schon wie der langjährige FDP-Vorsitzende und Außenminister Hans-Dietrich Genscher.

LINDNER: Die Entspannungsdiplomatie von Hans-Dietrich Genscher war historisch erfolgreicher als Säbelrasseln. Der seinerzeit von Helsinki ausgehende KSZE-Prozess war eine wesentliche Säule der Verständigung. Deshalb sollten jetzt in einem vergleichbaren Verfahren neue Kooperationsmöglichkeiten für die Zukunft aufgezeigt werden, wenn Russland zur Achtung des Völkerrechts zurückkehrt. Nur so kann die Spirale der Eskalation durchbrochen werden.

Frage: Was wollen Sie mit Russland besprechen?

LINDNER: Drei Themen: erstens das Selbstbestimmungsrecht der Völker in Europa, das Völkerrecht und Menschenrechte. Zweitens die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Dabei geht es nicht nur um eine mögliche Rücknahme von Sanktionen, sondern auch um die Schaffung einer Freihandelszone zwischen Vancouver und Wladiwostok. Drittens die Auslotung gemeinsamer Sicherheitsinteressen, etwa mit Blick auf den sogenannten Islamischen Staat.

Frage: Haben Sie Verständnis für deutsche Firmenchefs, die weiter in Russland für ihr Unternehmen werben?

LINDNER: Wenn es diese Form von Wirtschaftsdiplomatie nicht mehr gibt, werden unsere Schwierigkeiten nur noch größer. Problematisch ist es dagegen, wenn ehemalige deutsche Spitzenpolitiker wie Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder Neben-Außenpolitik betreiben.

Frage: Sie markieren Ihre Themen, aber wie wollen Sie damit durchdringen?

LINDNER: Das Wie ergibt sich aus dem Warum. Ob Schwarz-Rot, Rot-Schwarz, Rot-Grün oder Schwarz-Grün, alle diese Kombinationen betreiben im Kern sozialdemokratische Politik. Ohne uns gibt es keinen Politikwechsel zu mehr Marktwirtschaft, starken Bürgerrechten und einer offenen Gesellschaft. Wer in der parlamentarischen Demokratie wieder Alternativen will, der muss die FDP stark machen.

Frage: Das hat 2009 bei der Bundestagswahl funktioniert. Aber dann kam der Absturz. Welchen Fehler von damals wollen Sie vermeiden?

LINDNER: Wir haben ein Jahrzehnt für ein einfaches, gerechtes und niedrigeres Steuersystem geworben. Dann haben wir aber in der Wahrnehmung vieler Menschen nicht passende Ministerien besetzt und dieses Thema nicht ausreichend durchgesetzt. Daher pflegen wir in unserem aktuellen Auftreten eine Mischung aus Prinzipienfestigkeit und einer gewissen Demut. Wer neues Vertrauen bekommen will, darf den Lautstärkeregler nicht überdrehen.

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