12.01.2016FDPInnen

LINDNER-Interview: Politische Verantwortung von Herrn Jäger aufarbeiten

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „WDR 5 Morgenecho“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte THOMAS SCHAAF:

Frage: Guten Morgen, Herr Lindner. Hat Innenminister Jäger Sie überzeugt?

LINDNER: Die Erwartungen waren groß, Sie haben es in der Anmoderation gesagt. Aber Herr Jäger hat nicht überzeugt. Er hat sich als Aufklärer präsentieren wollen. Er hat seine Hände in Unschuld gewaschen. Er ist ja auch meisterhaft im Verwischen von Spuren. Aber trotzdem: Auch bei ihm liegt eine Verantwortung. Und es muss jetzt genau aufgeklärt werden, welche strukturellen Defizite es in der nordrhein-westfälischen Polizei gegeben hat und immer noch gibt. Denn dazu hat er bislang gar nichts gesagt.

Frage: Welche Schuld trifft ihn denn aus Ihrer Sicht konkret?

LINDNER: Herr Jäger hat in der Vergangenheit mehrfach seine schützende Hand über den Kölner Polizeipräsidenten gehalten, seinen Parteifreund.

Frage: Das ist ja nicht unüblich, oder?

LINDNER: Es hat dort aber mehrfach zahlreiche Führungsfehler gegeben. Vielleicht werden sich die Zuhörerinnen und Zuhörer noch erinnern an den Skandal um Einsätze des SEK in Köln, an die Hogesa-Situation in Köln, die völlig außer Kontrolle geraten ist. In all diesen Fällen hat Herr Jäger seine schützende Hand über den Polizeipräsidenten Albers gehalten, der ganz offensichtlich mit seinem Führungsamt überfordert war. Deshalb trägt Herr Jäger auch eine mindestens mittelbare politische Verantwortung für alle Vorgänge in der Kölner Behörde. Er kann das alles nicht einfach bei Herrn Albers abladen.

Frage: Aber jetzt hat Jäger doch seine Hand weggezogen.

LINDNER: Spät! Und deshalb ist jetzt noch zu diskutieren, auch in dem sein Bericht weiter ausgewertet wird, welche weitere politische Verantwortung Herr Jäger selbst trägt. Es geht auch noch weiter, Herr Schaaf. Wir von der FDP haben Herrn Jäger im letzten Jahr frühzeitig auf Risiken für die Sicherheit aufgrund der hohen Zahl allein reisender männlicher Flüchtlinge aufmerksam gemacht. Wir haben gefragt: Was machen diese Desperados? Und ganz offensichtlich sind hier keine wirksamen präventiven Konzepte umgesetzt worden...

Frage: Moment, Moment, Herr Lindner. Allein reisende männliche Flüchtlinge sind grundsätzlich Desperados?

LINDNER: Nicht grundsätzlich. Aber wir haben ja nun Anlass zu der Vermutung, dass welche darunter sind. Und deshalb haben wir ihn im vergangenen Jahr auf die hohe Zahl hingewiesen. Herr Jäger hat seinerzeit auch in Parlamentsgremien gesagt, dass er sensibel sei, und dass man an Konzepten arbeite. Offensichtlich – die Silvesternacht ist ein Beleg dafür – gibt es hier Rückfragebedarf, was passiert ist. Und auch diese politische Verantwortung von Herrn Jäger wird aufzuarbeiten sein.

Frage: Wie sieht die politische Mitverantwortung, wie Sie es formulieren, denn jetzt konkret aus? Soll er Konsequenzen ziehen? Die Piratenpartei im Landtag fordert seinen Rücktritt. Schließen Sie sich dem an?

LINDNER: Das ist zu früh. Und das wäre nicht seriös. Ich bin sehr sparsam mit Rücktrittsforderungen. Es ist zu früh, den Kopf von Herrn Jäger zu fordern. Ausdrücklich kann man personelle Konsequenzen aber nicht ausschließen. Denn schauen Sie, die Sicherheitslage in ganz NRW ist bedrückend. Auch vor den schrecklichen Eingriffen der Silvesternacht. Die Einbruchskriminalität steigt, ein Asylbewerber aus Recklinghausen wird in Frankreich als terroristischer Gefährder erschossen. In Duisburg gibt es amtlich bestätigte Regionen, auf denen das Recht der Straße gilt. Der Innenminister hat darauf keine strategische Antwort, seit Jahren nicht. Im Gegenteil werden regelmäßig Tausende Arbeitsstunden der Polizei durch Blitzermarathons verschwendet, weil der Opel Corsa mit fünf km/h zu viel zum Staatsfeind Nummer eins erklärt wird. Auch das gehört zur Verantwortung von Herrn Jäger, über die zu sprechen sein wird.

Frage: Wir müssen in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass die FDP, als sie dieses Bundesland noch mitregiert hat, die Partei war, die immer vehement Stellenabbau bei Polizeibehörden gefordert hat, oder?

LINDNER: Nein, das ist völlig falsch. Sogar das Gegenteil von dem, was Sie gerade sagen, ist richtig, Herr Schaaf. Zum Glück können alle Zuhörerinnen und Zuhörer das durch eine kurze Internetrecherche auch ermitteln. Die Wahrheit ist, die FDP wollte und will eine Polizeistrukturreform, mit der Beamte aus Stellen in der Verwaltung der Polizei wieder für den Polizei-Vollzugsdienst, also für den Dienst an der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger freigesetzt werden. Der damalige Innenminister Wolf hat gegenüber der früheren rot-grünen Regierung, die bis 2005 regiert hat, die Zahl der Polizeianwärter sogar erhöht. Das Gegenteil von dem, was Sie gerade behauptet haben, ist richtig. Das können die Zuhörerinnen und Zuhörer im Internet gerne recherchieren.

Frage: Das werden unsere Hörerinnen und Hörer auch tun und deswegen...

LINDNER: Das sollten besser auch Sie machen.

Frage: Und deswegen lassen wir das hier jetzt einfach mal so stehen. Wenn ich mich geirrt habe, werde ich mich auch gerne korrigieren, Herr Lindner. Das kennen Sie von uns. Lassen Sie uns noch kurz über das reden, was in der großen Koalition im Gespräch ist an Gesetzesverschärfungen. Was halten Sie zum Beispiel von einer strengen Wohnsitzpflicht auch für anerkannte Flüchtlinge, nicht nur für Asylbewerber.

LINDNER: Ich bin offen für die Diskussion. Ich bin nicht so schnell wie andere, weil diese Diskussion natürlich auch ein Hindernis für Integration sein kann. Wenn jemand woanders einen Arbeitsplatz hat, man dann eine zu strenge Wohnsitzpflicht hat und jemand kann einen Arbeitsplatz nicht annehmen, dann hätten wir sicherlich mit Zitronen gehandelt. Völlig klar ist aber, dass es keine Gettobildung in Deutschland geben kann. Wenn jetzt sehr viele Menschen kommen, die den Wunsch haben, in den Großstädten zu leben, weil sie dort auch Freunde, Verwandte, Menschen aus der alten Heimat in der Nähe haben wollen, dann ist das verständlich. Aber das ist kein Beitrag zur Integration. Andererseits soll man die Menschen nicht von der Annahme eines Arbeitsplatzes abhalten. Es muss eine Lösung gefunden werden, die beides verbindet. Gettobildung verhindern, aber nicht gleichzeitig auch Integration verhindern.

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