LINDNER-Interview: Lupenreiner Populismus
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Spiegel“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten René Pfister und Christoph Schult.
Frage: Herr Lindner, was ist eigentlich anstrengender: eine APO-Partei zu führen oder als eine von vier Oppositionsparteien um die Aufmerksamkeit des Publikums buhlen zu müssen?
Lindner: Als außerparlamentarische Opposition spielen Sie keine Rolle. Politik findet auf Marktplätzen statt, in Hinterzimmern von Gaststätten, auf der Straße. Eine solche Phase ist charakterbildend, aber auch sportlich. Im Bundestag haben wir Einfluss, durch die Kraft des Arguments, durch Anfragen an die Regierung. Dass die CDU beim Thema Europa den Koalitionsvertrag mit der SPD infrage stellt, hat auch etwas damit zu tun, dass wir Druck machen. Denn gegen die Aufgabe finanzpolitischer Eigenverantwortung und die Vergemeinschaftung von Risiken auf Kosten der Kunden von Sparkassen und Volksbanken würden wir vor das Verfassungsgericht gehen.
Frage: Der Wähler weiß allerdings Ihre Oppositionsarbeit noch nicht so recht zu schätzen. In den Umfragen liegt die FDP derzeit unter dem Ergebnis der Bundestagswahl. Möglicherweise empfinden es die Bürger als naseweis, wenn Sie das große Wort gegen die Regierung führen, wo Sie doch hätten regieren können.
Lindner: Wir haben uns für den harten Weg entschieden, das ist wahr. Regieren wäre kurzfristig leichter gewesen, mittelfristig wäre uns der Bruch von Wahlversprechen teuer zu stehen gekommen. Wenn Sie sich nur kurzfristig an Umfragen orientieren, sind Sie als Politiker verloren.
Frage: Nur hat eben ein Unternehmer, der die Liberalen gewählt hat, damit sie als marktliberales Korrektiv in eine Regierung gehen, herzlich wenig davon, wenn die FDP nun in der Opposition erklärt, wie sie die Dinge regeln würde.
Lindner: Die meisten Menschen interessiert mehr, wie es weitergeht. Mich auch. Nach dem Ende von Jamaika gab es plötzlich einen personellen Generationenwechsel bei Union und Grünen. Und beide wollen neue Grundsatzprogramme erarbeiten. Das zeigt doch im Nachhinein, dass einerseits bei den Jamaikagesprächen noch altes Denken im Spiel war, und dass andererseits Dinge danach in Bewegung geraten sind. Damals war die Merkel-CDU aus Gründen des Machterhalts bereit, den Grünen als selbst erklärter linker Partei weit entgegenzukommen. Innovatives gab es nicht. Dafür wurden wir nicht gewählt.
Frage: In der „Welt“, die die FDP in den vergangenen Jahren eher wohlwollend behandelt hat, war kürzlich zu lesen: „Lindner hat Enormes geleistet, aber seine Themen sind fürs Erste auserzählt.“
Lindner: So? Es gibt ein Heimat- statt eines Digitalministeriums. Das Update eines lebensbegleitenden Bildungssystems hat nicht einmal begonnen. Der breiten Mitte des Landes wird nicht erleichtert, im Leben wirtschaftlich voranzukommen. Wir haben längst nicht die Integrations- und Einwanderungspolitik, die wir brauchen. Über solche Themen spreche ich lieber als Metadebatten zu führen.
Frage: Gern. Auf dem Parteitag Mitte Mai wird es auch darum gehen, wie die FDP es schafft, für Frauen attraktiver zu werden.
Lindner: Nein, das ist ein längerer Prozess, der erst auf dem Parteitag 2019 besprochen wird. Mit moderner Gesellschaftspolitik und beispielsweise unseren progressiven Positionen zur Reproduktionsmedizin sind wir für Frauen eine Alternative. Da können wir wachsen. Der Anteil unserer weiblichen Wähler ist übrigens höher als der unserer Mitglieder oder in der Führung.
Frage: Was keine große Kunst ist, wenn man sich die Bundestagsfraktion anschaut. Dort sitzen 61 Männer und 19 Frauen.
Lindner: Deshalb kümmern wir uns um die Frage.
Frage: Fast alle anderen Parteien beschäftigen sich schon seit Jahren mit dem Thema und sind am Ende zu dem Ergebnis gekommen, dass es ohne Quote nicht gehe – selbst die CSU.
Lindner: Unsere Jugendorganisation hat gerade einen mehrheitlich weiblichen Vorstand gewählt – ohne Quote. Wir diskutieren alle Methoden, aber die einfachsten und üblichen Antworten sind nicht immer die besten.
Frage: Lassen Sie uns über die andere große Männerpartei sprechen, die CSU.
Lindner: Das „groß“ nehm ich jetzt mal als Kompliment.
Frage: Könnten Sie sich vorstellen, mit der CSU nach den bayerischen Landtagswahlen im Herbst zu koalieren?
Lindner: Unsere Freunde in Bayern sind gesprächsbereit. Bis zur Wahl wird die CSU uns aber bekämpfen, um die absolute Mehrheit zu retten. Umgekehrt heißt das, wem die absolute Macht von Markus Söder unheimlich ist, der muss FDP wählen. Und erst recht, wer will, dass Bayern ein weltoffenes, liberales Land bleibt. Bayern ist kein Gottesstaat, wie Söder jetzt glauben machen will ...
Frage: ... das heißt, die FDP würde dafür sorgen, dass Kreuze in Behörden wieder abgehängt werden?
Lindner: Wenn es Kreuze an der Wand gibt und niemand daran Anstoß nimmt, müssen wir keinen unnötigen Konflikt aufmachen. Aber neue Kreuze anzubringen ist eine Symbolhandlung, die ich ablehne.
Frage: Sie haben wiederholt gesagt, dass Sie die sicherheitspolitischen Pläne Emmanuel Macrons für Europa teilen. War es ein Fehler, dass die Kanzlerin eine Beteiligung an den Luftangriffen auf Syrien abgelehnt hat?
Lindner: Deutschland wurde gar nicht gefragt, denn der Zustand der Bundeswehr ist miserabel. Frau Merkel hat überflüssigerweise eine nicht gestellte Anfrage öffentlich beantwortet, was lupenreiner Populismus war. Sie hat leider in Kauf genommen, dass der Westen dadurch uneins erschien. Es wirkte übrigens auch ungeschickt, dass innerhalb einer Woche Macron und Merkel kurz hintereinander in Washington aufschlugen. Dadurch entstand der Eindruck, Herr Trump könne sich seine Gesprächspartner in Europa aussuchen. Zu allem Überfluss wurde Frau Merkel durch das amerikanische Protokoll degradiert, obwohl wir das ökonomische Powerhouse in Europa sind und Frankreich seine Hausaufgaben in der Wirtschaftspolitik erst noch erledigen muss.
Frage: Macron hat bei seinem Besuch in Berlin auf einen Punkt hingewiesen, der Deutschland zu einem unzuverlässigen Bündnispartner mache: den Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr.
Lindner: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. An diesem Charakter soll sich nichts ändern.
Frage: Wie soll das funktionieren, wenn Sie gleichzeitig fordern, Europa müsse in der Sicherheitspolitik stärker zusammenwachsen?
Lindner: Sie denken mir zu stark in der Logik von spontanen Militärschlägen. Ich sehe eine europäische Armee als Vision positiver. Mit jedem eingesetzten Euro erzielen wir mehr Fähigkeiten als allein.
Frage: Wie weit gehen die Gemeinsamkeiten mit Macron in der Europapolitik? Die beiden FDP-Bundestagsabgeordneten Konstantin Kuhle und Michael Link haben sich dieser Tage dafür ausgesprochen, Macrons Partei „En Marche“ nach der Europawahl im kommenden Jahr in die Fraktion der europäischen Liberalen einzubinden.
Lindner: Ich sehe Gemeinsamkeiten zwischen En Marche und den liberalen Parteien in Europa. Macron steht uns Liberalen näher als Grünen, Sozialdemokraten und Konservativen.
Frage: Das würden die genannten Parteien sicher bestreiten.
Lindner: Es stimmt aber. Vor allem die Grünen vereinnahmen Macron gern für dessen Europafreundlichkeit und dafür, dass er zum Pariser Klimaschutzabkommen steht. Das trennt uns nicht. Im Gegensatz zu den Grünen finden wir aber seine flexiblere Arbeitsmarktpolitik, seine Steuerpolitik und seinen Reformgeist auch gut. Ich sehe also viele Berührungspunkte mit der liberalen Parteienfamilie. Daher wäre es klug, wenn En Marche mit uns kooperieren würde.
Frage: Haben Sie darüber mit Macron geredet?
Lindner: Nein. Aber der Parteivorsitzende von En Marche ist mit uns Liberalen auf europäischer Ebene im Gespräch. Es besteht eine Chance, dass die Parteien der liberalen Mitte in Europa gemeinsam so stark werden, dass sie echten Einfluss auf die weitere Entwicklung der europäischen Politik nehmen. Die Schwäche der Sozialdemokratie kann dazu führen, dass die moderate, liberale Mitte zweitstärkste Kraft im Europäischen Parlament werden kann.
Frage: Und dass der nächste Kommissionspräsident ein Liberaler wird?
Lindner: Das hängt von der Koalition ab, die sich nach der Wahl im Europäischen Parlament bildet. Es wird jedenfalls nicht so sein, dass automatisch die stärkste Fraktion, zumal wenn sie auf unter 30 Prozent kommt, den Kommissionspräsidenten stellt, wie es sich CDU und Europäische Volkspartei wünschen. Auch in Deutschland hatte Helmut Kohl 1976 fast die absolute Mehrheit, und trotzdem blieb Helmut Schmidt Bundeskanzler.
Frage: Zuletzt sorgte die Russlandpolitik in der FDP für Wirbel. Ausgerechnet Ihr wichtigster Verbündeter aus der Zeit der außerparlamentarischen Opposition, Wolfgang Kubicki, widerspricht Ihnen.
Lindner: In einem einzelnen Punkt geht er über unseren ansonsten einstimmigen Beschluss hinaus. Leider lenkt das davon ab, dass die FDP insgesamt im Gegensatz zur Bundesregierung für neues Denken in der Russlandpolitik steht. Wir möchten auf der einen Seite eiserne Konsequenz, wenn es um Cyberangriffe geht oder darum, Völkerrechtsverstöße zu ahnden. Auf der anderen Seite wollen wir neue Dialogangebote, um eine Eskalationsspirale zu verhindern. Wir regen zum Beispiel an, dass die Gruppe der wichtigsten Industrienationen Russland einlädt zu einem Format G 7 plus 1.
Frage: Außenminister Heiko Maas lehnt das ab.
Lindner: Das ist ideenlos. Es kann kein Entgegenkommen in der Sache ohne eine andere Politik des Kreml geben. Der Westen darf nicht schwach oder defensiv sein. Aber ich finde es sinnvoll, dass man wieder miteinander ins Gespräch kommt, weil dadurch Schritt für Schritt Spannungen abgebaut werden können. Kein Krisenherd kann ohne oder gegen Russland gelöst werden. Wir müssen also Wege finden, aus der Konfrontationsspirale auszubrechen.