LINDNER-Interview: Lieber vor der Wahl weniger versprechen
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab dem „Straubinger Tagblatt“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Markus Peherstorfer:
Frage: Herr Lindner, wie zufrieden sind Sie denn als leidenschaftlicher Porsche-Fahrer mit den Ergebnissen des Dieselgipfels?
Lindner: Gar nicht zufrieden. Die Käufer von Dieselfahrzeugen sind betrogen worden. Die Politik muss darauf drängen, dass die Menschen entschädigt werden – dadurch, dass die Fahrzeuge nicht nur bei der Software, sondern auf Kosten der Hersteller auch bei der Hardware umgerüstet werden.
Frage: Wäre ein Bundesverkehrsminister von der FDP in den vergangenen Jahren auch so sanft mit der Autoindustrie umgegangen?
Lindner: Generell bin ich dagegen, dass man sanft mit der Wirtschaft umgeht. Der Staat muss die Marktwirtschaft im Interesse der Kunden durchsetzen. Dafür hat er Schiedsrichter zu sein gegenüber Banken, Automobil- oder Telekommunikationskonzernen.
Frage: Sehen Sie da Versäumnisse bei der großen Koalition?
Lindner: Ja. Eine richtige Entflechtung von Politik und Wirtschaft hat ja gar nicht stattgefunden. Denken Sie nur an VW: Unter den Augen des SPD-Ministerpräsidenten von Niedersachsen ist in den vergangenen zwei Jahren der Abgasskandal im Konzern nicht aufgeklärt worden. Im Gegenteil: Jetzt auf den letzten Metern erfahren wir, dass die Konzerntochter Porsche auch betroffen ist. Da sieht man, wie eng Politik und Wirtschaft zusammenhängen – und das ist nie gut, das ist nie im Interesse der Kunden.
Frage: Sie sind kategorisch gegen Fahrverbote. Wie wollen Sie die Anwohner an stark belasteten Straßen dann vor den schädlichen Stickstoffoxiden schützen?
Lindner: Erstens durch klügere Verkehrsführung, damit Stauungen vermieden werden, zweitens durch die Elektrifizierung aller öffentlichen Verkehrsmittel, drittens soll die Belastung der Luft reduziert werden, die unabhängig vom Verkehr entsteht – beispielsweise durch Abluft und Heizungen. Fahrverbote dürfen nur die Ultima Ratio sein, denn dadurch trifft man ja Pendler, die auf das Auto angewiesen sind, sowie den Mittelstand und das Handwerk.
Frage: In Ihrem Wahlprogramm stellen Sie die Bildungspolitik an die erste Stelle und wollen unter anderem mehr Kompetenzen für den Bund. Wie wollen Sie das in einer möglichen Koalition mit CDU/CSU durchsetzen?
Lindner: Wir sagen zunächst einmal, was uns wichtig ist und was wir für richtig halten. Die Frage der Umsetzbarkeit in einer Koalition thematisiere ich jetzt gar nicht. Klar ist doch, dass zwischen den 16 Ländern die Mobilität der Menschen erleichtert werden muss und dass wir mehr Zusammenarbeit und Koordination in der Bildung brauchen. Wenn die Digitalisierung auch im Bildungsbereich Einzug hält, wenn es eine Bildungs-Cloud geben soll, die es in vielen anderen Ländern schon gibt, dann macht das keinen Sinn, das nur für einzelne Bundesländer zu machen. Da wäre selbst Bayern zu klein, da müssen wir schon deutschlandweit denken.
Frage: Sie wollen die Bildungsausgaben in Deutschland verdoppeln. Wie soll das finanziert werden?
Lindner: Angesichts der stark steigenden Einnahmen des Staates bis ins nächste Jahrzehnt hinein halte ich es für finanzierbar, dass Deutschland von den mittleren Plätzen in die Spitzengruppe der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vorstößt. Die Frage ist nicht „Können wir uns mehr Investitionen in Bildung leisten?“, sondern die Frage ist: Können wir es uns leisten, auf Dauer ein mittelmäßiges Bildungssystem zu haben? Wer sich mit mittelmäßiger Bildung zufriedengibt, wird auch mittelmäßigen Wohlstand haben. Wir müssen mehr in Bildung investieren, weil wir sonst unseren Wachstumspfad gar nicht mehr halten können – weil wir dann auf Dauer von den Sozialausgaben aufgefressen werden, die wir dann erhöhen müssen, weil Menschen nicht durch gute Bildung eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben erhalten haben.
Frage: Aber die Mehreinnahmen haben Sie doch quasi schon ausgegeben: Niemand verspricht so hohe Steuersenkungen wie die FDP – 30 bis 40 Milliarden Euro sollen es sein.
Lindner: Von 145 Milliarden Euro Mehreinnahmen bis 2021. Unsere Zahl von 30 bis 40 Milliarden ist sogar noch sehr konservativ. Zwischenzeitlich habe ich mich geärgert, eine so niedrige Zahl genannt zu haben. Aber wir haben das Prinzip umgekehrt: lieber vor der Wahl weniger versprechen, dafür danach mehr halten.
Frage: Wie können Sie solche Steuersenkungen verantworten, solange Deutschland zwei Billionen Euro Schulden hat?
Lindner: Wie kann man verantworten, dass die Bürger das Gefühl haben, im Leben nicht voranzukommen? Das Problem ist doch, dass eine Mittelschichtfamilie, ein Facharbeiter, eine Rechtsanwaltsfachangestellte oder eine Bäckereifachverkäuferin fleißig sind, hart arbeiten, aber dennoch, wenn sie 40 sind, nicht das Geld haben, eine Wohnung zu kaufen, die sie danach dann noch Jahrzehnte abbezahlen müssen. Die Leute haben das Gefühl, dass sie den Wohlstand nicht erreichen, den ihre Eltern hatten. Der Staat muss aus seiner Verschuldung herauswachsen, indem er nicht fortwährend neue Aufgaben übernimmt, sondern die bisherigen effizienter erledigt – aber nicht, indem er sich zulasten der Mittelschicht bereichert.
Frage: Sie haben am Wochenende gesagt, dass man die Besetzung der Krim durch Russland als dauerhaftes Provisorium ansehen werde müssen, um Fortschritte in den Beziehungen mit Moskau zu erreichen. Das heißt, Sie akzeptieren, dass Russland einen Teil der Ukraine besetzt hält?
Lindner: Nein, eben nicht. Wir werden nicht den Völkerrechtsbruch akzeptieren. Aber wir müssen erkennen, dass die Situation nicht schnell gelöst werden kann. Wenn wir also nun von der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim alle anderen Fragen im Verhältnis zu Russland bestimmen lassen, wird es auf sehr lange Zeit keine Verbesserung der Beziehungen geben können. Deshalb habe ich mich dafür ausgesprochen, diese Frage einzufrieren: nicht anerkennen, weiter kritisieren, weiter Sanktionen verhängen, gegebenenfalls verschärfen. Aber an anderen, weniger schwierigen Stellen prüfen, ob Russland bereit ist, seine aggressive und revisionistische Politik zu korrigieren.
Frage: In Ihrem Wahlprogramm steht wörtlich: „Wir Freie Demokraten fordern die russische Regierung auf, die völkerrechtswidrige Besetzung der Krim und den Krieg in der Ostukraine unverzüglich zu beenden.“ Das ist doch ein totaler Widerspruch, wenn Sie jetzt öffentlich sagen, man müsse die Krim-Frage als eingefroren betrachten.
Lindner: Nein, gar nicht. Ich fordere die russische Regierung auf, die Annexion der Krim zu beenden. Das kann ich jeden Tag einmal auf Twitter fordern, es wird aber nicht passieren. Das wird mit keiner noch so harten Sanktion erreicht werden. Also: Wer Bewegung in die Beziehungen bringen will, muss aus der Vergangenheit lernen. Auch in kritischsten Phasen des Verhältnisses mit der Sowjetunion hat es Gespräche, Dialog und auch Fortschritte gegeben, sonst wäre der Eiserne Vorhang niemals gefallen.
Frage: Als Außenminister haben Sie sich damit jedenfalls nicht qualifiziert, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Dafür bekommen Sie Applaus von Sahra Wagenknecht.
Lindner: Ich bin ein großer Anhänger der Pressefreiheit und deshalb werde ich Schweizer Kommentatoren nicht selbst einordnen. Bei Frau Wagenknecht handelt es sich natürlich um einen Gag: Ihren Applaus nehme ich erst dann ernst, wenn sie nicht nur unserer Bereitschaft zu einem Neuanfang in den Beziehungen zu Russland Beifall zollt, sondern genauso auch unserem entschiedenen Eintreten für transatlantischen Freihandel mit den Abkommen Ceta und TTIP. Einfach nur aus dem FDP-Programm Rosinen rauszupicken, das sind die üblichen Wahlkampfspielchen.
Frage: Sie betonen immer wieder, dass eine große Koalition nach der Wahl die wahrscheinlichste Variante wäre. Aber wenn es für Schwarz-Gelb reicht, würden Sie sich darauf einlassen?
Lindner: Das hängt wirklich davon ab, ob wir gemeinsame Inhalte finden. Beispielsweise wollen wir, dass wir in der Einwanderungspolitik die Angebote Frankreichs für einen Schutz der europäischen Außengrenze ernstnehmen. Wir wünschen uns ein Einwanderungsgesetz für Deutschland, das zwischen Flüchtlingen und der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt unterscheidet. Wir haben über die Steuerentlastung und Bildung gesprochen. Wichtig sind noch die bürgerlichen Freiheitsrechte und die Lösung bürokratischer Fesseln. Wenn es da ein gemeinsames Programm gibt, wo wir unsere Handschrift finden, sind wir bereit, mit allen zu sprechen, um Regierungen zu bilden. Aber es gibt keine exklusive Partnerschaft mit der Union. Und ich will noch lange Politik machen. Die Voraussetzung dafür ist, dass man die Glaubwürdigkeit, die wir uns in den letzten Jahren erarbeitet haben, nicht sofort wieder aufs Spiel setzt, nur, weil man rasch wieder einen Dienstwagenschlüssel haben will.