LINDNER-Interview: Klarheit für den Bundeshaushalt 2017 schaffen
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten SARAH BRASACK, JOACHIM FRANK, FABIAN KLASK, PETER PAULS UND WOLFGANG WAGNER:
Frage: Herr Lindner, Sie machen mit „Wutreden“ gegen die AfD im Internet Furore. Aber wofür braucht es die FDP derzeit politisch – insbesondere in der Flüchtlingskrise?
LINDNER: Wer den Rechtsstaat und nicht die Rechtspopulisten stärken will, braucht die FDP. Die Handlungsfähigkeit des Staates muss wieder hergestellt und dem Gewaltmonopol wieder Geltung verschafft werden. Angela Merkels Flüchtlingspolitik der grenzenlosen Aufnahmebereitschaft ist gescheitert. Sie kann nicht auf Dauer versuchen, allen EU-Mitgliedsstaaten ihre moralischen Vorstellungen aufzudrücken. Dieser Versuch hat Deutschland regelrecht isoliert. Beim kommenden EU-Gipfel muss Merkel umkehren und klar machen: Wir gewähren humanitären Schutz, aber eben nur auf Zeit. Deutsche Hilfe müsste in erster Linie dort ansetzen, wo die Flüchtlinge sind, in den Nachbarländern Syriens. Und wir müssen die Kontrolle über die europäischen Außengrenzen wieder herstellen.
Frage: Notfalls mit der Schusswaffe?
LINDNER: Unsinn. Deutschland muss endlich seinen Sonderweg beenden. Stattdessen regiert die Kanzlerin immer noch hinter ihrem Satz „Wir schaffen das“ her. Franzosen, Schweden, Österreicher gehen in der Flüchtlingsfrage längst andere Wege – und sind auch keine Unmenschen. Deutschland muss klarmachen, dass die Grenzen seiner Aufnahme-Kapazität erreicht sind. Deshalb fordere ich: Den rechtlichen Status auf humanitären Schutz anpassen – und endlich mit einer Situation Schluss machen, in der faktisch jeder ein Bleiberecht hat, der einmal die deutsche Grenze überwunden hat. Wenn wir hier konsequent sind, würde sich das als Signal ähnlich schnell verbreiten wie Frau Merkels Flüchtlings-Selfie – allerdings diesmal mit umgekehrtem Effekt.
Frage: Und das Signal an die europäischen Partner, die sich gemeinsamen Lösungen bislang verweigern?
LINDNER: Wenn die Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel nicht zu einer gemeinsamen Strategie gelangen, muss Deutschland zur rechtlichen Situation vor dem 4. September 2015 zurückkehren. Das heißt: Wir gewähren keinen Grenzübertritt für Menschen, die aus sicheren Drittstaaten zu uns wollen. Das ist der letzte politische Hebel, um den Europäern klarzumachen, dass die Flüchtlingskrise kein rein deutsches Problem ist.
Frage: Sie sprechen von Hilfen für die Nachbarländer Syriens. Das wird Deutschland viel Geld kosten.
LINDNER: Das stimmt, aber ich bin sicher: Ohne die ständigen Wachstumskiller der großen Koalition wäre das ohne Neuverschuldung und ohne Steuererhöhungen zu stemmen. Inzwischen jongliert Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble aber bereits offen mit der schwarzen Null, er spekuliert über eine europäische Benzinsteuer zur Finanzierung der Flüchtlingskrise – was nichts anderes ist als eine Steuererhöhung. Daher fordere ich den Finanzminister auf, Klarheit für den Bundeshaushalt 2017 zu schaffen, und zwar jetzt, nicht erst nach den Landtagswahlen vom 13. März. Die Bürger müssen vorher wissen, was die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung sie kostet und wie die große Koalition die erforderlichen Mittel aufbringt. Ansonsten sehe ich die Gefahr eines groß angelegten Wahlbetrugs.
Frage: Was halten Sie davon, Flüchtlinge vom Mindestlohn auszunehmen?
LINDNER: Wenn wir Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren wollen, die aber unsere Sprache nicht sprechen, ist das nötig. Der kleine Handwerker würde aus Mitmenschlichkeit und als Beitrag zur Integration ja vielleicht einen ungelernten Flüchtling beschäftigen. Aber doch nicht, wenn er für eine Produktivität von deutlich unter 8,50 Euro den Mindestlohn zahlen muss, den Frau Nahles jetzt ja sogar noch erhöhen will.
Frage: Die Gefahr eines Verdrängungswettbewerbs ...
LINDNER: .... sehe ich nicht. Jeder ungelernte Deutsche hat immer noch bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt als ein syrischer Flüchtling ohne Sprachkenntnisse. Und wo soll der Verdrängungswettbewerb denn herkommen, wenn wir jetzt schon die freien Stellen, gerade für Ungelernte, nicht besetzen können?
Frage: Die Kölner Silvesternacht beschäftigt Politik und Gesellschaft nach wie vor. Wo sehen Sie das wesentliche Versagen?
LINDNER: Das Versagen lag in Düsseldorf, weil Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD) mehrfach zuvor die Hand schützend über den damaligen Kölner Polizeipräsidenten, seinen Parteifreund, gehalten hat. Dabei hätte er aus vorherigen Führungsfehlern wissen müssen, dass der Mann seiner Aufgabe nicht gewachsen ist. Indem der Minister trotzdem an ihm festgehalten hat, trägt er eine Mitschuld daran, dass die Lage in Köln dermaßen außer Kontrolle geraten ist. Umso infamer war es dann, den Eindruck zu erwecken, als hätten die Polizisten versagt, die im Einsatz ihre Knochen hingehalten haben.
Frage: Wie bewerten Sie die bisherige Arbeit der Kölner OB, die ja auch Kandidatin Ihrer Partei war?
LINDNER: Eine klassische 100-Tage-Bilanz traue ich mir nicht zu angesichts der Ausnahme-Situation, in der Henriette Reker nach dem Attentat auf sie ihr Amt angetreten hat. Sicher war nicht jede ihrer Äußerungen nach der Silvesternacht besonders glücklich. Aber sie hat die persönliche Unabhängigkeit, etwas aus dieser Stadt zu machen. Mehr will ich zur Kölner Kommunalpolitik allerdings auch nicht sagen.
Frage: Dann vielleicht zur politischen Lage vor den Landtagswahlen und zur AfD – Ihrer Lieblingsgegnerin?
LINDNER: Die AfD ist nicht meine „Lieblingsgegnerin“, sondern der größte Kontrast zu uns. Die denken völkisch, wir vom einzelnen Menschen her. Die wollen Europa abschaffen, wir es besser machen. Wer aber die AfD wählt, stärkt übrigens in Wahrheit die Merkel-CDU. Denn mit dem Einzug der AfD in die Landesparlamente wird es am Ende nur noch Koalitionen unter Führung der CDU geben, ob nun in der Kombination Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün.
Frage: In Baden-Württemberg liebäugelt die FDP mit einer schwarz-rot-gelben „Deutschland-Koalition“. Welchen Charme hat solch ein Bündnis für Sie?
LINDNER: Wir gehen eigenständig in die Landtagswahlen. Nach Lage der Dinge werden CDU und SPD aber gemeinsam keine Mehrheit erreichen. In einer Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen sehe ich aus der Entfernung wenig Chancen für eine liberale Politik in Stuttgart. Insofern hätte es Charme, eine andere Regierung zu bilden. Die FDP sagt: Wir sind gesprächsbereit. Wenn wir gebraucht werden. Nicht als fünftes Rad am Wagen – auf keinen Fall.