02.01.2015FDPIntegration und Zuwanderung

LINDNER-Interview: Innere Liberalität unseres Landes fordert Wehrhaftigkeit

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte WILFRIED GOEBELS:

Frage: Tausende Frustbürger protestieren jede Woche gegen eine drohende Islamisierung in Deutschland. Hat die Politik die Ängste vor Zuwanderung nicht ernst genommen?

LINDNER: Bei diesen Demonstrationen geht es weniger um Zuwanderung als um das Unbehagen über eine Welt, in der man sich nicht mehr hinter nationalen Grenzen verschanzen kann. Wenn Sie in Dresden einer Frau mit Kopftuch begegnen, dann ist das eher eine sorbische Großmutter als eine Muslima. In ganz Sachsen leben 4000 Muslime, so viel zur angeblichen Islamisierung. Die Antwort auf Ängste dürfen also nicht Populismus oder falsches Verständnis sein, sondern sachliche Debatten und die Arbeit an tatsächlichen Problemen. Wir sind ein Land von 80 Millionen, das sich nicht von Ressentiments bestimmen lassen darf. Die innere Liberalität unseres Landes fordert Wehrhaftigkeit. Und zwar genauso gegenüber Islamisten, die bei uns Gotteskrieger rekrutieren, wie gegenüber der Miefigkeit von Pegida.

Frage: Braucht Deutschland mehr Zuwanderung?

LINDNER: Ja, die ist in unserem nationalen Interesse. In wenigen Jahren werden Millionen Fachkräfte fehlen, weil die Gesellschaft altert. Zuwanderung ist ein Geben und Nehmen. Deutschland sollte sich die besten Bewerber aussuchen. Dazu brauchen wir ein modernes Zuwanderungsgesetz, wie es etwa Kanada hat. Wer erstens gut ausgebildet ist, wer zweitens für seine Familie etwas mit Fleiß aufbauen will und drittens die republikanischen Werte unseres Grundgesetzes teilt, dem sollten wir dann am Flughafen den roten Teppich ausrollen.

Frage: Es gibt unbestreitbar Integrationsprobleme. Wie lassen sich Parallelgesellschaften künftig verhindern? Müssen auch Muslime einen größeren Beitrag zur Integration leisten?

LINDNER: Es ist eine Realität, dass Deutschland vielfältiger wird. Man kann nicht verlangen, dass Menschen ihre kulturellen Wurzeln kappen. Nicht verhandelbar sind aber die Werte unseres Grundgesetzes. Egal, an welchen Gott der Einzelne glaubt. Deshalb dürfen wir von der sehr überwiegenden Mehrheit der integrationsbereiten Muslime erwarten, dass sie sich entschieden und offen gegen den radikalen Islamismus wenden.

Frage: Wo wollen Sie ansetzen?

LINDNER: Der Schlüssel zu gelungener Integration heißt Bildung, wie viele individuelle Erfolgsgeschichten von Zuwanderern beweisen. Es ist ein Skandal, dass immer noch zu viele Jugendliche ohne jeden Schul- und Berufsabschluss bleiben. Übrigens auch aus deutschen Familien, bei denen man dann genauso von nicht gelungener Integration sprechen muss. Deshalb müssen die Berufsschulen gestärkt werden – die FDP fordert seit Jahren Lehrerstellen und bessere Ausstattung. Eine fatale Fehlentscheidung ist, dass die rot-grüne Landesregierung genau das Gegenteil macht und 500 Lehrerstellen streicht.

Frage: Die FDP kämpft ums Überleben. Ein neues „Netzwerk Liberale Agenda 2025“ will die Partei als Stimme für wirtschaftliche Freiheit retten. Wie wollen Sie aus dem Tief heraus?

LINDNER: Es geht nicht um die FDP, sondern um eine Idee, die momentan unterrepräsentiert ist. Für Freiheit statt Bürokratie, aber bitte mit mehr Haftung in den Führungsetagen der Wirtschaft. Für die Chancen neuer Technologien und des transatlantischen Freihandels. Für ein starkes Europa, aber gegen die inzwischen gefährliche Politik der EZB. Für einen handlungsfähigen Staat, der die finanzielle Belastungsgrenze der Bürger beachtet – Stichwort Solidaritätszuschlag. Ich freue mich, dass sich jetzt erfahrene Größen der Wirtschaft wie Roland Oetker, Jochen Kienbaum, Randolf Rodenstock und Vertreterinnen des modernen Mittelstands wie Marie Christine Ostermann oder Lencke Steiner zur liberalen Idee bekannt haben. Diese Impulse von außen haben uns bei der Erneuerung der FDP schon sehr geholfen.

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