26.12.2018FDPFDP

LINDNER-Interview: Ich bin neugierig auf die Akzente, die Frau Kramp-Karrenbauer setzt.

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab „n-tv.de“ (Mittwoch) das folgende Interview. Die Fragen stellten Tilman Aretz und Gudula Hörr.

Frage: Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Wie spannend war es für Sie?

Lindner: Es war ein dichtes Jahr mit vielen Wendungen und vielen Krisen. Der spannendste Moment war natürlich die Entscheidung von Angela Merkel, das Ende ihrer Ära einzuläuten.

Frage: Und freuen Sie sich über Kramp-Karrenbauer als neue CDU-Chefin? Friedrich Merz wäre doch eher eine Konkurrenz für die FDP gewesen.

Lindner: Ich bin neugierig auf die Akzente, die Frau Kramp-Karrenbauer setzt. Friedrich Merz schätze ich. Wir hätten seine Konkurrenz nicht gefürchtet, er hätte die Debatte eher bereichert: Dann würde in Deutschland wieder stärker über Fragen des wirtschaftlichen Vorankommens gestritten, die wir ja auch für wichtig halten. Andererseits kennt man seine Positionen zum Beispiel in Sachen Digitalisierung und Energiepolitik gar nicht. Und was man in der Europapolitik gehört hat, das passt eher zur SPD.

Frage: Allerdings tun sich jetzt auch andere Optionen für die FDP auf. Kramp-Karrenbauer könnte doch ein Bindeglied zwischen Grünen, FDP und CDU sein.

Lindner: Die junge Angela Merkel wäre vielleicht ein Bindeglied gewesen. Mit Frau Kramp-Karrenbauer würde man hart ringen müssen. Nur Machos haben in ihr eine Mini-Merkel sehen können, ich erkenne hingegen viel Profil. In der Wirtschaftspolitik finden sich von ihr in den Archiven viele Forderungen nach Steuererhöhungen. Das gefällt den Grünen, aber uns nicht. Wir wollen die Menschen ja entlasten. Für eine weltoffene, tolerante und moderne Gesellschaftspolitik stehen weder die neue CDU-Vorsitzende noch die Alternative Friedrich Merz. Das bedauern wir, aber in gleicher Weise sicherlich auch die Grünen. Wir wollen jedenfalls in dieser Hinsicht mehr Liberalität.

Frage: Aber können Sie sich Jamaika mit Kramp-Karrenbauer vorstellen?

Lindner: Mit jeder anderen CDU-Führung nach Frau Merkel wäre Jamaika irgendwann eine Sondierung wert. Frau Merkel hatte die Hypothek von zwölf Regierungsjahren, die neues Denken erschwert. Nach so langer Zeit ist die Antwort einer Regierungschefin immer: "Nein, das haben wir schon vor zehn Jahren geprüft, wir haben das vor fünf Jahren entschieden, dafür habe ich schon vor acht Jahren keine Mehrheit bekommen." Diese Tonspur kennen wir. Taktisch wollte sie die Grünen aus dem linken in ein bürgerliches Lager locken, indem sie viele Zugeständnisse gemacht hat. Den Preis hätten wir zahlen müssen.

Frage: Bereiten Sie sich denn schon auf eine Zusammenarbeit mit Grünen-Chef Robert Habeck vor?

Lindner: Nein, nicht konkret. Ich weiß auch gar nicht, wer bei den Grünen entscheiden würde und welche Inhalte Priorität hätten. Für uns gilt: Wir sind grundsätzlich gesprächsbereit. Aber die Richtung muss stimmen und eine faire Zusammenarbeit muss möglich sein. Im Nachhinein fühlen wir uns in unserer Skepsis gegenüber Jamaika von 2017 bestätigt. Damals waren wir beispielsweise mit der Forderung nach Abschaffung des Solidaritätszuschlags allein, jetzt gab es eine Wende bei der CDU. Seitdem haben auch alle anderen Parteien ihre Spitze ausgetauscht: Angela Merkel, Horst Seehofer, Volker Kauder, Cem Özdemir, Simone Peter.

Frage: Nur Sie stehen noch an der Spitze. Vor zwei Jahren sagten Sie, man könne diese Arbeit nicht ewig machen und als frische Figur dastehen. Wann kommt der Punkt, an dem Sie denken: "Ich bin auch schon ein Gesicht von gestern"?

Lindner: Geben Sie mir bitte noch eine Gnadenfrist. Frau Merkel war 18 Jahre Parteivorsitzende, ich bin es 5. Damit gehöre ich zwar zu den dienstältesten Parteivorsitzenden, aber ein paar Ideen habe ich schon noch. Unabhängig davon sehe ich es immer als meine Aufgabe, die personelle Verbreiterung der FDP voranzutreiben und Führungskräfte aufzubauen.

Frage: Und kann die FDP bald auch ohne Sie?

Lindner: Das könnte sie auch heute schon jeden Tag. Muss sie aber noch nicht, wenn die Partei mir weiter das Vertrauen schenkt.

Frage: Sie mussten in diesem Jahr beobachten, wie die Grünen in den Umfragen an der FDP vorbeigezogen sind und nun bei fast 20 Prozent liegen. Gibt Ihnen das zu denken?

Lindner: Nein. Das gab es in Umfragen öfter. In der Summe sind SPD plus Grüne so stark auch nicht - sie haben die Plätze getauscht, aber keine Geländegewinne erzielt. Der Unterschied ist: Wir sind keine Projektionsfläche, sondern für viele Reibungsfläche. Wir haben Unterstützerinnen und Unterstützer, die einen harten Weg mit uns gehen. Die Unterstützung für die Grünen ist flüchtiger - sie beruht zum Beispiel auch darauf, dass zuletzt viel vom Klimawandel die Rede war. In der Frage wollen wir den Ideenwettbewerb ausfechten. Die Grünen wollen zum Beispiel den Verbrennungsmotor verbieten und allein auf das E-Auto setzen, obwohl mit Biomethan und synthetischen Kraftstoffen ökologisch mindestens gleichwertige Alternativen vorhanden sind. Da ist Planwirtschaft im Spiel.

Frage: Im nächsten Jahr wird in Europa gewählt, dabei ist die EU-Müdigkeit groß. Wie viel Europa brauchen wir noch?

Lindner: Wir brauchen mehr Europa bei Verteidigung und Sicherheit, bei der Zusammenarbeit mit Afrika, bei der Energie-, und Klima- und Handelspolitik. Freihandelsabkommen sollten nur noch auf europäischer Ebene verhandelt und vom EU-Parlament ratifiziert werden. Dann brauchen wir mehr Europa - aber nicht eine reine Vergemeinschaftung - bei der Wirtschafts- und Währungsunion. Hier ist ein starker Mechanismus nötig, der die Einhaltung der Fiskalregeln überwacht, besonders wenn es um die Links- und Rechtspopulisten in Rom oder Athen geht.

Frage: Und welche Aufgaben sollen auf nationalstaatlicher Ebene gelöst werden?

Lindner: Wir dürfen die Länder nicht aus der finanzpolitischen Eigenverantwortung entlassen. Deutsche Volksbanken können nicht für marode italienische Institute haften. Auch eine europäische Arbeitslosenversicherung geht in die völlig falsche Richtung. Wenn Italiens Wirtschaftspolitik zu höherer Arbeitslosigkeit führt, können das nicht die deutschen Beitragszahler mit ihrem Geld ausgleichen. Die Bürger in Italien selbst müssen die Folgen der Politik ihrer Regierung erkennen, damit sie bei Wahlen dann korrigierend abstimmen. Mich hat irritiert, dass Friedrich Merz in diesen Fragen Positionen vertreten hat, die man sonst nur bei SPD und Grünen vermutet hätte.

Frage: In der Flüchtlingspolitik hat sich Europa aber bisher nicht besonders erfolgreich gezeigt.

Lindner: Das lag vor allem an Deutschland, das Einigungen vereitelt hat. Frau Merkel war lange isoliert in Europa, weil wir allein einen moralischen Weltmeisteranspruch vertreten haben. In der Energie- und Klimapolitik haben wir, ohne uns mit anderen abzustimmen, erneuerbare Energien ohne Ende ausgebaut, obwohl wir gar nicht die Stromleitungen und Speicherkapazitäten haben. Und bei der Währungsunion wollte Frau Merkel Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron einen Gefallen tun und seine Vorschläge beim Eurozonenbudget aufgreifen - gegen den Widerstand nicht nur der Niederländer. Auch hier sind wir in eine Sackgasse geraten, aus der langsam zurückgesetzt wird.

Frage: In der Flüchtlingspolitik hat Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer kürzlich Merkel recht gegeben und sinngemäß gesagt: "Wir schaffen es doch." 400.000 Flüchtlinge sind demnach schon in Jobs und zur Stütze der deutschen Wirtschaft geworden.

Lindner: Ich würde mich freuen, wenn das stimmen würde. Ich sehe leider die jüngst veröffentlichte Zahl, dass mehr als 650.000 Flüchtlinge Sozialleistungen beziehen. Und man muss auch fragen: Sind das krisenfeste, qualifizierte Arbeitsplätze, die es erlauben, eine Familie zu versorgen? Ich melde da noch Zweifel an. Wir werden damit noch lange zu tun haben. Umso schlimmer, dass es immer noch kein wirklich funktionierendes Management der Migration gibt. Wir schieben die Falschen ab, sind nicht attraktiv für Talente und schieben zu wenige der Problemfälle ab.

Frage: Größter Profiteur der Flüchtlingskrise ist noch immer die AfD, die im Bundestag und inzwischen in jedem Landtag sitzt. Was machen Sie und die anderen Parteien falsch?

Lindner: Es gibt einen Fehler im Umgang mit der AfD: Wenn wir sie permanent beschimpfen, versorgen wir sie nur mit weiterer Energie. Wir müssen Coolness zeigen und sollten nicht ihre demokratischen Mitwirkungsrechte beschneiden. Ich habe es für einen Fehler gehalten, dass eine mit Schmerzen auszuhaltende Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten des Bundestages nicht gewählt wurde. Warum soll man die AfD mit einem Opfermythos ausstatten? Ich würde mich in der Auseinandersetzung auf anderes konzentrieren: herausarbeiten, dass die AfD zum Beispiel überhaupt gar kein Rentenkonzept hat. Oder dass sie ein Scheidungsrecht wie in den 50er-Jahren will, wo mit dem Schuldprinzip gearbeitet wird.

Frage: Auf so etwas antwortet AfD-Chef Alexander Gauland, dass er nicht gewählt worden sei, um ein Rentenkonzept vorzustellen, sondern wegen der Migration.

Lindner: Tatsächlich ist das die Hauptkampflinie der AfD. Deshalb ist es höchste Zeit für einen Migrationskonsens. Wir brauchen einen Migrationsgipfel mit Bund, Ländern, Kommunen. Es wird dann Streit geben, jeder muss Federn lassen. Aber dann haben wir das Thema nach einem halben Jahr endlich bearbeitet und müssen nicht mehr jeden Tag darüber sprechen. Und dann liegt die AfD irgendwann je nach Landstrich vielleicht bei 5 bis 10 Prozent. Ich fürchte nur: Mit Innenminister Seehofer ist ein Migrationsgipfel nicht zu machen. Ich glaube, er hat gar keine wirkliche Lust auf sein riesiges Ministerium.

Frage: Hätte Seehofer dann in diesem Jahr nicht nur seinen Rückzug als CSU-Chef ankündigen sollen?

Lindner: Ja, sicher. Ich will ihm nichts Böses, er hat eine Lebensleistung und die letzte Phase seines politischen Wirkens wird demgegenüber auch irgendwann verblassen.

Frage: Im nächsten Jahr werden in Thüringen, Sachsen und Brandenburg neue Landtage gewählt. Wie wollen Sie dort aus dem Tief kommen?

Lindner: Tief?

Frage: Momentan liegt die FDP in den drei Ländern bei rund 5 oder 6 Prozent.

Lindner: Alle Umfragen sehen uns in den Landtagen oder sogar als notwendig für Regierungskoalitionen. Natürlich ist Ostdeutschland für uns, die Grünen und die SPD ein schwieriges Pflaster. Aber im Vergleich der letzten 20 Jahre ist für uns die Ausgangslage besonders günstig. Man vergisst, dass wir da mal Wahlergebnisse von einem Prozent hatten. Früher haben wir den Fehler gemacht, uns teilweise traditionalistischer als die CDU aufzustellen. Aber in diesem Jahr haben wir gezeigt, dass wir mit einer modernen, weltoffenen und progressiven Positionierung Wahlen gewinnen können. In Jena regiert nämlich ein liberaler Oberbürgermeister. Es gibt in Ostdeutschland viele Wählerinnen und Wähler, die wirtschaftlich vorankommen wollen, die Bevormundung und Jammern leid sind, die offen für neue Technologien und neue Menschen sind - und die bei anderen Parteien keine Heimat finden.

Frage: Wenn wir von Heimat sprechen: Sie selbst sind sehr viel unterwegs. Gibt es einen Ort, wohin Sie sich zurückziehen und wo Sie sich wieder besinnen können?

Lindner: Im Alltag ist das Sport, ansonsten der Wald. Dort verbringe ich ganz meditative Stunden, entschleunigt, alleine, schweigend und reinhorchend in die Natur. Meist passiert nichts. Und wenn es mir dann gelingt, für eine längere Zeit nicht aufs Smartphone zu schauen, dann stellt sich eine besondere Stimmung ein.

Frage: Nun meditieren Sie ja nicht nur im Wald, sondern haben seit einiger Zeit auch einen Jagdschein. Wie schwer fällt Ihnen das Schießen?

Lindner: Es gab einen Moment des Bedauerns, als ich das erste Reh schoss. Besonders wenn man lange entfernt von der Natur gelebt und Fleisch nur über die Kühltheke wahrgenommen hat. Wieder so eine Rückanbindung zu haben an die natürliche Herkunft, das war im ersten Moment ein Schritt - und auch eine Art Heimkehr. Etwas ganz Natürliches seit Hunderttausenden von Jahren. Es ist auch eine ökologische und nachhaltige Form der Nahrungsmittelproduktion. Die Tiere haben ohne Medikamente in der absoluten Freiheit gelebt, sich vielfältig ernährt und sind dann ohne Stress und Angst zur Strecke gebracht worden in einem überraschenden Moment.

Frage: Wie oft kommen Sie denn dazu, in den Wald zu gehen?

Lindner: In den letzten paar Monaten war das recht regelmäßig. Das können Sie bei Instagram sehen, weil ich in den frühen Morgenstunden immer Bilder der jeweiligen Waldperspektive poste. Es ist ganz amüsant: Da sieht man nichts außer Wald und trotzdem finden das dann 3000 Leute interessant.

Frage: Jetzt werden Sie bald 40. Schockt Sie das? Immerhin sind dann die Tage als Jungpolitiker vorbei.

Lindner: Nein, das schockt mich nicht. Ich finde 40 nicht so schlimm. Zwischen dem 6. und 7. Januar wechselt einfach nur ein Datum, ich bin ja dann kein komplett anderer Mensch. Natürlich ist ein runder Geburtstag immer ein Anlass, zu fragen: "Wo stehst du eigentlich im Leben? Welche Ziele hast du erreicht? Welche Pläne nimmst du dir fürs nächste Lebensjahrzehnt vor?"

Frage: Und?

Lindner: So ein paar Dinge zeichnen sich schon ab. Die Herausforderungen werden mir so schnell nicht ausgehen.

Frage: Zum Abschluss noch die schnelle Runde: Miracoli selbstgemacht oder Gourmetrestaurant?

Lindner: Miracoli.

Frage: Fitnesscenter oder Spaziergang?

Lindner: Fitnesscenter.

Frage: Wermelskirchen oder Berlin?

Lindner: Berlin.

Frage: Kriegsfilme oder Liebeskomödien?

Lindner: Kriegsfilme.

Frage: Hegel oder Hölderlin?

Lindner: Hölderlin.

Frage: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger oder Annegret Kramp-Karrenbauer?

Lindner: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Frage: Reden oder zuhören?

Lindner: Zuhören.

Frage: Richard Wagner oder Kraftwerk?

Lindner: Kraftwerk.

Frage: Ibiza oder Sylt?

Lindner: Warum oder?

Frage: Lucien Favre oder Jürgen Klopp?

Lindner: Hauptsache, BVB.

Frage: Buch oder Tablet?

Lindner: Papier.

Frage: Instagram oder Twitter

Lindner: Instagram.

Frage: Vizekanzler oder Oppositionsführer?

Lindner: Vizekanzler.

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