08.10.2013FDPLiberalismus

LINDNER-Interview für „WDR5 Morgenecho“

Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „WDR5 Morgenecho“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Thomas Schaaf:

Frage: Für die bisherigen Bundestagsabgeordneten der FDP wird es heute darum gehen, das Restgeschäft im Bundestag abzuwickeln. Das ist zweifellos eine traurige Angelegenheit und dann sind die Liberalen bundespolitisch erst mal Geschichte, jedenfalls was die Präsenz im Parlament angeht. Dass das eine kurze Episode bleibt, dafür will Christian Lindner verantwortlich sein. Er will Bundesvorsitzender werden. Im Moment ist er Landeschef und Fraktionschef in NRW. Herr Lindner, guten Morgen!

LINDNER: Guten Morgen Herr Schaaf, ich grüße Sie.

Frage: Vor einem Neubeginn steht idealerweise die Fehleranalyse. Ist die bei Ihnen schon abgeschlossen?

LINDNER: Nein, die Fehleranalyse braucht natürlich noch etwas. Es ist klar, dass eine so tief greifende Zäsur – wir haben 10 Prozentpunkte verloren zwischen zwei Wahlen – noch nicht abgeschlossen sein kann. Das sind sicherlich auch viele Faktoren, die da eine Rolle gespielt haben: Erwartungen, die nicht erfüllt worden sind, auch Mängel im Stil und im Auftreten der FDP, was viele Leute abgeschreckt hat. Das ist noch nicht alles abschließend aufgearbeitet, aber wir sind da auf einem Weg.

Frage: Ja. Die Suche. Ihre künftige Generalsekretären Nicola Beer, die sagt, die FDP müsse wieder näher bei den Menschen sein, sie müsse sich wieder mehr in der Mitte der Gesellschaft positionieren. Das – Herr Lindner mit Verlaub – sind Aussagen im Moment von der Qualität „Lübeck, das Tor zum Norden“. Was heißt das, „näher bei den Menschen“?

LINDNER: Mit Sicherheit haben sich die Bürgerinnen und Bürger, die uns bei den Wahlen zuvor gewählt haben, nicht in ihren Werten und Anschauungen verändert. Aber wir haben eben ihre Werte nicht mehr in der FDP repräsentiert und insofern ist der Hinweis von Frau Beer richtig: Die FDP muss zuhören. Sie muss stärker betrachten: Was sind die konkreten Alltagsprobleme und wie ist unsere Lösung darauf? Es reicht nicht, sich nur hinter Prinzipien zu verschanzen. Wir müssen neu beleben, dass liberale Politik und die Werte, die wir repräsentieren, den konkreten Unterschied im Alltag machen. Das fängt beispielsweise an bei der Schulpolitik. Da bedeutet liberal zu sein, für Vielfalt zu sorgen, also für Wahlmöglichkeiten; zu wählen zwischen unterschiedlichen schulischen Angeboten; die Eltern, die Lehrer und die Schüler ernst nehmen in ihrem Alltag und beispielsweise sich gegen den Versuch zu wehren, in der Schule jede Form von Leistungsfeststellung abzuschaffen, wie manche das fordern, um zu einem Einheitsschulsystem zu kommen. Also für vielfache Wahlfreiheit zu stehen in der Bildung. Ein Alltagsbeispiel.

Frage: Ja, ein Alltagsbeispiel. Bildungspolitik, meint im Umkehrschluss: Auf jeden Fall Schluss mit der Reduzierung auf den Wirtschaftsliberalismus?

LINDNER: Die FDP fährt dann gut, wenn sie zwei Dinge verbindet: Zum einen, das Eintreten für die Soziale Marktwirtschaft im Sinne von Ludwig Erhard und Otto Graf Lambsdorff. Das ist kein Selbstzweck. Sondern unsere Überzeugung ist, dass eine Wirtschaftsordnung, die gute und faire Regeln setzt, die die Fleißigen belohnt und nicht die Rücksichtslosen, im Interesse aller ist, weil sie auch die Dynamik in der Wirtschaft insgesamt verbessert. Und der zweite Bereich, da haben Sie völlig Recht, muss stärker akzentuiert werden: Das ist die liberale Gesellschaftspolitik. Da geht es um Fragen wie Bildung, da geht es um Toleranz. Da geht es darum, Chancen zu eröffnen, da geht es um den Schutz unserer Privatsphäre. Egal, ob die Datensammler jetzt Geheimdienste oder private Anbieter im Internet sind. Die beiden Dinge müssen in eine Balance, nur dann ist der Liberalismus auch stabil aufgestellt. Nur dann zeigt sich, dass es eben nicht nur der Versuch ist, für Interessen Einzelner einzutreten, sondern dass das ein grundlegender Ansatz zur Gestaltung einer Gesellschaft ist

Frage: Ja. Also, neue Profilierung als Bürgerrechtspartei auch auf der Agenda. Trifft sich ganz gut, dass die Piratenpartei ziemlich in der Versenkung verschwunden ist, ein Feld wird da also frei. Auf der anderen Seite ist es natürlich so, dass die CDU und die Grünen bundespolitisch nun die einmalige Chance haben, FDP-Felder zu besetzen. Das deutet sich auch schon an. Die CDU-Vize Julia Klöckner zum Beispiel rät ihrer Partei Funktionen der Liberalen zu übernehmen.

LINDNER: Und da wurde ihr dann vom CDU-Fraktionsvorsitzenden hier im nordrhein-westfälischen Landtag stark widersprochen, der nicht der Auffassung war, dass liberale Inhalte zur CDU passen, der das scharf zurückgewiesen hat. Und auch bei den Grünen mache ich mir relativ wenig Sorgen, dass sie diese Lücke füllen könnten. Die Partei hat ja noch im letzten Bundestagswahlkampf unseren Speiseplan am Donnerstag festlegen wollen und sprach von Grenzsteuersätzen von 87 Prozent. Also das ist alles, aber mit Sicherheit nicht die Partei der Freiheit. Es bleibt eine Lücke für uns und unsere Aufgabe ist es, das jetzt wieder zu füllen und seriös, solide, professionell aufzutreten und zu begründen - ganz konkret an Sachfragen - dass wir ein Konzept dafür haben und dass die Werte, die wir repräsentieren, gebraucht werden.

Frage: Dann ist da noch der Fall der Anti-Euro Partei AfD, wo ja auch etliche ehemalige FDPler Unterschlupf gesucht haben. Welche Abgrenzung empfehlen Sie der neuen FDP gegenüber denen?

LINDNER: Die meisten unserer verlorengegangenen Wähler sind zur CDU/CSU gegangen, was ja ein Zeichen ist, dass die Regierungsbilanz insgesamt nicht als kritisch bewertet worden ist, sonst wären die Leute woanders hingegangen. Es ist nur nicht mit der FDP verbunden worden. Was die AfD angeht, bin ich für eine offensive Auseinandersetzung. Mal ganz abgesehen davon, dass das eine Partei mit nur einem Thema ist. Es geht doch darum, dass wir Europa nicht abwickeln, sondern besser machen. Ich sehe beileibe nicht alles in Europa in rosa-rot. Sicher gibt es viele kritikwürdige Punkte. Ich denke an überbordende Bürokratie und auch Freiheitseingriffe aus Brüssel, ohne dass die auch demokratisch nachvollziehbar und transparent wären. Aber wir brauchen Europa und es ist die Aufgabe, es besser zu machen. Mein Ziel, unser Ziel, ist ein Europa der Stabilität. Und die Stabilität erreicht man nur dadurch, dass die Staaten auch wieder finanzpolitisch eigenverantwortlich agieren. Dafür braucht es mehr Wettbewerbsfähigkeit. Nach Vorbild der Agenda 2010 sind also Reformen erforderlich. Dabei kann man die Partner begleiten, aber wir müssen eben auch aktiv einfordern, dass es entsprechende Schritte gibt.

Frage: Ja, heißt das auch, besser wäre es aus Ihrer Sicht, sich von so genannten Euro-Rebellen wie dem bisherigen Abgeordneten Frank Schäffler zu trennen?

LINDNER: Nein, die FDP ist die Partei der Meinungsfreiheit. Bei uns gab es immer den Wirtschaftsliberalismus im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft, Ordoliberalismus. Dafür steht ein Name wie Otto Graf Lambsorff oder aktuell Hermann Otto Solms. Bei uns gibt es den Bürgerrechtsliberalismus. Dafür steht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger oder Marco Buschmann, unser NRW-Generalsekretär. Und die FDP hat auch Platz für die Gruppe der Libertären, die eher angelsächsischen Liberalismus fordern, die sich eher an den klassischen Literaturgrößen des 19. Jahrhunderts orientieren. Die haben auch einen Platz in der FDP. Aber wir brauchen einen respektvollen Umgang. Derjenige, der eine andere Meinung hat, beispielsweise auch in der Euro-Frage, der kann nicht alleine definieren, was liberal ist. Liberal – darum muss gerungen werden, was das konkret bedeutet. Da gibt es keine Glaubenskongregation.

Social Media Button