07.01.2014FDPLiberalismus

LINDNER-Interview für „WDR 5 Morgenecho“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „WDR 5 Morgenecho“ (Dienstag) das folgende Interview. Die Fragen stellte Judith Schulte-Loh:

Frage: Herr Lindner, wofür steht der aktuelle Liberalismus der FDP?

LINDNER: Eine liberale Partei gibt immer zuerst der Eigeninitiative der Bürgerinnen und Bürger eine Chance, bevor sie nach dem Staat ruft. Deshalb sind wir aus Überzeugung für Soziale Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und eine tolerante Gesellschaft. Diese Werte sind unverändert aktuell. Es gibt Untersuchungen, nach denen bis zu 30 Prozent der Deutschen eine solche Partei für wichtig erachten. Die FDP ist aber diesen Maßstäben in den vergangenen Jahren nicht in der Weise gerecht geworden, wie sich das die Menschen wünschen und sie auch zu Recht erwarten können. Das muss verändert werden. Dazu ergreifen wir jetzt die ersten Maßnahmen, damit die Veränderung in der FDP deutlich wird.

Frage: Aber muss sich Liberalismus auch nicht immer wieder neu definieren? Sind zum Beispiel die Bedrohungen der Bürgerrechte heute noch identisch mit denen vor 40 Jahren?

LINDNER: Nein, fraglos nicht. In der Tat muss immer wieder eine neue Antwort gefunden werden, was diese Grundwerte konkret bedeuten. Sie sprechen zu Recht die bürgerlichen Freiheitsrechte an. Hier muss es eine Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit geben. Ganz aktuell, vor dem Hintergrund der Durchdringung unseres Alltags mit immer mehr digitalen Medien, wachsen die Gefahren, dass unsere Privatheit komplett verloren gehen könnte, weil private – also kommerzielle – und staatliche Datensammler Persönlichkeitsprofile angelegen können. Und dann droht das Private öffentlich zu werden. Wer aber befürchten muss, dass seine privaten Entscheidungen irgendwann – von wem auch immer – öffentlich ausgewertet werden, der wird sein Verhalten verändern. Das ist die empfindlichste Freiheitseinschränkung.

Frage: Das ist aber ja nicht nur die Entscheidung des Einzelnen, sondern auch Politik, die gestalten will und muss….

LINDNER: Muss!

Frage: Stichwort Vorratsdatenspeicherung. Diese wollen Sie bekämpfen, aber offensichtlich will dies auch der neue Justizminister, Heiko Maas, von der SPD tun.

LINDNER: Ja, ich begrüße auch sehr, dass Herr Maas die Vorratsdatenspeicherung zumindest auf Eis gelegt hat. Frau Schulte-Loh, ich hätte mir aber gewünscht, dass von Deutschland eine politische Initiative ausgeht, die Vorratsdatenspeicherung im europäischen Recht zu den Akten zu legen. Herr Maas wartet auf ein Urteil aus Europa - immerhin. Ich wünsche ihm, dass er die gleiche Standhaftigkeit und das gleiche Rückgrat hat, das Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über vier Jahre unter Beweis gestellt hat.

Frage: Sie sagen, aktueller Liberalismus, das heißt, dazu gehört auch eine Entlastung der Bürger. Ist die Klientelpolitik der FDP damit passé? Die Subventionierung des Hotelgewerbes ein Fehler der Geschichte?

LINDNER: Ja, die FDP darf nicht den Eindruck erwecken, sie sei Anwalt bestimmter Interessensgruppen oder gar einer Klientel. Da habe ich gestern und auch schon bei anderer Gelegenheit einen klaren Schnitt gemacht. Frau Schulte-Loh, Sie erinnern sich vielleicht, im Jahre 2010 haben wir zwei auch über die Hotelsteuer gesprochen. Ich habe es damals schon als einen Fehler bezeichnet: Man kann nicht einen einzelnen Mehrwertsteuersatz von einer grundlegenden Reform der Mehrwertsteuer trennen. Das hat dann Anlass zu Unterstellungen gegeben. Es gilt: Die FDP hat Anerkennung für die Menschen, die es im Leben schon zu etwas gebracht haben. Aber unser Herz gehört denen, die es durch Fleiß und Sparsamkeit erst noch zu etwas bringen wollen, die etwas erreichen wollen im Leben – unabhängig davon, was ihre Herkunft ist, das Geschlecht ist und welcher Berufsgruppe sie angehören. Es muss darum gehen, ob jemand eine Haltung hat, ob jemand Verantwortung übernehmen will für sich und seine Familie. Und dann muss die FDP deren Partner sein.

Frage: Herr Lindner, das Herz gehört denen, die fleißig arbeiten und es zu etwas bringen wollen, ist das eine, aber Politik muss ja auch gestalten. Wie wollen Sie den Bürgern denn helfen tatsächlich? Wie sieht Entlastung praktisch aus, die Ihnen vorschwebt?

LINDNER: Das Erste ist, dass wir keine Belastung zukünftiger Generationen tolerieren können. Darauf läuft aber die gesamte Politik der schwarz-roten Bundesregierung hinaus. Herr Schäuble sagt, er nimmt in diesem Jahr zwei Milliarden Euro mehr Schulden auf, als Schwarz-Gelb das gemacht hätte. Das ist der Preis der Wahlgeschenke. Es wird im Rentensystem rumgefummelt: Letztlich werden die Gelder der Beitragszahler jetzt für Gefälligkeitspolitik genutzt, statt für den demografischen Wandel Vorsorge zu tragen. Jetzt kommt noch der verrückte Vorschlag der CSU, man kann das gar nicht anders nennen, statt in der Energiepolitik zu mehr Wettbewerb zu kommen und die Dauersubventionen für die erneuerbaren Energien zurückzufahren, die Subventionen auf Pump auszuzahlen. Und auch das, also auch die verfehlte Energiepolitik, soll die mittlere und jüngere Generation dann über Jahrzehnte bezahlen. Diese Politik, die die Große Koalition jetzt macht und die in deutlichem Kontrast steht zu der Politik der vergangenen vier Jahre, die belastet nicht nur eine ferne zukünftige Generation der Enkel, sondern schon die mittlere Generation. Wir haben in der Eurokrise gesehen, dass solche Fehlentscheidungen, wie sie in Frankreich schon vorgenommen worden sind, sich nicht erst in 30 Jahren auswirken, sondern schon nach drei Jahren wie ein Bumerang zurückkommen können.

Frage: Sie sprechen den Vorschlag von Ilse Aichinger an, einen Fonds einzurichten, um die Energiewende zu finanzieren. Nun könnte man auch sagen, es gibt auch Stimmen, die sagen, so ein Fonds ist gar nicht so schlecht, weil die Energiewende tatsächlich eine Aufgabe sein wird für alle Generationen in der Zukunft. Das heißt ja nicht, dass man das, was bisher falsch gelaufen ist, nicht reformiert.

LINDNER: Ja, so würde ich das als Regierungssprecher auch formulieren. Im Koalitionsvertrag steht drin, dass seitens der Großen Koalition eine grundlegende Veränderung der Energiepolitik – Ende der Dauersubventionen, mehr Marktwirtschaft, man müsste noch hinzufügen: europäisches Denken – erst für das Jahr 2018 geplant ist. Wohlgemerkt: nach der nächsten Bundestagswahl! Das heißt, die haben noch nicht richtig angefangen zu regieren, da verlässt die schon die Lust auf Gestaltung. Das halte ich für falsch. Wir sollten jetzt die Energiepolitik reformieren, das aberwitzige Tempo reduzieren, Dauersubventionen beenden und vor allen Dingen europäisch denken. Das ist rein physikalisch notwendig, weil es kein deutsches, sondern nur ein europäisches Stromnetz gibt.

Frage: Stichwort „europäisch denken“. Noch eins: Sie haben gestern den „Pro-Europa-Kurs“ der Liberalen bekräftigt. Inwiefern müssen Sie nicht nur nach außen Position beziehen, sondern auch Zweifler in der eigenen Partei über diesen Europakurs noch überzeugen? Wir denken da an den Mitgliederentscheid über den Eurorettungsschirm 2011 und die Kritiker in der FDP.

LINDNER: Mit meiner Wahl zum Parteivorsitzenden habe ich den Kurs bereits markiert. Es ist eine Richtungsentscheidung vorgenommen worden. Und die Positionierung, die ich für die FDP empfehle, unterscheidet sich schon von der, die wir bisher hatten. Sagen wir es ganz offen: Mir schien die FDP auch gelegentlich in dieser Mischung aus technokratischen Operationen und viel Pathos gefangen zu sein, wie das bei allen Regierungen der Fall ist. Ich wünsche mir aber einen realistischen Blick auf Europa. Der sagt zum einen: Wir brauchen Europa bei den großen Fragen: Ordnung der Finanzmärkte, Datenschutz. Zu einem realistischen Blick gehört aber auch, zu sagen: Wir haben zu viele Kommissare, die eigentlich gar keine Kompetenz haben. Und Europa maßt sich bestimmte bürokratische Entscheidungen an, wie das Verbot der Olivenölkännchen auf Restauranttischen, für die wir Europa wirklich nicht brauchen. Europa ist eine Freiheitsordnung! Sie soll die Freiheiten und Chancen aller Europäer auf unserem Kontinent vergrößern – aber wir brauchen keine paternalistische Superbehörde.

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