01.05.2014FDPFDP

LINDNER-Interview für „Focus Online“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab „Focus Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte MARTINA FIETZ:

Frage: Die Umfragen zeigen für die FDP in etwa das gleiche Ergebnis wie bei der Bundestagswahl. Ihre Partei liegt zumeist unter der Fünf-Prozent-Marke. Es sieht so aus, als würden die Bürger die FDP trotz der großen Koalition nicht vermissen.

LINDNER: In Deutschland erleben wir derzeit eine Art Happy Hour. Die Große Koalition verteilt Geschenke, an denen keine Preisschilder sind. Union und SPD halten Deutschlands Stärke für selbstverständlich und gefährden sie so. Mit dieser teuren Gefälligkeitspolitik gefährdet Schwarz-Rot auch die Stabilitätspolitik in Europa, weil Deutschlands Glaubwürdigkeit beschädigt wird, andere zu unverändert nötigen Reformen anzuhalten. Wir setzen als FDP dagegen auf die Wählerinnen und Wähler, die rechnen können, die vor allem dem CDU-Teil der Koalition die Botschaft senden wollen: Macht eine Politik, die solide. nachhaltig und Enkel-tauglich ist.

Frage: Die Rente mit 63 erfreut sich ebenso großer Beliebtheit wie die Mütterrente oder der Mindestlohn. Niemand scheint den liberalen Ruf nach Maßhalten zu vermissen.

LINDNER: Das Rentenpaket kostet bis 2030 mehr als 160 Milliarden Euro. Würde man die Bürgerinnen und Bürger fragen, ob sie auf das Rentenpaket verzichten, wenn dafür die Tilgung von Alt-Schulden in Angriff genommen und der Staat in Bildung und Infrastruktur investieren würde, sehe ich eine breite Mehrheit der Deutschen bei einer Politik der Solidität.

Frage: Wir erleben gerade, dass über die kalte Progression diskutiert wird und sogar Steuersenkungen im Gespräch sind. Trotzdem sagt niemand, das sei ein ur-liberales Thema, man brauche die FDP.

LINDNER: Es wird zu Recht diskutiert, aber die große Koalition hat Taten ja jetzt ausgeschlossen. Selbst der DGB befindet sich bei der kalten Progression inzwischen auf der FDP-Linie. Die Bürgerinnen und Bürger erhalten von der Regierung nun am Jahresende einen Bericht, wie viel Geld sie durch diese heimliche Steuererhöhung an den Fiskus überweisen müssen. Diesen Bericht braucht aber niemand. Wie teuer die kalte Progression jeden einzelnen kommt, sehen die Menschen an ihrem Gehaltszettel.

Frage: Und trotzdem will niemand die FDP hören…

LINDNER: Führen wir nicht gerade ein Gespräch? Und ich kann mich über mangelnde Einladungen nicht beklagen – gestern erst war ich beim CDU-Wirtschaftsrat in Köln. Dort wollte man mal wieder einen Marktwirtschaftler zu Gast haben…

Frage: Die Europawahl wird der erste große Test für die FDP nach der dramatischen Niederlage bei der Bundestagswahl…

LINDNER: Wir stehen als einzige für strikte Reformen für mehr Solidität in Europa. Während inzwischen von Linkspartei bis CSU alle Parteien nur noch über das Ausgeben von Geld sprechen, machen wir uns Gedanken über das Erwirtschaften des Wohlstands. Der Stabilitätskurs in Europa muss unbedingt fortgesetzt werden. Die Bundesregierung macht leider das Gegenteil. Wenn der Bundesfinanzminister nachsichtig ist gegenüber Frankreich, weil die wieder mehr Schulden machen wollen, wenn Wolfgang Schäuble ein drittes Rettungspaket für Griechenland ins Schaufenster stellt, obwohl das zweite noch nicht abgeschlossen ist, wenn die große Koalition die Rente mit 63 beschließt, obwohl wir überall in Europa ein höheres Renteneintrittsalter empfehlen, dann machen Merkel und Gabriel da weiter, wo Schröder und Fischer aufgehört haben, als sie die Europäische Währungsunion ruiniert haben.

Frage: In der FDP gab es viele Skeptiker des Euro-Rettungskurses. War es in der Rückschau ein Fehler, dass Sie denen nicht mehr Raum zugestanden haben?

LINDNER: Ich habe der FDP nach der Bundestagswahl empfohlen, sich realistischer aufzustellen. Realismus bedeutet in der Europapolitik zweierlei: Einerseits mehr Europa zu fordern, wo wir es brauchen – etwa beim Datenschutz oder einem europäischen Energiemarkt. Andererseits Vorhaben in die nationale Verantwortung zurückzugeben oder abzuschaffen - wie beispielsweise die Ökodesign-Richtlinie, die von Glühbirnen bis Staubsaugern alles Mögliche verbieten oder regulieren will…

Frage: Nun haben Sie nichts zu den Kritikern in Ihren Reihen gesagt. Die CSU etwa versucht, auch allen Europa-Skeptikern eine Heimat zu bieten, um sie nicht an die AfD zu verlieren. Hätte das die FDP nicht auch versuchen müssen?

LINDNER: Nein, ich bin gegen Opportunismus nach links oder rechts. Wir definieren unsere Linie aus Sachgründen und liberalen Überzeugungen. Es ist gemeinsame Haltung in der FDP, die Chancen Europas nutzen zu wollen, zugleich aber auch Fehler offen zu benennen. Die FDP würde etwa im Deutschen Bundestag einer Bankenunion, wie sie die große Koalition, auch die CSU, jetzt plant, nicht zustimmen. Ich wundere mich schon, dass Horst Seehofer jetzt zustimmt, wenn deutsche Steuerzahler und Sparer für marode Geldinstitute in anderen Ländern in Haftung genommen werden können. Das ist die die Transferunion, die wir als FDP immer verhindert haben. Schwarz-Rot schwenkt hier leider weg vom Kurs der Stabilität, hin zu einer Vergemeinschaftung von Schulden. Kein Zufall, denn die Spitzenkandidaten beider Parteien werben ja auch offen für Euro-Bonds. Unser Hauptgegner sind deshalb die Parteien der großen Koalition.

Frage: Auch Teile der CDU sind unzufrieden mit der aktuellen Politik, etwa der Wirtschaftsflügel, aber auch die jüngere Generation. Welche Chancen räumen Sie denen in der Partei ein, die unter dem Label „CDU 2017“ eine nachhaltigere Politik fordern?

LINDNER: Die CDU hat sich längst in der sozialdemokratischen Ecke eingerichtet. Ich erkenne im Parlament gar nicht mehr, wo SPD aufhört und CDU/CSU anfängt. Darüber kann auch diese neue Initiative nicht hinwegtäuschen, die letztlich nur ein Feigenblatt ist, weil die Union merkt, dass sie beim Thema Marktwirtschaft entkleidet ist. Im Deutschen Bundestag fehlt eine Stimme der Marktwirtschaft. Dabei bräuchte man sie umso mehr, denn marktwirtschaftliche Politik ist nicht nur eine Frage von Werten, also dass man Menschen zutraut, ihr Leben selbst zu meistern. Es ist auch eine soziale Frage. Das zeigt sich beispielsweise darin, dass die CDU gemeinsam mit der SPD eine Mietpreisbremse beschließt, die letztlich nicht zu einem besseren Angebot und zu gebremstem Mietanstieg führt. Das Problem der zu großen Nachfrage für zu geringes Angebot wird nicht gelöst. Stattdessen wird der Eingriff in den Wohnungsmarkt zu einem Investitionsstau führen – und zu Gemauschel, weil hohe Abschläge für alte Küchen gezahlt werden. Das Beispiel zeigt, dass sozial gemeinte Politik lange nicht zu wirklich sozialer Politik führt.

Frage: Gerade aufgrund Ihrer Initiative sollte der FDP ein Liberalismus mit sozialem Antlitz verliehen werden. Die Betonung des Ordo-Liberalismus war out…

LINDNER: Da haben Sie mich missverstanden. Ganz im Gegenteil habe ich immer für Ordoliberalismus geworben, wie man ja in älteren Texten auf meiner Website bis heute nachlesen kann. Allerdings bekenne ich mich zum Gedanken von Otto Graf Lambsdorff, dass in der Marktwirtschaft eine soziale Absicherung die Voraussetzung für Innovation ist. Jemand, der ins Bodenlose fällt, wenn er nicht erfolgreich ist, wird sich krampfhaft am Bestehenden festklammern. Nur wenn klar ist, im Notfall gibt es ein soziales Netz, gibt es Veränderungs- und Risikobereitschaft. Die Frage, die die FDP umtreibt ist die: Ist dieses soziale Netz effizient und wirksam oder führt es zu einem Wohlfahrtstaat, der an seine Bürger Taschengeld ausgibt.

Frage: Das ist die theoretische Erklärung. Was bedeutet das in der Praxis?

LINDNER: Die FDP ist im vergangenen Herbst nicht abgewählt worden, weil sie zu strenge Marktwirtschaft im Sinne von Ludwig Erhard und Lambsdorff popagiert hätte. Die FDP ist abgewählt worden, weil sie zu wenig liberal und marktwirtschaftlich aufgetreten ist…

Frage: Das müssen Sie konkretisieren!

LINDNER: Das beste Beispiel ist die Energiepolitik. Unter meiner Führung hat die FDP sich energiepolitisch neu aufgestellt. Hier stehen wir in deutlichem Kontrast zu allen im Bundestag vertretenen Parteien: Erstens, Schluss mit den Dauersubventionen im Rahmen des EEG, des Erneuerbaren Energien Gesetzes. Dagegen zahlt die große Koalition jetzt noch Geld für die Regionen, in denen besonders wenig Wind weht. Zweitens, Schluss mit der einseitigen ideologischen Fixierung auf den Klimaschutz. Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit sind gleichrangige Ziele. Drittens ist nicht einsichtig, warum wir uns in Luxemburg ein Buch bestellen dürfen, aber nicht aussuchen können, welcher Stromanbieter am besten zu uns passt und am günstigsten ist. Wir sind die einzige Partei, die einen europäischen Energie-Binnenmarkt befürwortet. Wettbewerb belebt auch auf dem Energiesektor das Geschäft…

Frage: Mit Ihren Vorschlägen zum Subventionsabbau haben Sie doch die verschreckt, die zu Ihrer klassischen Klientel gehören.

LINDNER: Ich halte nichts davon, die FDP als Klientelpartei aufzustellen. Klientelpolitik und Liberalismus widersprechen sich. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass Unternehmer dauerhaft erfolgreich sind, wenn sie sich auf Subventionen stützen.

Frage: Haben Sie schon einmal bereut, den Parteivorsitz übernommen zu haben? Haben Sie sich die Arbeit so schwierig vorgestellt?

LINDNER: Ganz im Gegenteil: Die politische Pionierarbeit macht mir große Freude. Ich stehe jeden Tag gern auf und packe an, damit die FDP wieder erfolgreich wird – auch wenn ich weiß, dass das noch einige Zeit braucht.

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