25.03.2014FDPFDP

LINDNER-Interview für „Die Welt“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab „Die Welt“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte THORSTEN JUNGHOLT:

Frage:  Herzlichen Glückwunsch, Herr Lindner!

LINDNER: Danke. Aber wozu?

Frage: Sie haben im Aachener Karneval den Orden wider den tierischen Ernst verliehen bekommen und wurden in Bonn zum Grünkohlkönig gekürt.

LINDNER: Das ist Humor und Brauchtum. Grünkohlkönig – jetzt kann jedenfalls niemand mehr sagen: An der Spitze der FDP ist junges Gemüse am Werk.

Frage: Im Ernst: Was haben Sie in Ihren 100 Tagen als FDP-Chef tatsächlich erreicht?

LINDNER: Wir haben zunächst das Fundament gefestigt, jetzt geht es an die Neuaufrichtung. Die Liberalen sind eine Partei im Wandel, aber mit einem klar abgesteckten Kurs: für eine starke Wirtschaft und solide Finanzen, aber in Verbindung mit Bürgerrechten und gesellschaftspolitischer Sensibilität. Dieses Profil hatten wir lange nicht mehr, wir müssen es ganz neu aufbauen. Auf dem Weg dahin machen wir in der außerparlamentarischen Opposition jetzt das, was wir auch dem Staat empfehlen: mit weniger Geld auskommen, auf Kernaufgaben konzentrieren und effektiver werden. Unser Ziel ist, 2017 im Bundestag den bürgerlichen Wählerinnen und Wählern wieder eine Stimme zu geben.

Frage: Weit gekommen sind Sie auf diesem Weg noch nicht. Bei der Kommunalwahl in Bayern hat die FDP erneut viele Mandate verloren, bei Umfragen im Bund verharrt sie unter der Fünf-Prozent-Hürde.

LINDNER: Wir haben einen Plan und gute Nerven. Die FDP hat über vier Jahre massiv an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren. Das lässt sich nicht in 100 Tagen reparieren. Aber es gibt ermutigende Signale. Wir haben zum Beispiel mehr als 3500 neue Mitglieder seit der Wahl hinzugewonnen. Das zeigt mir: Es gibt ein liberales Lebensgefühl, das übrigens unabhängig von Alter, Beruf oder Geschlecht ist. Unseren Neumitgliedern sind Grundwerte wie Selbstbestimmung, Leistungsbereitschaft und Toleranz wichtig. Die wissen, dass alles, was verteilt werden soll, zunächst einmal erwirtschaftet werden muss. Und die bemerken, dass sich niemand sonst im politischen Spektrum um diese Fragen kümmert.

Frage: Es gibt Stimmen im Präsidium der FDP, die sagen: Langfristplanung schön und gut, aber es brauche auch den kurzfristigen Erfolg. Wenn die FDP nicht mehr als fünf Prozent bei der Europawahl hole, verliere die Basis den Glauben an das Projekt Neuanfang. Eine berechtigte Sorge?

LINDNER: Nein. Falls es solche Stimmen geben sollte, waren sie kürzlich nicht bei der Konferenz unserer Kreisvorsitzenden dabei. Da waren Realismus und Motivation gleichermaßen zu spüren. Ich empfehle also, den Grad der Dramatik zu reduzieren und die Dosierung von Ernsthaftigkeit zu erhöhen. Ich verabreiche keine Beruhigungspillen, wie das früher üblich war. Harte Arbeit und eine Phase der Erneuerung liegen vor uns. Wir müssen zwar unsere liberalen Werte und Überzeugungen nicht neu erfinden. Aber wir müssen daraus Antworten auf Fragen der Zeit entwickeln: für Ordnung an den Finanzmärkten, demografischen Wandel, Digitalisierung des Alltags, Energiewende, Solidität der öffentlichen Haushalte und faire Bildungschancen, ohne die Qualität zu vernachlässigen oder Leistung zu relativieren. Das geht nicht im Sprint, das ist ein Marathonlauf.

Frage: Das heißt, Sie geben die Europawahl schon verloren?

LINDNER: Im Gegenteil, gerade als Partei im Wandel ist die FDP attraktiv. Wer uns am 25. Mai unterstützt, sendet eine Botschaft für solide Finanzen nach Europa und an die große Koalition. Union und SPD verraten ja gerade die Stabilitätspolitik der letzten vier Jahre. Wahlgeschenke wie die Rente mit 63 zerstören Deutschlands Glaubwürdigkeit. Das droht nun auch in Europa. Denn sowohl der christdemokratische Spitzenkandidat Juncker als auch der sozialistische Schulz plädieren Hand in Hand für Euro-Bonds. Der große Schuldentopf wäre ein Dammbruch. Dem stellen wir uns entgegen. Mit unserem Spitzenkandidaten Alexander Graf Lambsdorff ist eine neue Akzentsetzung der FDP verbunden: Wir wollen Europa als Freiheitsordnung, aber keine paternalistische Superbehörde in Brüssel. Deshalb ist eine Inventur der europäischen Integration nötig. Es darf kein Tabu sein, Kompetenzen auch wieder zurück in die nationale Hand zu holen. In anderen Fragen wie Datenschutz und Energie brauchen wir dagegen mehr Europa. Europa braucht keinen Zentralismus von links und keine Romantik des Nationalstaats von rechts, sondern einen Realismus, der Chancen und Fehler benennt.

Frage: Wäre es angesichts des Imageschadens nicht leichter, wie in Österreich eine neue liberale Partei zu gründen, die ohne Altlasten von vorn anfängt?

LINDNER: Gäbe es die FDP nicht, müsste man eine Partei wie die Neos in Deutschland neu gründen. Wir haben aber eine liberale Partei. Ich war kürzlich in Wien. Von den Neos können wir manches lernen, vor allem in der Art des Auftretens und der Offenheit für neue Ideen. Da gibt es nichts Erstarrtes, sondern Neugier, die Bereitschaft, sich selbst in Frage zu stellen und vor allem auch sehr viele Beteiligungsmöglichkeiten für die Bürger.

Frage: Die Neos waren mit einer Wahlkampagne im Internet sehr erfolgreich. Ein Vorbild für Ihren Europawahlkampf?

LINDNER: Eine gute Sache. Aber mir geht es jetzt nicht darum, auf die Wand neue Tünche aufzutragen. Erst muss der Schwamm raus aus dem liberalen Gemäuer, danach kann man neue Farbe auftragen. Bevor ich über einen neuen Twitter-Account nachdenke, will ich der Öffentlichkeit und der eigenen Partei klarmachen, dass die FDP eine politische Formation sein muss, die Antworten auf Zukunftsfragen gibt. Sonst tut das nämlich keiner, schon gar nicht die sogenannte große Koalition.

Frage: Die ist nun auch 100 Tage im Amt. Wenn Sie in dieser Woche im Bundestag reden dürften, was würden Sie loben oder kritisieren?

LINDNER: Ich hätte vor allem eine Frage: Was tun Sie, um dieses Land enkelfit zu machen?

Frage: Was bitte?

LINDNER: Der geburtenstärkste Jahrgang aller Zeiten in Deutschland, die 1964er, werden dieses Jahr 50. Wir haben also nur noch ein kurzes Zeitfenster, bis diese Babyboomer ins Ruhestandsalter kommen. Die sozialen Sicherungssysteme müssten diesem demografischen Wandel dringend angepasst werden. Die große Koalition macht das Gegenteil. Kohl hat Regierungskrisen aussitzen wollen, Frau Merkel will einen drohenden Generationenkonflikt aussitzen. Durch teure Wahlgeschenke wie die Rente mit 63 droht die Überstrapazierung. Gleiches beim Haushalt: Da werden 23 Milliarden Euro mehr bis 2017 ausgegeben. Davon aber nur 1,8 Milliarden für Investitionen in die Zukunft. Der Rest wird einfach verbraucht und verteilt, obwohl ein Haushaltsüberschuss für Schuldenabbau, Investitionen oder Entlastung möglich wäre. Wolfgang Schäuble versteckt die Kosten für die Umverteilungspolitik auch noch feige in den Sozialkassen. Die Zeche zahlen die Beitragszahler in der Renten- und Krankenkasse. Union und SPD haben sich im Status quo bequem eingerichtet. Sie sind dabei, die wirtschaftliche Stärke dieses Landes fahrlässig zu verspielen. Ein anderes Beispiel für die Gefährdung unseres Wohlstandes ist die Energiewende.

Frage: Belegt die Krim-Krise nicht gerade sehr anschaulich, dass Deutschland aus der Abhängigkeit von fossilen Energieträger so schnell wie möglich heraus muss?

LINDNER: Sie belegt vor allem, dass wir unsere hocheffizienten Braun- und Steinkohlekraftwerke noch länger brauchen. Es ist naiv zu glauben, man könne gleichzeitig aus Kernenergie, Gas und Kohle aussteigen. Wer wie die Grünen das schon jetzt aberwitzige Tempo des Ausbaus der erneuerbaren Energien noch weiter erhöhen will, der ignoriert physikalische Grenzen beim Netzausbau und redet einem noch größeren Subventionsvolumen das Wort. Mir scheint überhaupt, dass Deutschland in Sachen Energie in eine Art kollektiver Selbsthypnose verfallen ist. Niemand will sehen, welches enorme Zerstörungswerk für unseren Wohlstand und die Natur mit der Energiewende verbunden ist. Alle im Bundestag vertretenen Parteien orientieren sich allein an Klimaschutzzielen, aber nicht am ökonomisch Vertretbaren.

Frage: Was ist Ihr Rezept?

LINDNER: Die Frage der Wirtschaftlichkeit muss gleichrangig neben den Klimaschutz rücken, also die Bezahlbarkeit für den Rentner, den Studenten und den Facharbeiter. Wir brauchen mehr Marktwirtschaft statt Dauersubventionen, und zwar sofort. Nötig ist eine europäische Konzeption statt des deutschen Provinzialismus: Was soll man davon halten, wenn Horst Seehofer mal eben im Alleingang beschließt, es brauche keine Stromtrasse nach Bayern? Gleichzeitig laufen seine Kernkraftwerke aus, und er muss die Grundlast für den Wirtschaftsstandort Bayern sicherstellen. Das passt offensichtlich nicht zusammen. Es wimmelt in dieser Koalition von Irrläufern: In der Energiepolitik Herr Seehofer, bei der Rente Frau Nahles.

Frage: Die hat ja schon im Karneval ihr Fett abbekommen. Wir zitieren aus Ihrer Büttenrede: Unsere Zukunft in Andrea Nahles Hand, so sicher wie Staatsanleihen in Griechenland …

LINDNER: Sie sehen, auch im Karneval kann man analysieren. Fakt ist: Die maximale deutsche Haftungssumme aus den Rettungsschirmen ist geringer als jene 160 Milliarden Euro, die Frau Nahles für ihr Rentenpaket kalkuliert – wobei die Berechnungen der Bundesregierung die Charakteristik von ADAC-Statistiken haben, also eine gewisse Unschärferelation enthalten. Es wird also eher teurer.

 

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