04.07.2014FDPArbeit

LINDNER-Interview für die „Süddeutsche Zeitung“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Süddeutschen Zeitung“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte STEFAN BRAUN:

Frage: Der Bundestag hat heute mit großer Mehrheit die Einführung eines Mindestlohns beschlossen. Alle im Parlament sind dafür, Sie dagegen. Warum?

LINDNER: Die Lohnfindung gehört nicht in die Hände von Politikern. Unser Arbeitsmarkt hält jedem Vergleich in Europa stand. Die Autonomie der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, ihre Unabhängigkeit von den regierenden Parteien und politischen Stimmungen wird nun ohne Not geopfert. Selbst die Industriegewerkschaft IGBCE war gegen den flächendeckenden Einheitsmindestlohn, weil er nicht zwischen Branchen und Regionen differenziert.

Frage: Viele Menschen sehen im Mindestlohn aber einen Zugewinn an Gerechtigkeit. Finden Sie Löhne unter 8,50 Euro wirklich gerecht?

LINDNER: Ist nicht vor allem gerecht, dass Menschen, die Arbeit suchen, auch einen Job finden? Selbst wenn es nur einer für den Einstieg ist? Bemerkenswert ist die SPD in Sachen Gerechtigkeit. Die Partei hat ein enormes Beteiligungsvermögen an Verlagen – und ausgerechnet für diese Branche gibt es nun Ausnahmen. Für die SPD hört die soziale Gerechtigkeit dort auf, wo ihre parteieigenen Unternehmen den Mindestlohn zahlen müssen. Die Warnungen vor Arbeitsplatzverlusten aus den neuen Ländern werden in den Wind geschlagen.

Frage: Schon die Ankündigung eines gesetzlichen Mindestlohns hat dazu geführt, dass es in mehreren Branchen doch noch zu Bemühungen kam, einen Tarifvertrag auszuhandeln. Ist das nicht ein Gewinn, den Sie unterstützen müssten?

LINDNER: Tarifverträge sind der richtige Weg. Es braucht aber keinen Einheitsmindestlohn, um in einzelnen Branchen soziale Verwerfungen zu verhindern. Dafür gibt es beispielsweise das Arbeitnehmer-Entsendegesetz. Außerdem sollte die Bundesagentur für Arbeit bei jedem Antrag auf Aufstocken prüfen, ob sich hier ein Betrieb Lohnsubventionen erschleichen will. Es ist fatal, dass stattdessen die Lohnpolitik vom Produktivitätsfortschritt entkoppelt werden könnte. Darunter leiden Länder wie Frankreich und Italien. Außerdem werden Jugendliche nun vor die prekäre Wahl gestellt, ob sie für 1360 Euro im Monat ungelernte Aushilfe werden oder für 400 Euro eine Lehre im Handwerk beginnen. Jeder einzelne, der von der Ausbildung abgehalten wird, macht unser Land weniger sozial.

Frage: Die FDP will weg vom Image der kalten Egoistenpartei. Warum ist der Mindestlohn kein Feld, auf dem man dies hätte versuchen können?

LINDNER: Vernünftige Wirtschaftspolitik ist sozial verantwortlich. Der Mindestlohn ist dagegen nicht sozial verantwortbar, weil er Menschen aus dem Arbeitsmarkt drängt, statt sie hineinzuführen. Es ist unverständlich, dass der Gedanke des „Förderns und Forderns“ in der Arbeitsmarktpolitik von der großen Koalition endgültig aufgegeben worden ist. Statt des Einheitsmindestlohns brauchen die 1,5 Millionen 25- bis 35-Jährigen eine Chance, ihre Qualifikation zu verbessern. Das Geld aus dem Rentenpaket wäre da besser angelegt.

Frage: Es gibt in ihrer Partei eine Debatte darüber, ob die FDP nicht mit einem neuen Namen eine klare Botschaft des Neuanfangs setzen müsste. Warum sind sie so strikt dagegen?

LINDNER: Die FDP ist nicht irgendein seelenloses Produkt, sondern eine Partei mit Tradition. Freie Demokratische Partei – der Name stand immer für Marktwirtschaft, Eigenverantwortung, Emanzipation, Bildungschancen, Leistungsgerechtigkeit, Weltoffenheit, Bürgerrechte und progressive Gesellschaftspolitik. Um die Menschen für unsere Partei wieder zu öffnen, müssen wir diese Werte leidenschaftlich vertreten.

Frage: Schlagzeilen macht derzeit der einstige Entwicklungsminister Dirk Niebel mit seinem Wechsel zu Rheinmetall.

LINDNER: Den Einzelfall möchte ich nicht kommentieren. Vielmehr fordere ich die Bundesregierung auf, endlich einen Ehrenkodex für den Wechsel in die Wirtschaft einzuführen, damit das nicht länger eine Frage individuellen Verantwortungsgefühls bleibt.

Social Media Button