27.02.2014FDPFDP

LINDNER-Interview für die „Bunte“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Bunten“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte TANJA MAY:

Frage: Wie lange haben Sie an Ihrer Rede gearbeitet?

LINDNER: Seit Weihnachten habe ich regelmäßig mit meiner Frau abends auf der Couch daran gefeilt. Meine Frau ist eine brillante Texterin. Normalerweise formuliere ich meine Reden nicht aus. Ich notiere mir Zahlen und Zitate, die ich verwenden will, auf einen Zettel. Das ist das Gerüst, das mich durch die Rede führt. Ansonsten spreche ich frei. Bei einer Büttenrede in Versform geht das nicht. Da müssen die Sätze und Reime exakt sitzen. Sonst ist die Pointe weg.

Frage: Üben Sie wichtige Vorträge zuhause vor dem Spiegel?

LINDNER: Nein. Ich bin ja kein Schauspieler. Das wäre ein absurd komisches Bild. In einer politischen Rede muss doch die Persönlichkeit erkennbar sein. Ein Publikum merkt sofort, wenn blechern auswendig gelernt wird. Ich muss die Gesichter sehen. Ich brauche die Temperatur im Saal. Leidenschaft und Überzeugung kann man nicht simulieren oder trainiere.

Frage: Die meisten Politiker haben einen Redenschreiber.

LINDNER: Jeder wie er mag. Für Routinereden wie zur Einweihung von neuen Straßen – einverstanden. Ich bearbeite meine politischen Reden und Texte selbst. Das macht mir Freude. Aber vor allem finde ich, dass in der Art der Formulierung auch bereits ein politischer Kern ist. Meine Mitarbeiter suchen mir Fakten oder interessante Zitate von politischen Gegnern raus, liefern mir zu. Das Konzept mache dann ich. Klar ist, dass nicht jede Rede gelingt. Ich habe mich oft genug über mich geärgert. Und nicht bei jedem Thema ist die Leidenschaft gleich groß. Wenn es darum geht, das Recht auf Selbstbestimmung und die persönliche Freiheit gegen einen Zeitgeist der Staatsfixierung, Bevormundung und Umverteilung zu verteidigen, dann komme ich auf Touren…

Frage: Welche Politiker halten Sie für gute Rhetoriker?

LINDNER: Ich finde die Reden von Sigmar Gabriel sehr gut. Man kann Gregor Gysi vorzüglich zuhören. Friedrich Merz war für die CDU ein exzellenter Redner. Jeder hat einen anderen Stil. Aber alle sind spannend. Ich höre gerne anderen Rednern zu, weil ich neugierig auf Argumente und Formulierungen bin. Gelegentlich sehe ich mir bei Phoenix oder YouTube alte Bundestagsdebatten an. Beispielsweise Willy Brandt und Helmut Schmidt. Das sind Redner, die in historischen Situationen Reden halten konnten, die mir heute noch eine Gänsehaut verursachen.

Frage: Kann man die Rhetorik lernen oder ist es eine Gottesgabe?

LINDNER: Ich halte Rhetorik nicht für ein Talent, das man nur in die Wiege gelegt bekommen haben muss. Die Klassiker sagen: „Poeta nascitur orator fit.“ Ein Poet wird geboren, ein Redner gemacht. Und zwar durch die Praxis. Je öfter man vor anderen spricht, umso sicherer wird man. Es ist eine Frage der Übung. Als ich vor vierzehn Jahren in den Landtag gekommen bin, habe ich mir für die ersten Reden Manuskripte aufgeschrieben. Das war mir bald zu mühsam und zu langweilig.

Frage: Wie wichtig sind Bildung und Sprache?

LINDNER: Entscheidend. Der Inhalt ist wichtiger als der Stil der Rede. Man kann ja nur dann etwas senden, wenn man zuvor etwas empfangen hat. Ich könnte nicht einfach eine Rede auf einem Parteitag von Grünen oder Linkspartei halten. Ich befürchte, mit meinen marktwirtschaftlichen Positionen würde auch der Applaus bei der nach links gerückten CDU schmaler sein.

Frage: Was macht für Sie eine gute Rede aus?

LINDNER: Die klassische Rhetorik sagt: „docere, delectare, movere.“ Eine Rede soll also belehren, erfreuen und bewegen. Ich denke, das gilt unverändert. Sie muss unterhaltsam und anregend sein. Damit meine ich nicht, dass eine politische Rede eine Büttenrede werden darf. Aber man sollte etwas Neues, Überraschendes erfahren. Auch Stimme und Tonfall des Vortragenden sind wichtig. Wenn der Zuhörer am Ende seine Einstellung oder Handlungsweise überdenkt, ist es eine gelungene, gute Rede.

Frage: Hatten Sie mal einen totalen Blackout?

LINDNER: Eine unangenehme Situation hatte ich 2010 beim Bundesparteitag der FDP. Im Publikum saßen 2000 Delegierte und Gäste. Es war meine erste Rede als Generalsekretär. Während ich redete, merkte ich, dass ich an einer Stelle völlig den roten Faden verloren habe. Ich wusste nicht mehr, auf was ich eigentlich hinauswollte. Ich spürte förmlich, wie sich mir die Nackenhaare aufstellten. Das Adrenalin schoss mir durch den Körper.

Frage: Was haben Sie gemacht?

LINDNER: Da kann man nichts machen. Ich musste mir einen neuen roten Faden spinnen und mich anderen Themen zuwenden. Im Publikum hat das keiner gemerkt.

Frage: Sind wir Deutschen zu langweilig? Möglicherweise aus unserer Geschichte heraus begründet? Das Dritte Reich hat ja gezeigt, wie Rhetorik verführen kann.

LINDNER: Das war Demagogie. Diese Schreireden gibt es in Deutschland Gott sei Dank nicht mehr. Das wirkt heute befremdlich und abstoßend. Auch manche Parteitagsreden aus früheren Jahren wirken heute irritierend, weil der politische Gegner mitunter regelrecht als Feind gebrandmarkt wurde. Heute sind öffentliche Reden eleganter geworden. Im angelsächsischen Raum spricht man ohnehin ganz anders. Reden von amerikanischen Präsidenten haben viel mehr Pathos. Das steht uns in der Weise nicht so zur Verfügung. Schade eigentlich. Wir deutschen Politiker sprechen mit viel zu wenig Stolz über unser Land und darüber, was die Menschen erreicht haben.

Frage: Wer redet besser – Bundeskanzlerin Angela Merkel oder US-Präsident Barack Obama?

LINDNER: Eine schwierige Frage. Beide sind völlig unterschiedliche Redner. Ich habe Obama noch nie live erlebt und auch noch nie ohne Teleprompter. Frau Merkel dagegen spricht oft frei und besitzt insbesondere als Gesprächsteilnehmerin einen großen Charme. Sie hat sehr viel Humor, kann aber zuweilen auch sehr zupackend und schlagfertig sein. Deshalb würde ich sagen, Angela Merkel ist die bessere Rednerin.

Frage: Auf der Bühne in Aachen erzählten Sie, dass Hans-Dietrich Genscher mal meinte, Sie hätten auf der Bühne große Ähnlichkeit mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Kein Witz?

LINDNER: (Lindner imitiert die Stimme Genschers) „Herr Lindner, Sie sehen ja aus wie der Putin.“ Das hat Genscher wirklich zu mir gesagt. Das war vor gut zehn Jahren. Ich hielt in Nordrhein-Westfalen eine Rede, er saß im Publikum. Als ich fertig war, stand Genscher auf, gab mir die Hand. Ich erwartete ein Lob. Stattdessen kam der Vergleich mit Putin. Darüber konnten wir beide herzlich lachen.

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