LINDNER-Interview für den „Focus“
Berlin. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Focus“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Daniel Goffart und Olaf Opitz:
Frage: Herr Lindner, ihr potenzieller Parteivize Kubicki spricht von einer verbrannten Marke. Können Sie als designierter Vorsitzender da noch etwas reparieren? Wie wollen Sie die FDP retten?
LINDNER: Mögen wir auch unvollkommen sein, die liberale Idee bleibt attraktiv. Die FDP verbindet eine Politik für wirtschaftliche Vernunft und den bescheidenen Staat mit dem Schutz der Bürgerrechte und dem Bemühen um faire Chancen für jeden einzelnen Menschen.
Frage: Die FDP gilt vielen als wenig sympathisch und lediglich als Lobby für Gutverdiener. Wie wollen Sie dieses schlechte Image verändern?
LINDNER: Das sind alte und falsche Klischees. Natürlich ist Sympathie wichtig, aber die FDP muss nicht von allen geliebt werden. Wichtiger ist, dass die FDP wieder respektiert wird wegen ihrer Klarheit, Seriosität und Kompetenz.
Frage: Liberalismus ist doch etwas Schwammiges. Was ist Ihr praktisches Angebot für die Menschen?
LINDNER: Liberale schauen auf den einzelnen Menschen, der das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben hat. Das heißt, Macht von Bürokratien, Banken und Konzernen begrenzen. Liberale sorgen für faire Zugänge zur Arbeit und bauen nicht Hürden durch gesetzliche Mindestlöhne für Schwächere auf. Der Mittelstand braucht einen Anwalt, der ihn vor höheren Steuern und Abgaben schützt. Der Staat soll für die Menschen arbeiten und nicht gegen sie.
Frage: Viele FDP-Anhänger haben die Alternative für Deutschland gewählt. Wird der Trend bei der Europawahl nicht noch stärker?
LINDNER: Wir haben vor allem Menschen an die Union verloren, die sich jetzt verwundert die Augen reiben, wo Frau Merkel jetzt der SPD kampflos das Feld räumt. Ich bin kein Euromantiker, aber die NSA-Affäre unterstreicht die Bedeutung Europas. Damit Europa Zukunft hat, muss es aber marktwirtschaftlicher, bürgernäher und demokratischer werden. Die finanzpolitische Eigenständigkeit der Euro-Staaten muss wiederhergestellt werden. Ich bin in Sorge, dass die große Koalition diesen Weg verlässt, wenn jetzt sogar einzelne Banken aus dem ESM finanziert werden – das geht Richtung Transferunion. Diese AfD hingegen hat keinen Plan, sie nutzt nur Ängste. Aber Parteien, die auf Ängste setzen, haben eine kurze Halbwertzeit.
Frage: Den Anwalt der bürgerlichen Ängste haben Sie mit Frank Schäffler in den eigenen Reihen. Er spricht für viele Skeptiker in der FDP. Machen Sie es sich hier nicht zu leicht?
LINDNER: Meinungsvielfalt ist in der FDP willkommen. Im Ergebnis lebt Politik aber von Lösungen. Frank Schäffler will Staaten in die Zahlungsunfähigkeit schicken, um danach lieber die Banken aufzufangen. Das wäre teuer und riskant. Außerdem will er alle staatlichen Währungen durch ein System konkurrierender Privatwährungen ersetzen. Mit solchen Tagträumen kann man keinen Staat machen.
Frage: Dennoch hat die AfD eine Reihe honoriger Wissenschaftler in ihren Reihen. Sind die wirklich keine Gefahr für die Liberalen?
LINDNER: Die Niederlage der FDP lag an uns und nicht an einer anderen Partei. Spannender als die Professoren bei der AfD sind zudem Hunderte Mitglieder, die wir nicht kennen. Ich bin gespannt auf die.
Frage: Was halten Sie von Gedankenspielen eine Fusion mit der AfD á la Bündnis 90/Die Grünen anzustreben? Käme für Sie eine „FDP/Alternative für Deutschland“ in Frage?
LINDNER: Die AfD ist keinesfalls eine liberale Partei, sondern eine neokonservative und teilweise populistische Projektionsfläche für alles Mögliche. Das gab es so ähnlich mit der Piratenpartei. Deshalb bin ich gespannt, ob die AfD überhaupt einmal ein vollständiges Programm vorlegen wird.
Frage: Wer soll die FDP in die wichtige Europawahl führen – Guido Westerwelle?
LINDNER: Die Wähler haben bei der Bundestagswahl für einen Neufang der FDP votiert. Der kommt nun. Guido Westerwelle hat erklärt, dass er für Kandidaturen nicht zur Verfügung steht.
Frage: Bleibt die Union nach dieser Bundestagswahl noch der bevorzugte Partner?
LINDNER: Ich sehe mit Erstaunen, wie schnell sich die Union von der bürgerlichen Politik der letzten Jahre verabschiedet hat. Frau Merkel nimmt höhere Schulden in Kauf. Die mögliche Senkung der Rentenbeiträge und die Abschaffung der kalten Progression sind ihr egal, wenn man stattdessen wieder Gefälligkeitspolitik machen kann. Man hat den Eindruck, die SPD hat die Bundestagswahl gewonnen. Das unterstreicht unsere Eigenständigkeit.
Frage: Dann ist es fast egal, mit wem sie künftig einmal regieren?
LINDNER: In Nordrhein-Westfalen könnten wir mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in der Energiepolitik eine rationalere Linie fahren, als das mit Angela Merkel in Berlin möglich war. Das zeigt, die Lagertheorie ist vollendete Vergangenheit.
Frage: Sie sind mit Ihren Liberalen jetzt in der außerparlamentarischen Opposition. Müssten Sie da nicht eine Sitzblockade vor der US-Botschaft in Berlin organisieren?
LINDNER: Meine Gefühlslage wäre so. Allerdings würde ich den Protest vor das Bundeskanzleramt verlegen. Die nüchtern ihre Interessen kalkulierenden USA überraschen mich nämlich weniger. Irritierend ist, dass die Bundeskanzlerin geschäftsmäßig darüber hinweggeht, dass eine befreundete Nation systematisch in unserer Privatsphäre schnüffelt und Bürgerinnen und Bürger zu Verdächtigen macht.
Frage: Sie schätzen eher den Disput als den Protest auf der Straße?
LINDNER: Wichtiger als symbolischer Protest ist eine gemeinsame Antwort Europas. Ich bin überzeugter Transatlantiker, aber die Zeit der Sentimentalitäten ist vorbei. Die Bundesregierung hat die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. Ich erwarte, dass sie diesen Verfassungsauftrag jetzt erfüllt. Die Äußerungen von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland zeigen aber erneut, dass er kaum Respekt vor der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger hat.
Frage: Bislang ist deutscher Protest wirkungslos geblieben. Fragen der Bundesregierung zur NSA sind seit Monaten nicht beantwortet.
LINDNER: Auf diesem Weg kommt man offenbar nicht weiter. Ich wäre auch nicht wie Herr Friedrich im Sommer in die USA gereist, um mich dort von Beamten vorführen zu lassen. Die Amerikaner nehmen ihn jetzt als Leichtgewicht wahr. Es geht um eine eminent wichtige Zukunftsfrage: das Recht auf Privatheit im digitalen Zeitalter. Es wäre nicht mehr gewährleistet, wenn amerikanische Geheimdienste und globale Internet-Konzerne einen Komplex bilden. Entsprechend grundsätzlich muss die politische Antwort sein.
Frage: Was kann man konkret tun?
LINDNER: Google, Facebook, NSA – Big Brother und Big Business gehen Hand in Hand. Es ist ein klassischer Auftrag für Liberale, mit den Mitteln des Rechtsstaats den privaten Datenschutz zu gewährleisten und Sicherheitspolitiker in die Schranken des Verhältnismäßigen zu verweisen. Stattdessen ist auf Betreiben der Bundeskanzlerin auf dem letzten Gipfel die EU-Grundverordnung für den Datenschutz vertagt worden. Das darf nicht das letzte Wort bleiben. Gerade jetzt braucht es eine gemeinsame europäische Position.
Frage: Wo kann Europa gegenhalten?
LINDNER: Es gibt eine Reihe offizieller Abkommen zum Austausch von Daten. Das betrifft Banken, Flugreisen und nach dem Safe Harbor-Verfahren auch private Unternehmen. Da sich die Bundesregierung nicht mehr darauf verlassen kann, dass deutsche Daten in den USA nach unseren Grundsätzen geschützt sind, ist sie geradezu gezwungen, sich für eine Unterbrechung dieses automatischen Austauschs einzusetzen.
Frage: Erwogen wird auch ein Stopp beim Abkommen über den Freihandel. Aber damit würde sich die Exportnation Deutschland doch selbst schaden....
LINDNER: Ich bin gegen eine Unterbrechung der Gespräche, aber ich rate dringend zu einer wesentlichen Ergänzung um den Datenschutz. Im Zweifel geht Freiheit vor Freihandel, Bürgerrechte stehen vor Wirtschaftsinteressen. An dieser Frage erkennt man übrigens den Wert des geeinten Europas, denn ökonomisch sind die USA und die EU Verhandlungspartner auf Augenhöhe.
Frage: Muss nicht ein Untersuchungsausschuss aufklären, warum die Kanzlerin jahrelang abgehört werden kann, ohne dass unser Geheimdienst etwas merkt?
LINDNER: Ich bin skeptisch, ob das nicht nur Symbolpolitik wäre. In Sachen Abwehr von Spionage und Cyber-Kriminalität sind unsere deutschen Nachrichtendienste nicht auf der Höhe der Zeit. Ich sehe hier großen Nachholbedarf.
Frage: Wegen des Kanzler-Handys laufen Vorermittlungen. Sollte die deutsche Justiz Edward Snowden vorladen, um Licht in das Dunkel zu bringen?
LINDNER: Die Justiz ist unabhängig, aber eine Vorladung oder Vernehmung im Ausland ist gewiss interessant.
Frage:: Ist Edward Snowden mit seinen Enthüllungen ein Held?
LINDNER: Ich habe Respekt vor der Zivilcourage des Mannes. Aber ich möchte jetzt nicht jeden einzelnen Whistleblower oder Enthüller zum Helden adeln.
Frage: Sie plädieren dafür, den globalen Internet-Konzernen mehr Grenzen zu setzen? Wie soll das gehen?
LINDNER: Der Konzern-Kapitalismus ist generell eine ordnungspolitische Aufgabe. Die Beschäftigten und die Familienunternehmen tragen enorme Lasten, aber weltweit agierende Konzerne können ihre Gewinne in Steueroasen lenken. Das hat nichts mehr mit einem gesunden Steuerwettbewerb zwischen Staaten zu tun.
Frage: Das gilt aber für alle Konzerne, die sich steuerlich armrechnen...
LINDNER: Ja, aber besonders markant ist es in der Internet-Branche. Hier fällt auch die enorme Marktdominanz einzelner Anbieter auf. Google etwa beherrscht mit einem Marktanteil von über 95 Prozent den gesamten Bereich der Suchmaschinenanfragen. Was würde Ludwig Erhard dazu sagen?
Frage: Also ein Fall für das Kartellamt?
LINDNER: Wir brauchen nicht nur eine Aufsicht über systemrelevante Banken, sondern möglicherweise auch analog eine Aufsicht über systemrelevante Daten-Unternehmen. Information ist die neue Währung der Welt. Dem Google-Chef wird das Wort zugeschrieben, er wisse mehr über seine Nutzer, als die über sich selbst. Es stellen sich also drängende Fragen: Können durch so viel Netzmacht Menschen manipuliert werden? Führt die massive Datensammlung zur Freiheitsbedrohung? Deswegen brauchen wir Waffengleichheit zwischen öffentlicher Aufsicht und Oligopol im Internet.