16.01.2014FDPLiberalismus

LINDNER-Interview für das „Handelsblatt“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Handelsblatt“ (Donnerstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten TILL HOPPE und THOMAS SIGMUND:

Frage: Herr Lindner, die FDP beschließt am Sonntag ihr Programm für die Europawahl. Welche Botschaft soll vom Parteitag ausgehen?

LINDNER: Wir wollen Europa, aber als Freiheitsordnung und nicht als paternalistische Superbehörde. Was die Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden können, sollen sie in der Hand behalten. Wenn der Staat entscheiden muss, soll er möglichst bürgernah entscheiden. Bei den großen strategischen Fragen haben wir allerdings zu wenig Europa: Nicht Glühbirnen, Staubsauger und Olivenöl-Kännchen sollten die Kommission beschäftigen, sondern Energie, Innovation und der Datenschutz. Wir wollen als Liberale daher dem Subsidiaritätsprinzip neue Geltung verschaffen.

Frage: Im Wahlprogramm wird vorgeschlagen, Mitgliedstaaten den Austritt aus dem Euro zu erleichtern. Fischen Sie mit solchen Forderungen im Teich der Euro-Kritiker der Alternative für Deutschland?

LINDNER: Nein. Die FDP hat eine europäische Identität und denkt nicht nur „nationalökonomisch“. Wir stehen zu der stabilitätsorientierten Krisenstrategie im Euro-Raum. Das Ausscheiden Irlands aus dem Rettungsschirm und die Entwicklung der Leistungsbilanzen zeigen, dass die Kassandrarufer unrecht hatten. Die Möglichkeit zum freiwilligen Verlassen der Währungsunion diskutieren wir als Ergänzung des Vertragsrechts, nicht als erstrebenswertes Szenario.

Frage: Sie bezeichnen die AfD als „nationalökonomische Bauernfängertruppe“. Der frühere BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel spricht jetzt von „Ausfällen“ Ihrerseits und wertet das als Zeichen mangelnden Selbstbewusstseins.

LINDNER: Herr Henkel will den Nord-Euro, der Europa spaltet und sogar Deutschland und Frankreich trennen würde. Herr Lucke will wohl eher Parallelwährungen, die zu Abwertungsspiralen und Kapitalflucht führen, aber nicht zu Strukturreformen. Man muss darauf aufmerksam machen, dass jene AfD nur den Anschein erweckt, ökonomisch sinnvolle oder umsetzbare Konzepte zu haben. Am Begriff Bauernfängerei bedauere ich daher nur, dass man den Landwirten Unrecht tut.

Frage: War es ein Fehler, dass die FDP alle Rettungspakete in der schwarz-gelben Koalition ohne wahrnehmbaren Widerspruch mitgetragen hat?

LINDNER: Nein, denn Fortschritte sind sichtbar. Wir haben zudem der Vergemeinschaftung von Schulden erfolgreich widersprochen. Etwa die Beteiligung des Internationalen Währungsfonds und die Bindung der Hilfszusagen an Reformfortschritte hat die FDP gegen CDU und CSU ebenso durchgekämpft wie den Entscheidungsvorbehalt des Bundestages. Ich bin in Sorge, dass die schwarz-rote Koalition nun von diesem Kurs der Stabilität abweicht.

Frage: An welcher Stelle?

LINDNER: Die Bundesregierung hat einer Bankenunion zugestimmt, die von der falschen Annahme ausgeht, dass die Risiken des Finanzsektors überall in Europa gleich wären. Es wird eine Haftungskaskade aufgebaut, an deren Ende doch Steuerzahler und Sparer in Deutschland stehen. Das ist das Gegenteil dessen, was wir wollen: eine Stärkung des Verantwortungsprinzips. Alle Euro-Länder müssen finanziell wieder eigenständig werden, irgendwann müssen die Rettungsschirme zugeklappt werden. Und die Eigentümer und Gläubiger der Banken dürfen nicht aus der Verantwortung für ihre Geschäfte entlassen werden.

Frage: In den vergangenen Jahren war von der FDP wenig zu hören zur Bankenregulierung und den Skandalen in der Finanzbranche. Warum?

LINDNER: Zugegeben, die FDP hat sich darauf konzentriert, die Bürger vor finanzieller Überforderung und Alltagsbürokratie zu schützen. Wir müssen wieder stärker betonen, dass es darüber hinaus die Kernkompetenz der Partei von Otto Graf Lambsdorff ist, Märkte durch gute Regeln so zu ordnen, dass die Fleißigen belohnt werden – und nicht die Findigen.

Frage: Hat Finanzminister Schäuble recht, wenn er härtere Regeln fordert?

LINDNER: Ich sehe Detailregelwerke skeptisch – im Zweifel haben die Banken die besseren Experten und schneller arbeitenden Anwälte. Verschärft werden sollten stattdessen die Eigenkapitalvorgaben. Wer mit kaum etwas haftet, bewegt sich schnell wieder ins Casino.

Frage: Seit der Finanzkrise müssen die Banken mehr Eigenkapital vorhalten, das reicht Ihnen noch nicht?

LINDNER: Die Fortschritte beeindrucken mich noch nicht, nein. Vor allem sollte Herr Schäuble die kreditsüchtige Politik und die renditeorientierten Banken entflechten: Immer noch werden Staatsanleihen ohne Risikoabsicherung in den Bilanzen gehalten. Anleihen sind aber nicht mehr, wie man früher sagte, mündelsicher. Das ist doch eine Einladung an die Banken, sich mit billigem Geld von Mario Draghi einzudecken und damit höher verzinste Staatspapiere zu kaufen. Das muss durch eine adäquate Risikogewichtung unterbunden werden.

Frage: Die Koalition macht immer neue Vorschläge für teure Vorhaben. Sollte Kanzlerin Merkel einschreiten?

LINDNER: Es ist doch verdächtig, dass in dieser Legislaturperiode die Rentenkasse geplündert wird, um dann nach der Wahl 2017 die Mütterrente doch mit höheren Steuern oder Schulden zu finanzieren. Der finanzpolitische Wortbruch der Union kommt also mit Verzögerung.

Frage: Sie haben darauf hingewiesen, dass nicht integrierbare Zuwanderer ausgewiesen werden können. Ändert die FDP hier ihren Kurs?

LINDNER: Wir sind für eine qualifizierte Zuwanderung nach Deutschland als Antwort auf die Alterung der Gesellschaft. Die weit überwiegende Zahl der Menschen, die zu uns kommen, arbeitet fleißig, die Gesellschaft profitiert von ihnen. Es gibt aber objektive Probleme, etwa in Duisburg, und diese müssen gelöst werden. Es ist doch fragwürdig, dass Mittel des EU-Sozialfonds nicht abgerufen werden, die in diesen Kommunen dringend gebraucht würden, um mit verwahrlosendem Wohnraum oder steigender Kriminalität umzugehen.

Frage: Merkel überlässt in der Debatte Horst Seehofer das Feld.

LINDNER: Die Kanzlerin schweigt zu allen wesentlichen Fragen, und das schon seit Monaten. Ich erwarte, dass sie klarstellt, dass Deutschland weiter eine Willkommenskultur hat. Auch in Bürgerrechtsfragen wie Vorratsdatenspeicherung und NSA ist Klartext nötig. Da hören wir von der Inhaberin der Richtlinienkompetenz – nichts.

 

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