10.05.2014FDPGroße Koalition

LINDNER-Interview für „Bild“ und „Bild.de“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Bild“ (Samstag-Ausgabe) und „Bild.de“ das folgende Interview. Die Fragen stellte ANNE MERHOLZ:

Frage: Wahlumfragen zufolge scheint die Bevölkerung mit der Großen Koalition ganz zufrieden – was macht die Bundesregierung denn falsch?

LINDNER: Die Groko verprasst Deutschlands hart erarbeitete Stärke. Unser Land droht so wie der der kranke Mann Europas zu werden, der wir vor 15 Jahren waren. Bundeskanzlerin Merkel und Wirtschaftsminister Gabriel verteilen Wahlgeschenke als gäbe es kein Morgen mehr. Insbesondere junge Familien und fleißige Facharbeiter zahlen die Rechnung dafür. Das ist weder sozial noch gerecht.

Frage: Zum Beispiel?

LINDNER: Die Rente ist Ausdruck der Lebensleistung. Ich will auch nicht, dass man sich im Alter sorgen muss. Die Große Koalition verteilt aber soviel Geld von Jung nach Alt um wie seit Adenauer nicht mehr. Das Rentenpaket macht alle Reformerfolge der letzten Jahrzehnte zunichte und ist nicht dauerhaft finanziert. Deshalb sorgen sich heute 80 Prozent der 30- bis 44-Jährigen um ihr Alter. Für die tut die Politik nichts. Ich bin sicher, viele Mütter würde eher auf 28 Euro mehr Rente verzichten, wenn stattdessen mehr für die Zukunft ihrer Kinder und Enkel getan würde. Also für mehr Bildung, weniger Schulden und intakte Infrastruktur. Deutschland muss enkelfit werden!

Frage: Mit welchen Belastungen rechnen Sie bei den Plänen zum Rentenpaket?

LINDNER: Der Rentenbeitrag wurde zum 1.1.2014 nicht gesenkt, das kostet die Arbeitnehmer jährlich 3 Milliarden Euro. Dazu plündert die Regierung die Rentenkasse. Ihre Rentenpolitik ist nur bis 2017 finanziert, danach wissen die nicht, woher das Geld kommen soll. Haushalt und Rente dürfen nicht nur für eine Generation funktionieren, sondern sie müssen für alle Generationen fair sein. Ein 13-Jähriger wird bereits 80.000 Euro mehr in die Rentenkasse einzahlen, als er später an Rente bekommt. Das Rentenpaket ist eine teure Pfuscherei, die Jung und Alt gegeneinander ausspielt.

Frage: Was ist Ihr Vorschlag?

LINDNER: Die Schuldenbremse muss ausgeweitet werden und auch für die Sozialkassen gelten. Eine Regierung muss ihre Politik aus dem Haushalt finanzieren, nicht wie bei der Mütterrente aus der Rentenkasse. Vom starren Rentenalter müssen wir weg, weil jeder seine eigene Lebensplanung hat. Also sollte man wie in Schweden frei entscheiden können, wann man zwischen 60 und 70 in Rente will. Wer später geht bekommt eine höhere, wer früher geht eine niedrigere Rente. Wer sich dann zur Rente etwas dazuverdienen will, sollte das ohne Bürokratie dürfen. Es ist da Zeit für mehr Selbstbestimmung.

Frage: Auch bei der kalten Progression kritisieren Sie die GroKo...

LINDNER: Wolfgang Schäuble bereichert sich noch an den Gehaltserhöhungen von Geringverdienern, obwohl er Rekordeinnahmen hat. Was kalte Progression genannt wird, ist ja tatsächlich die Enteignung der Mittelsicht. Obwohl schon steigende Preise die Gehaltserhöhung auffressen, zahlt man trotzdem obendrauf mehr Steuern. Das ist nicht gerecht. Bis zum Jahr 2017 kassiert der Staat so 28 Milliarden Euro. Deshalb müssen wir die kalte Progression jetzt im Jahr 2014 abschaffen und nicht erst später.

Frage: Was ist ihre Kritik an der Energiepolitik?

LINDNER: Die Strompreise explodieren regelrecht, aber die Regierung drückt sich vor einer echten Reform. Die steigenden Energie-Subventionen zahlen wir Stromkunden. Und der Staat kassiert noch ordentlich mit. Denn durch die Energiesteuer verdient der an steigenden Strompreisen. Das belastet die Verbraucher gut und gerne mit 10 Milliarden Euro.

Frage: Wie soll denn die Belastung durch die Stromkosten gesenkt werden?

LINDNER: Erstens keine neuen Dauersubventionen für Erneuerbare Energie. Zweitens darf der Staat bei steigenden Strompreisen nicht noch Steuern oben draufschlagen. Diese Steuer sollte gesenkt werden. Und drittens soll sich der Bürger seinen Energieversorger europaweit aussuchen dürfen. Warum kann ich ein Buch aus den Niederlanden bestellen, aber kein Strom? In Europa ist der Strom oft halb so teuer wie in Deutschland.

Frage: Beim Haushalt sprechen Sie von Mehrbelastungen für die Bürger von 23 Milliarden Euro?

LINDNER: Wir haben so hohe Steuereinnahmen wie nie zuvor. Wann, wenn nicht jetzt fangen wir an, alte Schulden zu tilgen? Union und SPD haben lieber bis 2017 Mehrausgaben von 23 Milliarden Euro beschlossen. Dieses Geld könnte aber zum Abbau der alten Schulden genutzt werden und so die Bürger entlasten, weil irgendwann die Zinsen wieder steigen.

Frage: Kritik auch am außenpolitischen Kurs der SPD und der CDU beim Thema der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei?

LINDNER: Wir müssen die Verhandlungen mit der Türkei jetzt stoppen. Wer so wie der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan über Meinungsfreiheit, Rechtsstaat und Demokratie spricht, ist nicht bereit für die EU.

Frage: Die FDP kommt aus ihrem Tief bei den Umfragewerten nicht hinaus, schlafen Sie nachts noch gut?

LINDNER: Ja! Wir haben noch 40 Monate bis zur nächsten Bundestagswahl. Es braucht Zeit die FDP wieder ganz aufzurichten. Das was in vier Jahren an Vertrauen verloren gegangen ist, kann nicht in ein paar Monaten zurück gewonnen werden. Wir brauchen Nerven und einen Plan, beides haben wir.

Frage: Und zwar?

LINDNER: Wir legen konkrete Konzepte für den flexiblen Renteneintritt, für bezahlbaren Strom, für Ordnung am Finanzmarkt, für solide Finanzen und den Schutz der Bürgerrechte gegen NSA und Google vor. Bildung ist unser Herzensanliegen. Die FDP gewinnt neues Profil nur durch Substanz und nicht durch billige Effekte.

Social Media Button