03.08.2016FDPInnen

LINDNER-Interview: Freiheit nicht für Sicherheit opfern

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Offenburger Tageblatt“ (Mittwoch-Ausgabe) und „Baden Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte CHRISTOPH RIGLING:

Frage: Islamischer Terrorismus und Flüchtlingsdebatte – braucht es eine Wende in der deutschen Politik?

LINDNER: Ja, aber nicht hinsichtlich schärferer Gesetze, sondern hinsichtlich der konsequenten Anwendung bereits bestehender Gesetze. Die bayerische Polizei hat bei dem Amoklauf richtig und professionell reagiert. Meine Sorge ist, dass das nicht der Standard der Polizeiarbeit in Deutschland ist.

Frage: Warum machen Sie sich da Sorgen?

LINDNER: Die Polizei in den Bundesländern ist in den vergangenen Jahren personell erheblich geschwächt worden. Jetzt haben wir eine neue Sicherheitslage und die erfordert eine modernisierte und personell gestärkte Polizei. Die Bürger müssen sich in jedem Winkel Deutschlands auf unsere Rechtsordnung verlassen können.

Frage: Ist die liberale Demokratie, so wie wir sie mögen, für den islamistischen Terrorismus gerüstet?

LINDNER: Wir haben die Bedrohung durch die RAF im deutschen Herbst überstanden, ohne dass Deutschland seinen liberalen Charakter verloren hat. Liberale Innenminister haben damals das Bundeskriminalamt zur modernsten Behörde der Welt gemacht. Diese Wehrhaftigkeit des liberalen Rechtsstaates fordere ich auch jetzt wieder ein. Wenn wir unsere Liberalität aufgeben, wenn wir uns geradezu selbst radikalisieren, dann haben die Terroristen ihr Ziel erreicht. Die wollen einen Religionskrieg. Die wollen, dass wir unsere Werte infrage stellen und über den Haufen werfen. Guantanamo war in meinen Augen der größte Sieg des weltweit agierenden islamischen Terrorismus. In diesem Lager wurden die westlichen Werte aufgegeben. Einen solchen Sieg darf es nicht noch einmal geben. Wir dürfen die Freiheit nicht für eine vermeintliche Sicherheit opfern.

Frage: Wie kann ein Neuansatz bei der Flüchtlingspolitik aussehen?

LINDNER: Der aktuelle Erpressungsversuch des türkischen Präsidenten Erdogan zeigt jetzt deutlich, dass es ein Fehler war, das Problem alleine mit Hilfe der Türkei zu lösen. Wir brauchen einen gemeinsamen europäischen Grenzschutz. Die Grenzschutz-Agentur Frontex muss zu einer Behörde mit hoheitlichen Befugnissen und hinreichend Personal aufgewertet werden. Europa muss seinen Grenzschutz selbst in die Hand nehmen. Auch um nicht länger von einem türkischen Autokraten abhängig zu sein.

Frage: Und was muss sich in Deutschland ändern?

LINDNER: Deutschland braucht endlich ein Einwanderungsrecht, das unterscheidet zwischen Flüchtlingen, die für die Dauer einer Bedrohung bei uns Schutz erhalten, und Migranten, die wir, wenn sie geeignet sind, einladen, auf Dauer zu bleiben. Das Asylrecht darf kein Einwanderungsparagraph sein.

Frage: Müsste nicht auch das Asylrecht geändert werden?

LINDNER: Eine Grundgesetzänderung ist nicht erforderlich, da sich das Asylrecht auf einen sehr kleinen Personenkreis bezieht, der individuell bedroht ist. Flüchtlinge fallen nicht unter das Asylrecht, sondern unter die Genfer Flüchtlingskonvention. Und die geht davon aus, dass diese Menschen nach der Stabilisierung ihres eigenen Landes wieder zurückkehren. Ich halte es deshalb auch nicht für richtig, von Integration zu sprechen, sondern von Förderung. Diesen Menschen soll die Rückkehr in die alte Heimat ermöglicht werden. Und wenn man das klarstellen würde, wäre so manche Befürchtung in der deutschen Öffentlichkeit ernst genommen.

Frage: Braucht es deshalb eine Verabschiedungskultur?

LINDNER: Ich mag das Wort nicht. Es bringt eine unnötige Schärfe in die Debatte hinein. Aber dass es nicht automatisch einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland geben kann, ist offensichtlich. Nicht alle, die ein besseres Leben suchen, können erwarten, es in Deutschland zu finden.

Frage: Ist Kanzlerin Angela Merkel in Ihren Augen gescheitert?

LINDNER: Sie ist beim Management der Flüchtlingskrise gescheitert. Das zeigt vor allem die Rücksicht, die sie auf Erdogan nehmen muss.

Frage: Wie sollte die Bundesrepublik Erdogan begegnen?

LINDNER: Herr Erdogan ist ein autoritärer Führer, der sein Land umbaut und es von den Werten Europas immer weiter entfernt. Wenn die Bundesregierung einen klaren Kurs vertreten würde, dann müssten die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beendet werden. Und vor allem hätte sie am Wochenende den türkischen Sportminister die Einreise nach Deutschland untersagen müssen. Natürlich können sich bei uns Menschen versammeln und demonstrieren. Aber keine ausländische Regierung hat ein Recht, in Deutschland Propaganda zu verbreiten.

Frage: Wer kann Erdogan die Stirn bieten?

LINDNER: Mir geht es nicht um Konfrontation ...

Frage: ... aber das ist das Resultat Ihrer Forderungen.

LINDNER: Nein, wir halten an unseren Werten fest und bleiben sachlich. Wir haben Interesse an partnerschaftlichen Beziehungen mit der Türkei. Aber die funktionieren nur, wenn Herr Erdogan begreift, dass wir Europäer uns nicht von ihm am Nasenring durch die Manege ziehen lassen. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass wir nicht erpressbar sind.

Frage: Das heißt jetzt für den Flüchtlingspakt mit der Türkei?

LINDNER: Wir brauchen die effektive Kontrolle der europäischen Außengrenze. Wir entscheiden souverän, mit wem wir uns solidarisch zeigen, wen wir hereinlassen und wen nicht. Das Prinzip Zufall ist ethisch nicht zu vertreten, und zerstört die Autorität des Rechtsstaates und das Vertrauen in die Republik.

Frage: Also, keine Visumsfreiheit für Türken?

LINDNER: Das ist bei den derzeitigen Entwicklungen in der Türkei nicht vorstellbar. Ich stelle auch die Liberalisierung des Handels mit der Türkei infrage. Es kann jetzt nicht eine Vertiefung der gemeinsamen Beziehungen geben, solange die innere Entwicklung der Türkei nicht klar ist. Außerdem kann Europa und auch Deutschland keine engen Beziehungen mit einem Land eingehen, das autoritär und islamistisch regiert wird. Das würde alle europäischen Werte ad absurdum führen.

Frage: Ist das jetzt eine Lex Türkei oder gilt das auch für andere, vielleicht enger befreundete Staaten?

LINDNER: Wir müssen zu unserer Identität stehen. Wer das nicht macht, wird zum Spielball anderer Interessen. Ich habe das auch vor zwei Jahren gegen die USA gefordert, als herauskam, dass amerikanische Geheimdienste auf deutschem Boden gegen unser Recht verstießen. Ich mahne unsere Identität auch gegenüber Herrn Putin an, genauso wie jetzt gegenüber Herrn Erdogan.

Frage: Nochmal: Keine Türkei in der EU?

LINDNER: Richtig. Zum einen, weil sich die Türkei vom Westen immer weiter entfernt und daher nicht beitrittsfähig ist. Aber auch, weil die europäische Einigung sich vertiefen muss, ehe noch andere Staaten hinzukommen. Europa muss sich konsolidieren und seine Strukturen verändern. Wir müssen uns auf den Kern konzentrieren, warum es ein vereintes Europa geben soll. Es geht nicht um Bürokratismus, sondern um die gemeinsame Freiheit, den gemeinsamen Frieden und den Wohlstand.

Frage: Hat Europa im aktuellen Zustand eine Zukunft?

LINDNER: Wir Freien Demokraten wollen Europa. Auf die Entwicklung in der Welt kann nicht mit nationalstaatlichen Konzepten reagiert werden. Aber Europa muss wieder stark werden, bei den großen Aufgaben wie dem Grenzschutz und der Vitalisierung des Binnenmarktes.

Frage: Was stört an Europa?

LINDNER: Europa muss nicht den Alltag der Menschen regeln. Das können wir alle allein. Es muss keinen gemeinsamen Ladenschluss geben. Da muss es landsmannschaftliche Unterschiede geben. Die Stärke Europas liegt nicht darin, alles zentraler und weiter weg von den Menschen zu organisieren. Europas Stärke ist die Idee der Vielfalt, der Wettbewerb der Regionen um Ideen. Daran müssen wir wieder anknüpfen.

Frage: Was halten Sie davon, dass Portugal und Spanien keine Strafen für ihre defizitäre Haushalte zahlen müssen?

LINDNER: Das ist skandalös. Ausgerechnet von Deutschland aus kam dazu die Initiative. Der Stabilitätspakt ist im Grunde genommen tot. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat das zu verantworten. Der SPD-Kanzler Schröder hat damit begonnen, mehr Schulden zu machen, als erlaubt waren. Schäuble gibt dem Pakt jetzt den Todesstoß. Europa nimmt seine eigenen Regeln nicht ernst. Wie soll so das Vertrauen in europäische Institutionen wachsen?

Frage: Auf große Resonanz ist die Entscheidung gar nicht gestoßen.

LINDNER: Ich möchte mal von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wissen, wie sie das beurteilt. Und die parlamentarische Opposition in Berlin hat das kommentar- und kritiklos zur Kenntnis genommen. Das Parlament versagt bei der Kontrolle der Regierung komplett.

Frage: Was auch in der Debatte über Terrorismus und Flüchtlingen untergeht, ist der geplatzte Edeka-Deal und die Niederlage von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Da muss Ihnen auch der Kamm schwellen.

LINDNER: Der Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat offensichtlich im Deal zwischen Edeka und Tengelmann die Öffentlichkeit belogen. Er spricht zwar vom Allgemeinwohl, verteidigt aber in Wahrheit nur die Interessen eines Unternehmens und einer einzelnen Gewerkschaft. Seine Entscheidung würde einen monopolartigen Handelsriesen bilden, was zu weniger Auswahl, weniger Wettbewerb und steigenden Preisen führen würde. Die Zeche würden Millionen von Verbrauchern zahlen müssen. Gabriels Ministererlaubnis würde nicht den kleinen Mann schützen, wie er sagt, sondern den kleinen Mann am Supermarkt zur Kasse bitten.

Frage: Das heißt insgesamt: Wir brauchen die Liberalen wieder, oder?

LINDNER: Das ist eine sympathische Interpretation, der ich mich natürlich anschließe.

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