LINDNER-Interview: Es gibt keinen Kuschelkurs
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Bild“ (Dienstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Christian Stenzel:
Frage: Herr Lindner, man kann sagen, für den Kreml war es ein sehr gutes Wochenende. Was soll Ihr völlig überraschender Kuschelkurs mit Putin?
Lindner: Es gibt keinen Kuschelkurs. Wir wollen keine Sanktion ohne Gegenleistung lockern. Ich finde mich aber nicht damit ab, dass eine Eskalationsspirale und ein Rüstungswettlauf drohen. Das Signal an Moskau sollte sein, dass Russland einen Platz im Haus Europa hat, wenn es sich wieder an die Hausordnung hält. Solange das nicht der Fall ist, kann es keine Kooperation geben. Ich weiß nicht, ob es eine Bereitschaft in Moskau zum Kurswechsel gibt. Ich weiß aber, dass er nicht in den großen Fragen beginnen würde, sondern bei den kleinen. Das sollte geprüft werden.
Frage: Sie sagten, man solle „positive Zwischenschritte belohnen“. Dabei kann Putin mit einem einfachen Befehl die Annexion der Krim sofort stoppen.
Lindner: Ja. Aber diese Erwartung ist unrealistisch, das sagt sogar die Regierung der Ukraine. Die Annexion der Krim ist völkerrechtswidrig. Es gibt deshalb zu Recht Sanktionen. Aber da es auf lange Sicht hier keine Lösung geben wird, sollte dieser Konflikt eingefroren werden. So kann man an weniger kritischen Stellen prüfen, ob Russland seine imperiale und aggressive Politik ändern will. Falls nicht, wird man – wie am Wochenende passiert – Sanktionen sogar eher verschärfen als aufheben müssen. Auf Wirtschaftsinteressen kann da keine Rücksicht genommen werden.
Frage: Müssen gerade Sie als Freie Demokraten jemandem wie Putin den Hof machen?
Lindner: Wenn Dialogfähigkeit als Hofmachen begriffen wird, zeigt das, wie festgefahren die Russlandpolitik ist. Die FDP ist eine Partei des Rechtsstaates. Niemand bekennt sich mehr zu westlichen Freiheitswerten als wir. In den letzten Jahren haben wir für die transatlantische Partnerschaft geworben, auch wenn das mit TTIP und Trump nicht populär ist. Unter meinen Kritikern sind viele, die Deutschland in einer Mittellage zwischen USA und Russland sehen. Davor warnen wir. Aus der festen Verankerung im westlichen Bündnis und in Europa wollen wir Russland die Chance geben, seine Politik zu verändern.
Frage: Auch innerhalb der FDP gab es Kritik an Ihrem neuen Kurs.
Lindner: Es gibt keinen neuen Kurs. Unser außenpolitischer Experte Alexander Lambsdorff und unser ehemaliger Außenminister Klaus Kinkel unterstützen mich. Das ist insofern keine Überraschung, als dass ich mich mit ihnen abstimme.
Frage: Was, glauben Sie, hätte Hans-Dietrich Genscher gesagt?
Lindner: Von Genscher stammt der Appell, sich nicht mit dem Status quo zufriedenzugeben, sondern neue Wege zu suchen, den Dialog nicht abbrechen zu lassen und dem Gegenüber Gesichtswahrung zu ermöglichen.
Frage: Die letzten Monate waren sehr sonnig für Sie. Kostet Sie Ihre Haltung zu Russland Stimmen? Selbst die Bundesregierung hat Ihnen widersprochen.
Lindner: Das ist mir gleichgültig. Man muss zu Überzeugungen stehen, auch wenn es anfänglich Widerstand gibt.
Frage: Andere Frage: Sie haben die Bundestagswahl für beendet erklärt, Frau Merkel bleibe eh Kanzlerin. Asymmetrische Demobilisierung der CDU-Wähler, die dann gleich FDP wählen sollen?
Lindner: (lacht) Ich habe das Rennen zwischen CDU und SPD für beendet erklärt, nicht die Wahl. Die spannendste Frage ist jetzt: Welche Partei wird dritte Kraft, um entweder die Opposition anzuführen oder neue Akzente in der Regierung zu setzen? Dafür kämpfen wir.