08.10.2014FDPFDP

LINDNER-Interview: Die Mitte ist frei für eine Partei, die dem Menschen eine Chance gibt

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Westfalen-Blatt“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte ANDREAS SCHNADWINKEL:

Frage: Ist ein Vortrag beim Industrie- und Handelsclub OWL für Sie ein Besuch an der Basis?

LINDNER: Die FDP ist die Partei des Mittelstands, weil der Mittelstand und die Mittelschicht Rückgrat unserer Wirtschaft sind. Dort werden die meisten Ausbildungs- und Arbeitsplätze geschaffen. Deswegen muss der Mittelstand vor finanzieller und bürokratischer Überlastung geschützt werden. Insofern war mein Vortrag beim IHC Ostwestfalen-Lippe ein Besuch bei denen, auf die wir bauen und die auf uns weiter bauen können.

Frage: Sie beschreiben den typischen FDP-Wähler als männlich mit mittlerem Bildungsabschluss, Ende 40 und hart arbeitend. Er hat Familie und ein Haus gebaut. Ist das Ihre Idealvorstellung?

LINDNER: Nein, das ist die Statistik. Etwas überspitzt vielleicht, aber näher an der Realität als das Stereotyp der Apotheker-Partei.

Frage: Umfasst die Basis der FDP nur noch drei Prozent der Wähler?

LINDNER: Bei der Bundestagswahl hatte die FDP immerhin zwei Millionen Wähler. Das waren zu wenige, um in den Bundestag zu kommen. Das heißt aber nicht, dass es in Deutschland keine bürgerliche Mitte gibt, die ein positives Bild von Eigenverantwortung und Freude an ihrer Arbeit hat. Wir wenden uns an die Menschen, die sich etwas aufbauen wollen und mehr von unserem Land erwarten als die Verwaltung des Status Quo.

Frage: Warum halten Sie die politische Mitte für unbesetzt?

LINDNER: Union, SPD und Grünen formulieren eher sozialdemokratische Politik und sind sich inhaltlich sehr ähnlich geworden. Auf der anderen Seite baut sich von rechts eine Formation auf, die Protest und Nostalgie mischt. Die AfD verklärt die DDR, die totalitär auf Kinder und Jugendliche in den Familien zugegriffen und einen Polizeistaat errichtet hat. Die Mitte ist also frei für eine Partei, die erst einmal dem einzelnen Menschen eine Chance gibt, sein Leben im Einklang mit Wirtschaft und Gesellschaft zu führen, bevor der Staat eingreifen muss. Das bedeutet für mich Bürgerlichkeit.

Frage: Was halten Sie vom Versuch der Grünen, sich das Etikett einer Freiheitspartei zu geben?

LINDNER: Ich antworte da mit Thomas Mann: Für die Freiheit sind nicht ihre echten Feinde gefährlich, sondern die falschen Freunde. Und das sind die Grünen, die nichts von ihrer Haltung verloren haben. Sie wollen den Menschen vorschreiben, wie sie zu leben haben.

Frage: Ist die AfD überhaupt Ihr größter Gegner?

LINDNER: Unsere Hauptwettbewerber sind die Parteien der Großen Koalition, weil dort der größte Teil unserer ehemaligen Wähler ist. Die AfD ist keine andere FDP, sie ist eher vergleichbar mit der ehemaligen Schill-Partei oder den Republikanern. Aber ich nehme die Wähler der AfD ernst, die ein Signal senden. Wenn die Leute in Brandenburg Sorge vor Einbruchkriminalität haben, dann muss die Politik darauf reagieren. Die Probleme haben wir in Nordrhein-Westfalen übrigens auch.

Frage: Was liegt dem FDP-Bundesvorsitzenden am Herzen, wenn er im NRW-Landtag ist?

LINDNER: Bei der Polizei müssen wir wegkommen von PR-Aktionen wie dem Blitzermarathon. Wir brauchen die Landräte auch nicht mehr als Polizeichefs. Die Kräfte dürfen nicht für Bürokratie und PR verschlissen werden, sondern müssen im Kampf gegen Bandenkriminalität eingesetzt werden. Denn die Menschen dürfen von ihrem Staat erwarten, dass er in seinen Kernaufgaben die notwendige Autorität entfaltet. Und die wichtigste Kernaufgabe ist natürlich die innere Sicherheit.

Frage: Stößt „Privat vor Staat“ beim Betrieb von Flüchtlingsheimen an Grenzen?

LINDNER: In Burbach ist ja nicht das Problem, dass private Sicherheitsdienste am Werk waren, sondern dass Auswahl und die Regeln nicht funktioniert haben. Genauso wenig scheint die notwendige Kontrolle und Aufsicht ausgeübt worden zu sein, obwohl es Hinweise auf eklatante Mängel gab. Bei den Flüchtlingsunterkünften muss verhindert werden, dass Unternehmen ihre Aufträge an Sub-Unternehmer weiterreichen, die nicht geprüft sind. Und vor allem sollte der Innenminister leerstehende Polizeikasernen für Flüchtlinge öffnen, in jedem Regierungsbezirk eine.

Frage: Läuft gerade eine Kampagne gegen den ehemaligen FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr, weil er zur Allianz wechselt und dort für Angebote zur privaten Krankenversicherung zuständig ist?

LINDNER: Ich halte es für unproblematisch, dass jemand mit einer Ausbildung als Gesundheitsökonom im Abstand eines Jahres von der Politik in die Privatwirtschaft wechseln darf. Sogar die US-amerikanische Regierung hat sich von Daniel Bahr in Sachen Gesundheitswesen beraten lassen. Was ist das denn für eine Gesellschaft, die den Wechsel von Fachleuten zwischen Wirtschaft und Politik skandalisiert? Dahinter steckt ja nichts anderes als der Kampf gegen die private Krankenversicherung, obwohl sie die einzige stabile Säule des Gesundheitswesens ist.

Frage: Mitte Februar stehen die nächsten Wahlen an. Wie sehen Sie die Chancen der FDP in Hamburg und darüber hinaus?

LINDNER: In Hamburg wollen wir wieder in die Bürgerschaft gewählt werden. Ich sehe dort sehr gute Chancen, weil unsere Spitzenkandidatin Katja Suding den Charakter einer weltoffenen Stadt mit einer starken wirtschaftlichen Basis auch persönlich ausstrahlt. Aber die Schicksalswahl der FDP ist die Bundestagswahl 2017. Vorher nehmen wir jede Wahl ernst, aber 2017 ist für uns entscheidend.

Frage: Hat sich Ihre Partei schon erholt von der Bundestagswahl 2013?

LINDNER: Die Situation ist für uns neu. Die Zeit der außerparlamentarischen Opposition wird für uns bis zur Bundestagswahl im September 2017 ein Ausnahmezustand bleiben. Dazu gehört auch, dass wir uns einen Platz erkämpfen müssen, um ein Argument vorzutragen.

Frage: Wie wollen Sie es schaffen, dass die FDP mit ihren Argumenten wieder durchdringt und in der öffentlichen Diskussion überhaupt vorkommt?

LINDNER: Wir haben unseren Kurs geklärt und wollen das klassische liberale Profil wieder stärken. Der Abend beim IHC Ostwestfalen-Lippe hat gezeigt, dass die Mitte frei ist. Die Leute wollen ein liberales Angebot. Sie haben nur die Sorge, dass die Wahrnehmung liberaler Argumente zu gering ist.

Frage: Glauben Sie, dass die „Schwarze Null“ hält und der Bundeshaushalt 2015 ohne neue Schulden auskommt?

LINDNER: Nein, die Risiken sind zu groß. Doch angesichts der einmaligen ökonomischen Lage unseres Landes müssten wir längst mehr investieren und Schulden zurückführen. Am Ende das Tages könnte man auch einmal darüber nachdenken, den Bürgern etwas von ihrem Geld zu lassen, als ihnen noch mehr zu nehmen.

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