15.09.2017FDPFDP

LINDNER-Interview: Die Grünen haben sich von Jamaika verabschiedet

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab „Spiegel Online“ das folgende Interview. Die Fragen stellte Severin Weiland:

Frage: Herr Lindner, haben Sie Angst, dass am Ende dieses Bundestagswahlkampfs die AfD vor der FDP liegt?

Lindner: Jeder, dem an unserer politischen Kultur liegt, sollte das verhindern. Die Opposition gegen eine neue Große Koalition darf nicht von denjenigen angeführt werden, die Menschen wie Müll entsorgen und aus der EU austreten wollen. Es muss eine Partei sein, die aus der politischen Mitte heraus für die Mitte der Gesellschaft Politik macht. Deshalb wollen wir dritte Kraft werden.

Frage: Sie haben aber jüngst Ihre Tonlage in der Flüchtlingspolitik verschärft. Wollen Sie potenzielle AfD-Wähler zur FDP locken?

Lindner: Nein, ich vertrete seit zwei Jahren dieselbe Position. Die FDP steht für Rechtsstaat bei der Zuwanderung, die AfD für völkische Abschottung bis über die Grenze des Rassismus. Wir wollen die zeitweilig chaotische Flüchtlingspolitik von Frau Merkel durch ein liberales Regelwerk ersetzen. Und das heißt kurz gesagt: Asyl für individuell Verfolgte, Schutz auf Zeit für Flüchtlinge und dauerhafte Zuwanderung nur nach den Kriterien eines Einwanderungsgesetzes.

Frage: Ist es liberal, Flüchtlingskinder, die zehn Jahre in der Bundesrepublik aufgewachsen sind, wieder mit ihren Eltern in die Heimat zurückzuschicken?

Lindner: Das ist Rechtslage. Die Integration von Flüchtlingen ist ein Angebot, aber kein Automatismus. Deshalb wollen wir ja ein Einwanderungsgesetzbuch mit klaren Kriterien: Achtung des Rechts, Beherrschen der deutschen Sprache und Aufkommen für den eigenen Lebensunterhalt. Wer das erfüllt, soll kommen oder hier bleiben können – auch Flüchtlinge. Unabhängig von Religion oder Herkunft. Das ist liberal.

Frage: Täuscht der Eindruck oder sind Sie im Wahlkampf härter geworden?

Lindner: Er täuscht. In Sachen Durchsetzung von Haftungsregeln bei Banken, Steuerpflicht von Unternehmen wie Apple, Schuldenregeln beim Euro, der Ablehnung der völkischen AfD-Ideologie und in der Zuwanderung habe ich immer Klartext gesprochen.

Frage: Ich spreche aber von der Flüchtlingspolitik. Sind Sie dabei ein Stück weit nach rechts gerückt?

Lindner: Wenn man hart und rechts ist, wenn man die Rechtslage zitiert und für ein klares Regelwerk eintritt, sagt das weniger über die FDP und mehr über die Hysterie aus, die insbesondere von den Grünen geschürt wird. Dabei ist es jene Partei, die überhaupt keine Konsequenzen aus der Flüchtlingskrise gezogen hat. Die Grünen wollen die FDP nur denunzieren, um ihre Kernwählerschaft zu mobilisieren.

Frage: Die baden-württembergische Grünen-Spitze etwa kritisiert Ihre Position zu den Stickoxid-Emissionen und behauptet, Sie hätten eine Fake-News der AfD übernommen.

Lindner: Ich weise darauf hin, dass strengste Grenzwerte von Politikern bestimmt werden. Und dass die Luft in den Innenstädten viel besser ist als vor fünf Jahren.

Frage: Und deshalb wollen Sie Lockerungen bei den Grenzwerten?

Lindner: Ja, ich würde gerne mit Medizinern und Ingenieuren debattieren, ob Zwischenschritte bei der Erreichung von strengsten Grenzwerten verantwortbar sind. Bei dem Vorlauf, den wir für noch bessere Luft in den Innenstädten brauchen – um Heizungen zu sanieren, Autos umzurüsten und emissionsarme Mobilität auf die Straße zu bringen – wäre es vielleicht vernünftig, die Grenzwerte, die ich an sich nicht in Frage stelle, etwas später zu erreichen.

Frage: Schimmert da der Porsche-Fahrer Lindner durch?

Lindner: Nein, ich habe einen Dienstwagen, der in der Innenstadt komplett elektrisch fährt und auf der Autobahn mit einem effizienten Verbrennungsmotor. Und privat fahre ich per Carsharing elektrisch zu Ikea. Mit meinem 36 Jahre alten, noch luftgekühlten Heckmotorsportwagen fahre ich nur 500 Kilometer im Jahr mit meiner Frau durch das Bergische Land.

Frage: Am Sonntag will die FDP auf einem Sonderparteitag in Berlin Kernpunkte für künftige Koalitionsgespräche verkünden. Können Sie einige nennen?

Lindner: Wir können und wollen die Republik nicht um 180 Grad drehen, aber wir wollen Trendwenden erreichen. Keine Kehrtwenden – das wäre als kleinere Partei vermessen. Wir wollen weltbeste Bildung finanzieren statt Umverteilung, wir wollen die Krankenschwester und den Ingenieur entlasten statt belasten, wir wollen mehr Flexibilität und Selbstbestimmung statt Bürokratismus, etwa durch ein flexibles Renteneintrittsalter. Und wir stehen für klare Regeln in der Europolitik.

Frage: Gibt es rote Linien?

Lindner: Ich befürchte, dass Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron sich über neue Geldtöpfe in der Eurozone einig sind, um einen gigantischen Finanzausgleich zu schaffen. Herr Juncker will die Euro-Zone erweitern, obwohl jetzt ihre Konsolidierung Priorität hätte. Beides ginge mit uns nicht. Ich werde dafür zugleich von US-Hedgefonds und den Grünen diffamiert. Dabei wird es Stabilität im Euro nicht mit Umverteilung und Geldflut geben, sondern nur mir marktwirtschaftlichen Reformen.

Frage: Es gibt Medienberichte, in denen Sie wegen ihrer Kritik an der Europolitik als Börsenschreck bezeichnet werden. Trifft Sie das?

Lindner: Im Gegenteil. Ich nehme diese Bezeichnung mit Stolz hin, denn nichts macht deutlicher, dass die FDP die Anwältin von Menschen und Marktwirtschaft ist und nicht des Kapitals.

Frage: Wenn es zu Schwarz-Gelb kommt, haben wir also dieselben Konflikte wie 2009 bis 2013 in der alten schwarz-gelben Koalition um den richtigen Kurs in der Eurozone?

Lindner: Nein. Wir würden ohne klare Verabredung über einen politischen Kurs nie in eine Koalition eintreten. Unsere Perspektive ist das geeinte Europa, aber mit finanzpolitischer Verantwortung und eigenen marktwirtschaftlichen Reformen in den Mitgliedsländern.

Frage: Und was heißt das für mögliche schwarz-gelbe Koalitionsgespräche?

Lindner: Wir sind offen dafür, Verantwortung zu übernehmen und prüfen, ob es zusammen geht. Aber wir zwingen uns niemandem auf – und wenn andere der Meinung sind, wir seien etwa in der Eurofrage zu sperrig, dann gehen wir in die Opposition, ganz entspannt.

Frage: Die FDP wird laut allen Umfragen in den Bundestag kommen. Die seit 2013 in Liquidation befindliche FDP-Bundestagsfraktion schuldet aber nach SPIEGEL-Recherchen einer Rentenkasse rund sechs Millionen Euro. Sie preisen die FDP als „ehrlichen Kaufmann“. Wie passt das zusammen?

Lindner: Der Gesetzgeber trennt Parteien und Fraktionen organisatorisch und finanziell rigoros. Mögliche Übertretungen hat der SPIEGEL stets skandalisiert. Amüsant, dass uns jetzt die konsequente Trennung von Partei und ehemaliger Fraktion vorgeworfen wird – ausgerechnet vom SPIEGEL. Die alte Fraktion wird seit 2013 liquidiert, sie erhält kein Geld und hat mit einer Versorgungskasse über Zahlungen keine rechtliche Einigung erzielt.

Frage: Wird denn aber nun die neue Bundestagsfraktion die rund sechs Millionen Euro in die Rentenkasse einzahlen und damit die Schulden der früheren Fraktion begleichen?

Lindner: Eine neue Fraktion wäre keine Rechtsnachfolgerin der alten.

Frage: Sie waren aber auch Mitglied der aufgelösten Fraktion. Gibt es da nicht Ihrerseits auch eine politisch-moralische Verantwortung?

Lindner: Wollen Sie mich mit der Frage zu einer Straftat auffordern? Da Parteien und Fraktionen per Gesetz getrennt sind, wäre eine Überweisung der Partei an die Fraktion in Liquidation Untreue.

Frage: Zurück zum Tag nach der Wahl. Sie könnten als Koalitionspartner gefragt sein. Ist die FDP überhaupt personell darauf vorbereitet?

Lindner: Wir sind regierungserfahrener als die Grünen, wenn Sie sich die Zusammensetzung unserer möglichen neuen Fraktion ansehen. Viele unserer Abgeordneten haben im Bund oder in den Ländern eine Regierung begleitet und wissen, wie es geht. Die Hürde für Koalitionen werden die Inhalte sein, nicht das Personal.

Frage: Es heißt, Sie wollten einer möglichen Koalition nicht als Minister angehören, sondern Fraktions- und Parteichef bleiben. Ist da was dran?

Lindner: Solche Entscheidungen stehen jetzt nicht an und lenken von unserem Ziel ab, dritte Kraft zu werden.

Frage: Warum stehen Sie seit kurzem einer Koalition aus Union, FDP und Grünen, dem Jamaika-Modell, so vehement skeptisch gegenüber?

Lindner: Die Grünen haben sich von Jamaika längst mit Maximalforderungen verabschiedet. Die setzen nur auf Schwarz-Grün oder Opposition. Und bekämpfen die FDP mit Fake News als Staatsfeind Nummer Eins. Das kenne ich aus dem NRW-Wahlkampf. So haben die Tausende Wähler zu uns getrieben, weil die Menschen einfach viel klüger und informierter sind, als die Grünen glauben.

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