11.09.2016FDPFDP

LINDNER-Interview: Der beste Wahlhelfer für die AfD in Berlin war der RBB

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „BZ am Sonntag“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten VICTOR REICHARDT, LARS PETERSEN und GUNNAR SCHUPELIUS.

Frage: Was fällt Ihnen zu den Adjektiven „arrogant, verbohrt, selbstverliebt“ ein?

LINDNER: Wir haben das positivste Menschenbild, weil wir jedem etwas zutrauen – nämlich der beste Experte für sein Leben zu sein. Deshalb sind wir für Bildung und gegen Bevormundung, Abkassieren und Intoleranz. Aber ich weiß, worauf Sie hinaus wollen.

Frage: Das waren die Worte ihres Spitzenkandidaten Sebastian Czaja zu dem Abschneiden ihrer Partei 2011.

LINDNER: Selbstkritik ist ein feiner Charakterzug. Die Wähler haben uns damals in die Wüste geschickt, erneuert kommen wir jetzt zurück. Bei der Wahl geht es aber nicht um die Zukunft der FDP, sondern um die von Berlin. Ich habe hier meine zweite Heimat. Deshalb empört mich, dass diese großartige Metropole von 79 europäischen Städten laut einer Umfrage die fünftschlechteste Verwaltung hat. Wofür die in Rom und Neapel die Mafia brauchen, das schafft hier der Senat.

Frage: Sie sagen gerne, dass Merkel die FDP in der letzten gemeinsamen Regierung in puncto Steuerreform hat am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Können Sie unseren Lesern versprechen, dass es künftig ohne große Steuerreform keine Regierungsbeteiligung der FDP geben wird?

LINDNER: Wir haben gelernt, dass die CDU vor Wahlen gerne Steuersenkungen ankündigt, aber davon nach der Wahl nichts mehr wissen will. Wir haben keinen natürlichen Verbündeten für unsere Ideen. Der Staat nimmt bis zum Ende des Jahrzehnts 100 Milliarden Euro mehr ein. Eine Entlastung von 30 Milliarden im Jahr wäre problemlos machbar, sogar für mehr Investitionen reicht es dann noch. Ich kann nicht versprechen, dass wir alle unsere Ziele sofort erreichen. Aber wir werden in keine Regierung mehr eintreten, die sich nicht zumindest mit uns auf den Weg macht.

Frage: Sie sind für massive Steuererleichterungen beim Kauf von Eigenheimen. Ist das auch die richtige Forderung für eine Mieter-Metropole?

LINDNER: Gerade da. Wir wollen auch Mietern mit kleinem Einkommen die Chance geben, irgendwann Eigentümer zu werden. Wir wollen nicht Volkseigentum und Umverteilung, sondern ein Volk von Eigentümern. Das ist auch die beste Altersvorsorge. Für die selbstgenutzte Familienwohnung sollte gar keine Grunderwerbsteuer mehr anfallen, dafür sollten Schlupflöcher bei großen Immobilienprojekten geschlossen werden.

Frage: Aber eine Stadt mit vielen Transferleistungsempfängern und zahlreichen Flüchtlingen kann ja nicht nur Eigentumswohnungen haben...

LINDNER: Soll sie auch nicht. Aber Eigentum darf kein Luxus sein. Auch mit den vielen Transferleistungsempfängern darf man sich nicht zufriedengeben. Arm, aber sexy – das hat mich nie überzeugt. Die Stadt braucht eine Politik für wirtschaftliches Wachstum, um diese Menschen zu integrieren.

Frage: Was vermissen Sie?

LINDNER: Moderne Schulen, eine funktionierende Infrastruktur, Internationalität und Digitalisierung der Verwaltung. Meine Vision: Ein Bürgeramt, wo ich alles von zu Hause erledigen kann. Die Verwaltung wird so günstiger für den Steuerzahler, zugleich sparen wir wertvolle Lebenszeit.

Frage: Ist das in ihrem Hauptwohnsitz Düsseldorf anders?

LINDNER: Nein, nur zum Teil. Deutschland insgesamt hinkt zurück. Warum können wir nicht, was in Estland geht? Berlin als unsere internationalste Stadt sollte Vorreiter sein.

Frage: Sie leben als FDP-Chef in Berlin, als Landes- und Fraktions-Chef in NRW in Düsseldorf. Wo fühlen sie sich wohler?

LINDNER: Es ist ein Privileg in beiden Städten zu leben. Düsseldorf wächst, die Stadt hat keine Schulden mehr. Ich bin stolz, dass dort die FDP seit 17 Jahren mitregiert. Berlin hat dafür eine besondere Elektrizität und Weltoffenheit. Ich mag auch diese raubauzige Berliner Art in mancher Bäckerei oder im Taxi.

Frage: Berlin steht doch aber in der letzten Zeit eher für Lageso und BER. Sie sprechen gerne von lästiger Bürokratie. Welche Probleme sehen Sie in der Verwaltung?

LINDNER: Ich halte es für problematisch, dass die gesamte Ordnungsverwaltung nicht in einer Hand, sondern zwischen Senat und Bezirken aufgeteilt ist. Das führt auch zu einer strukturellen Überlastung der Polizei, die sich nicht um ihren Kernauftrag kümmern kann: Sicherheit. Herr Henkel fordert schärfere Gesetze zu Lasten unserer Bürgerrechte. Dabei scheitert er schon am Vollzug der bestehenden Gesetze.

Frage: Die FDP will Lust auf Zukunft vermitteln. Warum sollte man denn aber wieder Lust auf die FDP haben?

LINDNER: Nehmen Sie die Bildung, die wichtigste soziale Frage – im Vergleich der Länder liegt Berlin mit sozialdemokratischem Regierungschef auf Platz 16 von 16. Beim Bauzustand der Schulen, Unterrichtsversorgung und modernen Lehrmethoden gibt es viel zu tun.

Frage: Aber sind das nicht die gleichen Forderungen, die man von allen Parteien hört?

LINDNER: Wir machen ernst mit dem Kampf für beste Bildung und gegen Bürokratismus. Symbolthema für die Zukunft der Stadt ist aber Tegel, der beste Flughafen in Deutschland. Wir wollen ihn als einzige Partei offenhalten.

Frage: Und in der Flüchtlingskrise?

LINDNER: Seit einem Jahr fordern wir von Frau Merkel ein Umdenken. Humanitäre Verpflichtungen sind keine Entschuldigung für Regellosigkeit, Kontrollverlust und Organisationsversagen. Deutschland braucht endlich ein Einwanderungsgesetz mit einer klaren Unterscheidung zwischen Flüchtlingen, die nur auf Zeit Schutz erhalten und die dann in die Heimat zurückkehren, und Einwanderern. Die auf Dauer bleiben, sollten wir nach klaren Kriterien auswählen.

Frage: AfD und FDP stehen beide für liberale Positionen, üben scharfe Kritik am Kurs der Kanzlerin. Was unterscheidet sie?

LINDNER: Wir kritisieren die Kanzlerin als Rechtsstaatspartei. Die AfD instrumentalisiert aus Eigennutz die Angst vor Fremden und scheut sogar vor Rassismus nicht zurück. Die sind das Gegenteil von uns.

Frage: Aber warum entscheiden sich nach Umfragen so viele Leute für die AfD?

LINDNER: Der beste Wahlhelfer für die AfD war leider der RBB. SPD, CDU, Grüne und Linke haben in der Runde der Spitzenkandidaten nur auf die AfD eingedroschen. Die FDP wurde nicht eingeladen, obwohl uns die Umfragen im Abgeordnetenhaus stehen. Die Zuschauer mussten den Eindruck gewinnen, wer die Politik von Frau Merkel kritisch sieht, kann nur die Rechtspopulisten der AfD wählen. Dabei sind wir die Alternative für Demokraten.

Frage: Würden sie denn mit der AfD zusammenarbeiten?

LINDNER: Genauso wenig wie mit der NPD. Die wollen unser System überwinden, das Deutschland über Jahrzehnte stabil zusammengehalten und erfolgreich gemacht hat. Die autoritäre AfD ist für unsere liberale Verfassungskultur genauso gefährlich wie der Islamismus.

Frage: Erst Sachsen-Anhalt, jetzt Mecklenburg-Vorpommern. Warum erreichen die Liberalen die Menschen in den neuen Bundesländern nicht?

LINDNER: Dort hat die Organisationskraft gefehlt, um unsere Positionen klar machen zu können. Das ist das Gute an Berlin, hier haben wir die Organisationskraft, die Menschen von Angesicht zu Angesicht zu erreichen.

Frage: Welche Antworten hat die FDP auf die offenen Grenzen?

LINDNER: Ich will keine Schlagbäume zwischen Deutschland und Frankreich. Aber dafür müssen wir die EU-Außengrenze schützen. Ich widerspreche Frau Merkel, dass der Schutz der Grenzen in Zeiten der Globalisierung eine Illusion sei. Wir brauchen eine gut ausgestattete Grenzpolizei, um uns aus der Abhängigkeit von Herrn Erdogan zu befreien.

Frage: Aber was glauben Sie, wenn die Flüchtlinge dann über die Zäune klettern?

LINDNER: Moderner Grenzschutz funktioniert mit mobilen Polizeieinheiten, mit Luft- und Wärmebildüberwachung. Größere Gruppen können dann sanft aufgegriffen und zurückgewiesen werden. Grenzschutz auf der See bedeutet, dass die Boote überhaupt nicht in See stechen. Schleuserkriminalität muss zusammen mit nordafrikanischen Staaten vor Ort bekämpft werden. Diese Länder haben ja auch ein Interesse an Tourismus, Zugang zu EU-Märkten und Entwicklungshilfe. Dann müssen sie auch ihren Pflichten nachkommen.

Frage: Wie funktioniert das aber in einem Bürgerkriegsland wie Libyen?

LINDNER: Libyen ist ein Sonderfall. Aber auch dort ist Hilfe möglich. Man könnte küstennah mit EU-Mitteln unterstützen. Bevor Menschen sich auf die Flucht machen, müssen sie das Signal bekommen, dass ihnen dort geholfen wird, wo sie sind.

Frage: Reagieren wir in der Flüchtlingskrise zu emotional?

LINDNER: Total! Wir reagieren hypernervös, viele Entscheidungen werden im Affekt getroffen. Diesen Vorwurf mache ich auch der Bundeskanzlerin. Zum Glück geben uns Verfassung und Völkerrecht einen klaren Rahmen. In beiden ist über Jahrzehnte gesammelte Weisheit gespeichert. Das sollte man nutzen.

Frage: Was würden Sie anders machen, wenn Sie wieder in den Bundestag einziehen?

LINDNER: Wir wollen die Richtung der Politik verändern. Wenn wir so weiter leben wollen wie bisher, muss sich sehr viel ändern. Einwanderungsgesetz, Glasfaser-Digitalnetze, Steuerentlastungen für die Fleißigen, das Bildungssystem reformieren. Seit der Agenda 2010 ist Deutschland erlahmt. Wir haben keine neuen Anreize für Wachstum geschaffen. Wenn die Regierung weiterhin nur auf Ereignisse reagiert, kommt nach der Euro- und Flüchtlingskrise als nächstes die Deutschland-Krise.

Frage: Wäre es also schlecht, wenn Angela Merkel noch einmal Kanzler-Kandidatin wird?

LINDNER: Entscheidend ist für mich die Richtung der Politik. Ob Frau Merkel nochmals antritt und die Union das will, müssen die für sich klären. Wichtig wäre, dass die CDU sich wieder auf Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit besinnt.

Frage: Wer trägt aber die Schuld am erschreckenden Erstarken der AfD?

LINDNER: 1. Frau Merkel wegen falscher Entscheidungen. 2. Herr Seehofer, weil er diese mitträgt, aber Parolen der Rechtspopulisten übernimmt. 3. Natürlich auch eine aufgeheizte Mediendemokratie, in der es nur noch die Macht der Regierung und den Skandal und Eklat des Protests gibt. Es fehlten Maß und Mitte, Abwägung und Vernunft.

Frage: Was würden Sie denn bei der AfD aber anderes machen?

LINDNER: Ich würde diese Partei zu den wichtigen Themen des Landes befragen - und nicht alle Parteien zur AfD.

Frage: Sie haben einmal die Euro-Rettungspolitik verteidigt. Wie geht es weiter mit dem Euro?

LINDNER: Seit dem Ausscheiden der FDP hat sich die Stabilitätspolitik fundamental geändert. Wir haben Kredite gewährt, damit marktwirtschaftliche Reformen nachgeholt werden. Herr Schäuble hat jetzt dafür gesorgt, dass Portugal und Spanien für ihre Schuldenpolitik keine Strafen mehr zahlen. Er weicht alle Regeln auf! Niemand im Bundestag hat darauf reagiert – Grüne und Linke sind keine echte Opposition.

Frage: Sie sind Hauptmann der Reserve. Warum sprechen Sie sich trotzdem gegen die Wehrpflicht aus?

LINDNER: Sie ist ein Eingriff in unsere Individuelle Freiheit. Das kann nur gerechtfertigt sein, wenn es die außen- und sicherheitspolitische Lage erfordern würde. Das ist aktuell zum Glück nicht der Fall.

Frage: Sie sind permanent unterwegs. Wie kommen Sie zwischen allen Terminen mal zur Ruhe?

LINDNER: Ich lese viel. Zu Beispiel neulich von Barbara Tuchman „Die Torheit der Regierenden“ oder gerade Herfried Münklers „Die neuen Deutschen“. Beim täglichen Sport auf der Rudermaschine komme ich hingegen in Fahrt. Da schaue ich dann gerne Serien, wo es rundgeht – gerade „Fear the Walking Dead“.

Frage: Betreiben Sie besondere Pflege, um immer so frisch auszusehen?

LINDNER: Danke für das Kompliment. Wahlkampf hält wohl frisch.

Frage: Hand aufs Herz: In vielen Anläufen haben Sie ihren auf Instagram geteilten Sportführerschein See gemacht, und haben sie auch schon ein passendes Boot?

LINDNER: Im ersten Anlauf. Den Binnenschein habe ich aber schon seit zehn Jahren, also war das keine ganz neue Materie.

Frage: Auf Instagram kommentierten Sie diesen mit dem Hashtag „nownewgoals“. Heißt dass endlich ihre Doktor-Arbeit zu beenden oder Nachwuchs?

LINDNER: Jetzt bin ich erst einmal dabei das Funk-Patent zu machen, das man braucht, wenn man ein Boot leihen will. Ich lerne gerne etwas Neues. Beruflich ist der Kurs ja ohnehin klar – Peilung Bundestag.

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