LINDNER-Interview: Das Jamaika-Motto wäre gewesen ‚Schlimmer so!‘
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „BILD am Sonntag“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten Roman Eichinger und Burkhard Uhlenbroich.
Frage: Herr Lindner, Sie könnten Vizekanzler und Bundesfinanzminister sein. Statt dessen sind Sie seit Sonntagnacht der Buhmann der Nation. Gefällt Ihnen das neue Image?
Lindner: Jamaika wurde zu einem romantischen Sehnsuchtsort verklärt. Es gab einige gute Ansätze. Aber eine stabile Regierung, die das Land voranbringt, wäre das nicht geworden. Das haben die Widersprüche in der Sache und der fortwährende Bruch der Vertraulichkeit gezeigt. Wir mussten diese Träumerei beenden.
Frage: Haben Sie wirklich alles richtig gemacht?
Lindner: Wir übernehmen die Verantwortung für alle unsere Entscheidungen.
Frage: Jürgen Trittin von den Grünen sagt zum Jamaika-Aus, die FDP sei „vor ihren eigenen Inhalten davongelaufen“. Und: „Lindner hatte den Plan, Merkel zu stürzen." Wollen Sie die Kanzlerin stürzen?
Lindner: Herr Trittin bestätigt mit Verschwörungstheorien unsere Zweifel, ob wir mit den Grünen momentan vertrauensvoll zusammenarbeiten können. Frau Merkel wollte die Politik der Großen Koalition im Kern fortsetzen. Die Grünen sollten mit Zugeständnissen in der Energie- und Verkehrspolitik eingekauft werden. Arbeitsplätze opfern, Wirtschaftskraft schwächen, sichere Energie riskieren – ohne dass für das Weltklima etwas erreicht wird? Ich verstehe unter Gestaltung der Zukunft und vernünftiger Politik etwas anderes.
Frage: Noch mal: Braucht es an der Spitze des Landes eine Erneuerung?
Lindner: Wir arbeiten uns nicht an Personen ab. Wir haben nicht Angela Merkel abgelehnt, sondern eine Koalition.
Frage: Der Abbau des Soli bis 2022, eine Bildungsoffensive, die Digitalisierung von Ämtern und Schulen, ein striktes Einwanderungsgesetz. Das klingt doch sehr nach Trendwende?
Lindner: Die Lage war leider anders. Eine Reform des Bildungsföderalismus ist an der CSU und dem Grünen Winfried Kretschmann gescheitert. Der Soli wäre 2021 noch mit zehn bis fünfzehn Milliarden Euro erhoben worden, obwohl schon 2019 der Grund für seine Einführung entfällt. Mitnichten sollte er bis 2022 abgebaut sein. Beim Einwanderungsgesetz gab es keine Einigung, weil wir die Grünen als weltfremd erleben mussten. Es ist nicht an einem einzelnen Punkt gescheitert, es ist an der fehlenden gemeinsamen Idee gescheitert.
Frage: Jetzt kriegen Ihre Wähler gar nichts: keine Steuerentlastung, keine Bildungsoffensive, keine Neuordnung der Zuwanderungspolitik.
Lindner: Die Politik hätte nicht gehalten, was im Nachhinein an Schlagworten genannt wird. Jamaika wäre binnen Monaten in 1000 Trümmerteile zerfallen, vermutlich wegen der Europapolitik. Wir haben fundamental unterschiedliche Auffassungen. Wir sind für mehr Europa, wo wir es brauchen, etwa in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Grünen wollen dagegen eine Art Dispo-Kredit für die Mitgliedsstaaten des Euro und eine Bankenunion, durch die Sparkassenkunden für Banken anderer Staaten haften. Das war für uns ausgeschlossen.
Frage: CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Grünen nicht leiden kann. Hat er sich bei Ihnen bedankt, dass Sie Jamaika verhindert haben?
Lindner: Nein. Aber die Auseinandersetzungen zwischen Dobrindt und den Grünen sind bekannt. Während der Verhandlungen zur Verkehrspolitik waren die Grünen nicht bereit, den Satz "Die Einschränkung der individuellen Mobilität lehnen wir ab" zu akzeptieren. Man ahnt, welche Vorhaben gegen das Auto später ein grüner Verkehrsminister angehen wollte. Ich bin gespannt, ob sich daran in absehbarer Zeit etwas ändert.
Frage: Was verstehen Sie unter absehbarer Zeit?
Lindner: Das nächste Jahrzehnt.
Frage: "Spiegel" und "Süddeutsche" schreiben, Ihre Vorbilder seien der französische Präsident Macron und der künftige österreichische Bundeskanzler Kurz. Wollen Sie eines Tages Kanzler werden?
Lindner: Das entspringt journalistischer Phantasie. Wenn ich einen Politiker spannend finde, dann den kanadischen Premier Justin Trudeau. Zum Beispiel wegen seiner liberalen, toleranten und weltoffenen, aber klar geregelten Einwanderungspolitik. Ausgerechnet mit ihm wollen die Grünen das Freihandelsabkommen nicht abschließen. Als deutsche Orientierungspunkte der FDP nenne ich Otto Graf Lambsdorff und Hans-Dietrich Genscher.
Frage: Was muss Ihnen angeboten werden, damit Sie doch noch JA zu Jamaika sagen?
Lindner: Jamaika ist bis auf Weiteres ausgeschlossen.
Frage: Wie geht's jetzt weiter - neue GroKo, Minderheitsregierung, Neuwahlen?
Lindner: Ich gehe davon aus, dass die SPD sich bewegt. Die Hürde ist geringer als bei uns: Die SPD-Minister sitzen noch auf der Regierungsbank, sie müssten die Große Koalition einfach nur fortsetzen.
Frage: Also ist das neue Motto für Deutschland "Weiter so"?
Lindner: Vermutlich. Aber das Jamaika-Motto wäre gewesen: "Schlimmer so"! Eine Streitkoalition ohne Richtung und ohne Stabilität mussten wir dem Land ersparen.
Frage: Könnten Sie sich vorstellen, eine Minderheitsregierung von Angela Merkel zu unterstützen?
Lindner: Ich halte eine Minderheitsregierung für unwahrscheinlich. Die FDP bleibt in jedem Fall konstruktiv. Wir werden jedes Vorhaben einer neuen Regierung sachlich prüfen und gegebenenfalls unterstützen. Ich schließe nur eines aus: Wir werden auf keinen Fall mit AfD oder Linkspartei zusammenarbeiten, weil diese Parteien im Widerspruch zu unseren Grundwerten stehen.
Frage: Manche unterstellen Ihnen, Sie wollten die FDP nach rechts führen.
Lindner: Unsere ersten Initiativen sprechen eine andere Sprache. Wir möchten zum Beispiel anders als die Grünen dafür sorgen, dass der Familiennachzug bei Flüchtlingen weiter ausgesetzt bleibt, weil Deutschland momentan keine Kapazitäten mehr hat. Aber im Gegensatz zur geltenden Rechtslage prüfen wir Ausnahmen für Einzelfälle. Das wäre ein humanitärer Fortschritt im Vergleich zur Großen Koalition. Die FDP bleibt die liberale Partei der Mitte.
Frage: Kann sich die FDP überhaupt eine Neuwahl leisten - finanziell und politisch?
Lindner: Diese Überlegung hat bei unserer Entscheidung keine Rolle gespielt. Irgendwie würde das schon gehen.