28.02.2018FDPFDP

LINDNER-Interview: CDU will von eigenen Kursfragen ablenken

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der „Welt“ (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Thorsten Jungholt:

Frage: Politische Verantwortung ist kein Spiel, sondern etwas, was über die Grenzen der eigenen Partei hinausweist. Das ist ein Zitat von Angela Merkel vom Parteitag der CDU. Fühlen Sie sich angesprochen, Herr Lindner?

Lindner: Nein, denn das teile ich. Aber politische Verantwortung besteht auch darin, den Menschen inhaltliche Alternativen aufzuzeigen. Die erste Verantwortung ist, der Politik eine Richtung zu geben und nicht nur Mehrheiten für beliebige Positionen zu suchen. Nach Wahlen muss schließlich gelten, was vor Wahlen gesagt wurde. Sonst gibt es einen Vertrauensverlust für die gesamte Demokratie.

Frage: Haben Sie nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche noch einmal mit Frau Merkel gesprochen?

Lindner: Sicher, wir haben uns auch unter vier Augen gesprochen.

Frage: Wie steht es um Ihr persönliches Verhältnis?

Lindner: Unsere Hand zur Zusammenarbeit mit der Union bleibt ausgestreckt. Wir regieren in Düsseldorf und Kiel erfolgreich miteinander. Wolfgang Kubicki und ich haben diese Koalitionen verhandelt. Das zeigt unsere Bereitschaft zur Verantwortung. Wir wären auch im Bund binnen vier Wochen mit einer schwarz-gelben Koalition fertig geworden. Die Union muss aus taktischen Gründen jetzt davon ablenken, dass sie im Gegensatz zu uns bereit war, einer Koalition mit den Grünen unverhältnismäßig viele Positionen zu opfern.

Frage: Den Grünen weist aber niemand in der Union die Schuld für das Scheitern der Gespräche zu.

Lindner: Es geht nicht um Schuld, sondern um objektiv unvereinbare Positionen. Die Grünen sind eine linke Partei, wie sie ja selbst betonen, sie stehen noch links der SPD. Da gibt es logischerweise fundamentale Unterschiede zu uns bei Themen wie der Entlastung der Bürger, der Entbürokratisierung, der Frage der ideologiefreien Energieversorgung, der Europapolitik und Fragen der Einwanderung. Mit dem, was Grüne und FDP vor der Wahl gesagt haben, hätte eine der Parteien ihr Wort brechen müssen, um zusammenzukommen. Die CDU hatte sich entschieden, das solle die FDP sein. Da wollten wir nicht mitmachen. Dass das jetzt bei der CDU für schlechte Laune sorgt, kann ich verstehen, nehme ich aber hin.

Frage: Jedenfalls diente die FDP den Christdemokraten auf deren Parteitag als eine Art einigendes Element. Die neue Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer nahm die liberale Partei ins Visier und wurde dafür bejubelt. Ist der Vorwurf berechtigt, Sie würden aus parteitaktischen Erwägungen „ganz Deutschland in Schutt und Asche“ legen? Das ist ja schon starker Tobak.

Lindner: Das sind die verständlichen und üblichen Entlastungsangriffe, um von eigenen Kursfragen abzulenken. Ich nehme das nicht so ernst. Was unser rein egoistisches Interesse sein soll, auf Ministerien und Posten verzichtet zu haben, verstehe ich bis heute nicht. Im Gegenteil hat mich erstaunt, dass es bei der Großen Koalition am Ende nur noch um Posten gegangen ist und nicht um Inhalte. Uns geht es um eine andere Politik im Land. Die könnten wir nicht erreichen, wenn wir bei Jamaika jede Glaubwürdigkeit verloren hätten. Letztlich unterscheidet sich das Ergebnis des Koalitionspapiers zwischen Union und SPD in der Sache kaum von dem, was wir bei Jamaika hätten akzeptieren sollen.

Frage: Ohnehin ist Kramp-Karrenbauer keine Freundin der FDP. 2012 ließ sie eine Jamaika-Koalition im Saarland platzen – ausgerechnet am 6. Januar, dem Tag Ihres Dreikönigstreffens. Nun wird sie ja als Nachfolgerin von Frau Merkel gehandelt. Was bedeutete eine Kramp-Karrenbauer an der Spitze der CDU für eine künftige Kooperation zwischen Schwarz und Gelb?

Lindner: Die FDP an der Saar war damals nicht gut aufgestellt. Deshalb ist das keine Hypothek für die Zukunft. Aber wohin Frau Kramp-Karrenbauer die CDU führen würde, ist völlig offen. In der Wirtschaftspolitik ist sie links-katholisch unterwegs, in der Gesellschaftspolitik eher stramm konservativ. Das ist sowohl für die FDP als auch für die Grünen keine Verheißung, sondern eher eine Herausforderung. Frau Kramp-Karrenbauer selbst scheint Koalitionen mit der SPD am liebsten zu mögen, wie sie an der Saar gezeigt hat. Wir drängen uns nicht auf, wir stehen zur Verfügung, wenn man uns ein akzeptables Angebot macht. Wenn nicht, dann machen wir Druck aus der Opposition.

Frage: Glauben Sie tatsächlich, dass Sie in dieser Rolle etwas bewegen können?

Lindner: Natürlich. Nehmen Sie die Europapolitik. Die Union lacht darüber, wenn die AfD ihre schrillen Töne zur Abschottung vorbringt. Die Union lacht auch über den absurden Vorwurf von Linken und Grünen, Frau Merkel sei verantwortlich für die Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa. Was ihr aber wehtut, sind unsere Angriffe aus der Mitte des Parlaments. Wir erinnern die Union daran, dass auch sie früher für Solidität und finanzpolitische Eigenverantwortung der Staaten eingetreten ist. Das Eintreten für ein marktwirtschaftliches Europa mit klaren Regeln liegt nun bei uns.

Frage: Frau Merkel hat mit Jens Spahn, Julia Klöckner und Anja Karliczek drei Vertreter der jüngeren Generation für ein Ministeramt nominiert. Sind das Vertreter einer neuen Generation Deutschland, von der die FDP immer spricht?

Lindner: Für uns macht sich der Begriff der Generation nicht am Lebensalter fest, sondern an der Frische der politischen Ideen. Da haben neue Minister immer eine Chance. Man darf aber nicht verkennen, dass ein Jens Spahn nur das Programm umsetzen kann, was im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Und in der Gesundheitspolitik heißt das: Weniger Markt, mehr Planwirtschaft. Da wird er viel rudern müssen.

Frage: Die CDU besetzt erstmals seit Jahrzehnten wieder das Wirtschaftsressort. Trauen Sie Peter Altmaier zu, das Ministerium wieder zu einem Hüter von Markt und Wettbewerb zu machen?

Lindner: Ich wünsche es mir. Allerdings gilt auch hier: Die wesentlichen Fragen des wirtschaftlichen Alltags werden von Sozialdemokraten entschieden, nämlich im Finanzressort und im Ministerium für Arbeit und Soziales. Am besten erkennt man die Richtung dieser Regierung daran, dass Deutschland nun ein Heimat-, aber kein Digitalministerium bekommt. Das sagt alles darüber aus, wie frisch und zeitgemäß die Politik von Schwarz und Rot angelegt ist.

Frage: Frau Merkel analysierte auf dem Parteitag, die Bürger fühlten sich unwohl mit Zweifeln an der „Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen“. Reicht Ihnen das als Selbstkritik an der CDU-Politik in der Flüchtlingskrise?

Lindner: Da schauen wir nicht mehr zurück. Wahr ist: Die Fehler des Jahres 2015 werden uns noch lange beschäftigen. Das Erbe von Frau Merkels Politik ist die AfD im Bundestag. Ihr Erbe sind Fliehkräfte und kulturelle Entfremdung im eigenen Land. Wir versuchen, diese Probleme beherzt anzupacken und Lösungen vorzuschlagen.

Frage: Zum Beispiel?

Lindner: Wir brauchen eine Einwanderungspolitik, die rechtlich sauber und klar den Zugang nach Deutschland regelt und Abschiebungen erleichtert. Wir bringen diese Woche einen Gesetzentwurf im Bundestag ein, in dem die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, um endlich die Rückführungen dorthin zu erleichtern. Und wir brauchen ein anderes Verständnis von Integration: Nicht die Leitkultur, nicht die christliche Religion, sondern die Werte und Regeln unserer Rechtsordnung müssen das Zusammenleben im Land bestimmen. Und da gilt, dass Integration nicht unsere Aufgabe als aufnehmende Gesellschaft ist, sondern unsere Erwartung an diejenigen, die kommen. Das mag für manchen Grünen eine Zumutung sein. Aber so muss man es aussprechen.

Frage: Abschließend: Fürchten Sie die Ankündigung von Frau Merkel und ihrer Generalsekretärin, die Union wolle Leihstimmen von der FDP zurückholen?

Lindner: Es ist eine recht arrogante Vorstellung, wenn eine Partei denkt, bestimmte Wähler würden ihr gehören. Wir wollen jedenfalls ausdrücklich keine Leihstimmen. Wir werben um Überzeugungstäter, die starke Nerven auch bei Gegenwind haben. Richtig ist, dass die Union viele Menschen verloren hat, die bürgerliche Werte von Freiheit und Selbstverantwortung schätzen. Die Bereitschaft der Union, SPD und Grünen hier weitgehend kampflos das Feld zu überlassen, ist nicht unbedingt eine Wahlempfehlung.

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