22.08.2014FDPAußenpolitik

LINDNER-Interview: Bundesregierung zeigt Feigheit vor der Öffentlichkeit

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab der „Welt“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten THORSTEN JUNGHOLT und KARSTEN KAMMHOLZ:

Frage: Herr Lindner, ein weiterer Teil der FDP-Politik hat ausgedient: die Westerwelle-Doktrin der militärischen Zurückhaltung. Wie bewerten Sie den Entschluss der Bundesregierung, Waffen in den Norden des Irak zu liefern?

LINDNER: Das ist eine tiefgreifende Richtungsveränderung der deutschen Außenpolitik. Wir haben über Jahrzehnte keine Waffen in Krisengebiete geliefert, und zwar aus guten Gründen: Niemand weiß, in welche Hände diese Waffen in einer instabilen Region irgendwann geraten. Deshalb halte ich die Entscheidung für falsch.

Frage: Ein FDP-Außenminister hätte nicht zugestimmt?

LINDNER: Nein. Aus meiner Sicht hätte Deutschland viel früher in den Vereinten Nationen auf ein gemeinsames Vorgehen gegen den IS-Terror drängen müssen. Zum Prinzip der Schutzverantwortung der Weltgemeinschaft gehört, die militärische Zurückhaltung nötigenfalls auch aufzugeben. Gelegentlich war die FDP in dieser Frage zu einseitig festgefahren. Waffenlieferungen sind aber der falsche Weg. Richtig wäre eine Schutzzone unter UN-Mandat. Dabei hätten die USA eine große Verantwortung, weil sie zur Lage des heutigen Irak beigetragen haben.

Frage: Machen Sie es sich damit nicht zu leicht? Die Regierung argumentiert immerhin mit einem drohenden Völkermord.

LINDNER: Es ist völlig klar: Ein zweites Srebrenica, ein zweites Ruanda - das wäre ein zivilisatorisches Versagen. Diejenigen machen es sich aber zu leicht, die den Kampf gegen die Terrormiliz des Islamischen Staats an die Kurden delegieren wollen. Aus Paris höre ich die Forderung nach einem Konzept der Vereinten Nationen. Warum nicht von der Bundesregierung? Im Übrigen habe ich kein Verständnis dafür, dass die Kanzlerin in der Debatte vollkommen abtaucht. Im Kabinett entscheidet ein ominöser Fünferrat, die Beteiligung des Parlaments musste regelrecht erzwungen werden und es gibt bislang nicht einmal eine Regierungserklärung. Das ist Feigheit vor der Öffentlichkeit.

Frage: Die FDP gehört dem Bundestag seit elf Monaten nicht mehr an. Wie kommen Sie mit dem Neuaufbau Ihrer Partei voran?

LINDNER: Wir sind im Fahrplan. Ich hatte in der Stunde der Niederlage eine Partei übernommen, die sich über ihre Identität überhaupt nicht mehr klar war. Viele nahmen uns als Neinsager-Partei wahr. Jetzt stehen wir mitten in einer geistigen Neugründung. Wir entwerfen einen neuen Kompass für die programmatische Kursbestimmung. Ich bin für die klassisch liberale Ausrichtung: Marktwirtschaft plus moderne Gesellschaft. Aber nun kommt es darauf an, für die großen Zukunftsfragen Demografie, Digitalisierung und Globalisierung an die Wurzel des Problems gehende Lösungen anzubieten. Unser Anspruch ist es, wieder einen Schuss Radikalität und Courage in die Politik zu bringen, die sonst nur Pepita macht und den Status quo umverteilt.

Frage: Die Partei, die Chancen ermöglicht – so lautete die Empfehlung der Boston Consulting Group für die neue FDP. Lassen Sie sich Ihre Strategie jetzt von Unternehmensberatern schreiben?

LINDNER: Nein, Externe haben nur bei der Analyse geholfen. Und eine schonungslose Aufarbeitung durch Profis von außen, die keine Schablone im Kopf haben, war nötig. Die Schlussfolgerungen ziehen wir selbst. Ein Beispiel: Uns wird ja immer vorgeworfen, wir seien gegen soziale Gerechtigkeit, weil wir nicht jede Umverteilung mitmachen. Unsere Antwort muss sein: Wir setzen auf Chancengerechtigkeit. Wir haben den Ehrgeiz, das beste Bildungssystem der Welt in Deutschland durchzusetzen. Eines, das auf individuelle Leistung setzt, auf Anstrengung und eben nicht auf Gleichmacherei.

Frage: Sachsens FDP-Chef Holger Zastrow hält Ihre Überlegungen für Theoriekram aus Berlin. In der Praxis komme es vor allem darauf an, die liberalen Klassiker von Ja zu Steuersenkungen bis Nein zum Mindestlohn zu revitalisieren.

LINDNER: Seine Kampagne „Verliebt in Sachsen“ spricht eine andere Sprache. Ich arbeite mit dafür, dass Holger Zastrow bei den Landtagswahlen Erfolg hat. Da gibt es eine Arbeitsteilung. Er setzt auf die Erfolge der schwarz-gelben Koalition in Dresden, ich greife stärker die zukunftsvergessene Entmündigungspolitik der Bundesregierung an.

Frage: Jedenfalls will er Sie am liebsten aus dem Wahlkampf in Sachsen heraushalten. Nicht gerade eine Vertrauensbekundung, oder?

LINDNER: Die Sachsen wollen ihre Eigenständigkeit betonen und da spiele ich gerne mit. Sachsen ist nicht Berlin, denn dort regiert eine erfolgreiche schwarz-gelbe Koalition. Im Übrigen distanziert sich die sächsische FDP damit von einer Bundes-FDP, die im Herbst 2013 abgewählt worden ist. Das mache ich ausdrücklich auch. Ich möchte eine liberale Partei führen, die sich wieder durch den Einsatz für Freiheit, die Anerkennung von Leistung und ihre Weltoffenheit Respekt erarbeitet. Da sitzen Holger Zastrow und ich im selben Boot.

Frage: Zastrow hat mit der AfD zu kämpfen, die Ihre Partei wie zuvor bei der Europawahl auch in Sachsen abzuhängen droht.

LINDNER: Die AfD will Volksentscheide über die Einschränkung des Abtreibungsrechts, lehnt die große Wohlstandschance Freihandel mit den USA ab und begrüßt stattdessen die Destabilisierung der Ukraine durch Putin. Das ist wirr. Deshalb sind unsere früheren Wähler auch bei der CDU geparkt. Wir konkurrieren also mit den Parteien der großen Koalition in Berlin, die mit ihrer neoplanwirtschaftlichen Wohlfahrtspolitik der Wirtschaft und dem Land Schaden zufügt.

Frage: Was bedeutet es für die FDP, wenn sie in Sachsen scheitert – und damit das letzte schwarz-gelbe Regierungsbündnis?

LINDNER: Dann ginge es uns wie den Grünen, die 2005 in keiner Regierung mehr saßen. In Sachsen geht es aber nicht um das Schicksal der FDP. Es geht um die Zukunft von Sachsen: Bleibt es ein Freistaat im wirklichen Wortsinne und die Nummer eins im Bildungsranking oder wird es eines dieser Länder, in denen Bürokratie, Umverteilung und Einheitsschulen das Bild prägen?

Frage: Wir können uns ausmalen, dass Ihre Aufgabe als FDP-Chef kein besonderes Vergnügen ist. Erinnern Sie sich noch an Ihr letztes Erfolgserlebnis?

LINDNER: Ich habe regelmäßig politische Erfolgserlebnisse.

Frage: Ach so?

LINDNER: Aber sicher. Unter meiner Führung hat die FDP begonnen, ihren Kurs zu korrigieren. In der Energiepolitik sind wir endlich für mehr Marktwirtschaft und gegen die aberwitzigen Subventionen. Wir sind die einzige Partei, die es wagt, das EEG grundsätzlich infrage zu stellen und den in Deutschland mitunter ideologisch überhöhten Klimaschutz an den Realitäten zu messen. Bei der inneren Sicherheit sind wir dem Eindruck entgegengetreten, dass die Bürgerrechtspartei FDP nachsichtig mit Kriminellen sei. Das ist falsch: Wir sind gegen einen Staat, der uns in die Schlafzimmer guckt, aber wir setzen uns für eine handlungsfähige Polizei ein, die grassierende Einbruchskriminalität wirksamer bekämpft, als es jetzt der Fall ist. Bis zur Bundestagswahl 2017 wird diese programmatische Schärfung abgeschlossen sein, darauf richten wir alle unsere Kraft.

Frage: Heißt die Partei auch 2017 noch FDP?

LINDNER: Warum sollte es da Zweifel geben?

Frage: Es gab in Ihrer Partei eine Debatte darüber. Ihre Stellvertreterin Strack-Zimmermann schlug vor, über einen neuen Namen nachzudenken.

LINDNER: Eine einzelne Wortmeldung ist keine Debatte. Es gibt keinen besseren Namen für das, was in Deutschland fehlt, als Freie Demokratische Partei.

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