17.07.2015FDPEuropa

LINDNER-Interview: Brüsseler Griechenland-Paket ist unwirksam

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Freitag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte TANJA BRANDES.

Frage: Herr Lindner, die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer sieht die Idee Europas zerstört, die Bundesvorsitzende der Grünen, Simone Peter, sagt, die Forderungen der Euro-Gruppe verletzten die Souveränität Griechenlands. In den sozialen Netzwerken gilt Deutschland vielfach  als Ursprung des Übels. Sind die Vorwürfe berechtigt?

LINDNER: Nein, das sind sie nicht. Die Probleme, die Griechenland hat, hängen ja nicht mit der stabilitätsorientierten Politik Deutschlands zusammen, sondern mit jahrzehntelangen Versäumnissen der griechischen Regierungen. Die Syriza-Partei orientiert sich ganz offensichtlich am südamerikanischen Sozialismus eines Hugo Chavez. Und Deutschland wird mit unserer Orientierung auf freiheitliche Wirtschaftspolitik und Stabilität zum Feindbild erklärt. Diese Argumente darf man sich nicht auch noch zu Eigen machen. Denn dann würde das Fundament aus Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, auf dem Europa ruht, unterspült.

Frage: Viele Griechen haben Angst vor der Zukunft, sind wütend und frustriert. Können Sie das verstehen? Immerhin hatten die Menschen geglaubt, sich mit ihrem Nein im Referendum vor weiteren Sparmaßnahmen zu schützen…

LINDNER: Das verstehe ich absolut. Und ich halte das Spar- und Reformpaket, das auf dem letzten Euro-Gipfel geschnürt worden ist, für falsch. Es entspricht nicht dem europäischen Vertragsrecht, weil Rettungsschirme nur bei die Eurozone insgesamt gefährdenden Finanzkrisen eingesetzt werden dürfen. Aber vor allem soll die griechische Regierung nun das Gegenteil dessen umsetzen, was sie selbst vertritt und wofür sich die Menschen im Referendum ausgesprochen haben. Ich glaube weder an die demokratische Legitimierung noch an die Wirksamkeit der Reformen. Die FDP würde, wäre sie bei der Abstimmung im Bundestag dabei, dem Paket nicht zustimmen.

Frage: Was wäre denn eine Alternative für Griechenland?

LINDNER: Mit dem Referendum hat Griechenland letztlich die Entscheidung getroffen, zumindest zeitweise aus dem Euroraum auszuscheiden. Dieser Schritt würde das notwendige Anpassungsprogramm im Land erleichtern. Es gäbe eine Chance, den Staat wieder funktional zu machen. Und man könnte durch strikt zweckgebundene EU-Investitionsmittel und humanitäre Unterstützung Griechenland als EU-Mitglied, das es ja weiter bliebe, begleiten. Leider wurde diese Chance nicht genutzt.

Frage: Sie sagen, das Referendum war eine Entscheidung gegen den Euro. Gleichzeitig zeigen  Umfragen, dass die Mehrheit der Griechen den Euro eigentlich behalten möchte.

LINDNER: Wer im Euro bleiben will, der muss an seiner Wettbewerbsfähigkeit arbeiten. Das ist ja der Widerspruch der Politik von Syriza: Ja zum Euro, Nein zu Reformen. Diese Gleichung geht nur auf, wenn die Veränderungsabstinenz mit Geld aus anderen Ländern bezahlt wird. Das ist in meinen Augen eine Überforderung des Solidaritätsgedankens. Wenn aus einer zeitweiligen Hilfe eine dauerhafte Alimentation wird, dann verändert das den Charakter unserer Währungszone. Das führt dazu, dass Euro-skeptische Kräfte Aufwind erhalten, und das ist um jeden Preis zu verhindern.

Frage: Vieles, was auf der Reform-Liste für Griechenland steht, ist weit in die Zukunft datiert. Glauben Sie an die Umsetzung dieser Reformen?

LINDNER: Viele der Vorhaben sind alte Bekannte. Warum sollten sie jetzt umgesetzt werden, nachdem die griechische Regierung und das Referendum in eine gegensätzliche Richtung argumentiert haben? Viele Zahlen sind ganz offensichtlich aus der Luft gegriffen, ich denke da zum Beispiel an den geplanten Erlös von 50 Millionen Euro aus Privatisierungen, die niemals am Markt zu erzielen sind. Einige der Reformmaßnahmen behindern das wirtschaftliche Wachstum auch anstatt es zu fördern.

Frage: Warum unternehmen die EU-Regierungen so vehement alles, um Griechenland in der Euro-Zone zu halten?

LINDNER: Das wichtigste Motiv dafür ist sicher, dass man Europa zusammenhalten will, und dieses Motiv teile ich. Die FDP hat immer intensiv am Europäischen Einigungsprozess mitgewirkt, wir halten ein vereinigtes Europa für eines der größten Zivilisationsprojekte, das uns Frieden und Wohlstand gebracht hat. Aber ich glaube, dass der Weg, der beim Gipfel beschlossen worden ist, eben nicht zu einem zukunftssicheren Europa führt, sondern im Gegenteil die Fliehkräfte verstärkt. Vielleicht ist eine auch für Europa und Deutschland schmerzhafte, weil teure Lösung für die Finanzkrise Griechenlands nötig – aber dann sollte es wirklich eine Lösung sein. Jetzt werden die Probleme nur vertagt.

Frage: Vielen Griechen geht es aufgrund von Lohn- und Rentenkürzungen sehr schlecht. Wie kann die humanitäre Lage konkret verbessert werden?

LINDNER: Griechenland braucht wirtschaftliches Wachstum, nur dann kann der Lebendstandard für die Menschen auf Dauer steigen. Dafür braucht man einen funktionsfähigen Staat, dafür muss das Umfeld investitionsfreundlich sein, das ist alles gegenwärtig nicht so. Flankierend zu dem, was innenpolitisch in Griechenland zu tun ist, kommen Investitionshilfen von europäischen Strukturfonds infrage. Andere Länder, zum Beispiel die baltischen Staaten und Portugal, haben bewiesen, dass man innerhalb weniger Jahren eine Trendwende erreichen kann.

Frage: Wie sieht Ihre Prognose für Griechenlands Zukunft aus?

LINDNER: Ich glaube, dass der Weg, der jetzt beschritten wird, zu einer dauerhaften Abhängigkeit Griechenlands von Hilfszahlungen führt. Ich hoffe sehr, dass ich mich hier täusche. Denn anders als gewisse „Alternativen“ in Deutschland, schlagen wir kein politisches Kapital aus Kritik an Europa. Ich fürchte nur, dass sich die Lebensqualität der griechischen Bevölkerung weiter verschlechtern wird und dass dauerhafte Transferzahlungen aus Europa an Griechenland nötig sein werden. Das wiederum wird zu einer weiteren Erosion des Vertrauens in das großartige europäische Projekt führen.

 

 

Social Media Button